Elektromotorrad Zero DSR/X​ im Fahrbericht: Vielversprechende Nullnummer

Das kalifornische E-Krad-Startup Zero bringt sein erstes Bike fürs enorm wichtige Reiseenduro-Segment. Es fährt rund 250 km weit und überzeugt auch im Gelände.

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Zero DSR/X
Lesezeit: 14 Min.
Von
  • Ulf Böhringer
Inhaltsverzeichnis

Branchengrößen wie BMW, Honda oder auch Yamaha dürften sich zumindest wundern, was da aus Kalifornien auch nach Deutschland rollt: Die DSR/X, erstes Adventure Sports-Bike der amerikanischen Elektromotorrad-Manufaktur Zero – bei uns sagt man dazu Reiseenduro – , wartet schon heute annähernd mit Leistungswerten auf, die man erst einige Jahre später erwartet hätte. Ganz konsequent hält Zero das Konzept aber nicht durch.

Die als miniaturkleines Start-Up im Jahr 2006 mit ihrem ersten Modell auf den Markt gekommene Marke Zero landet mit ihrem jüngsten Modell einen Überraschungscoup. Die Zero DSR/X zeichnet sich durch ein sehr angemessenes Gewicht, gute Fahreigenschaften auf Asphalt wie auch im leichten und mittelschweren Gelände, leichte Zugänglichkeit und Bedienung sowie eine Reichweite aus, die mehr als nur Zweistunden-Ausflüge möglich macht.

Damit setzt die Zero DSR/X unter Preis-Leistungs-Gesichtspunkten einen neuen Maßstab bei den bislang seltenen E-Motorrädern. Mit 26.550 Euro (zuzüglich Liefernebenkosten) unterbietet sie das bislang einzige Modell dieses Segments, die ebenfalls nagelneue Energica Experia, um immerhin einige tausend Euro. Diese überbietet die Zero zwar mit 222 zu 185 Kilometern Normreichweite. Dafür ist die Zero wegen des kleineren Akkus etwas leichter und bietet mit 190 Millimetern ganze vier Zentimeter mehr Federweg. Ein Vergleichstest war bislang noch nicht möglich.

Bis von BMW, Triumph, Ducati oder Honda wohl erst gegen 2025 einigermaßen reisetaugliche E-Motorräder erscheinen, will Zero schon eine feste Größe im Markt sein, sagt Zeros Europa-Chef Umberto Uccelli und denkt dabei an Tesla bei den Elektroautos. Während des ersten Jahrzehnts seiner Existenz hätte Zero das niemand zugetraut. Die ersten "Zero Emission Bikes" aus der bescheidenen Produktionsstätte in Santa Cruz waren ausgesprochene Gurken, an denen so gut wie nichts so funktionierte, wie es sollte.

Diese Zeiten sind offenbar Geschichte. Die DSR/X überzeugt nicht nur mit einem kräftigen E-Antrieb, sondern auch mit ihrem bestens abgestimmten Bosch MSC-Offroadsystem. Es steuert on- und offroad sowohl die schräglagenabhängigen Regelungen der Schlupfregelung wie des ABS. Dazu kommen eine hochwirksame, bestens bedienbare Dreischeiben-Bremsanlage des Herstellers J.Juan, gute Fahrwerkskomponenten von Showa mit immerhin 190 Millimetern Federweg, ein niedriger Fahrzeugschwerpunkt und eine ideale Gewichtsverteilung von jeweils 50 Prozent für Vorder- und Hinterrad. Ergänzt wird das unerwartet hochklassige Paket von einem ausgezeichnet ablesbaren 6,5-Zoll-TFT-Display, einer gelungenen Menüführung des umfänglichen Bordcomputers und guter Ergonomie.

E-Reiseenduro Zero DSR/X​ (6 Bilder)

Mit einem Adventure Sports-Bike will die amerikanische Elektromotorrad-Manufaktur Zero auch in Europa noch vor den etablierten Marken landen. Das könnte gelingen, denn der erste Fahreindruck überzeugt.
(Bild: Alberto Cervetti)

Wer es drauf anlegt, kann mit der Zero durch die Gegend brechen, dass Fahrern etablierter Verbrennermodelle nur Verblüffung bleibt. Dank 225 Nm Drehmoment und 75 kW Spitzenleistung ist selbst an starken Steigungen eine atemberaubende Beschleunigung möglich. Die Maschine reagiert dabei sehr feinfühlig selbst auf minimale Bewegungen am "Gas"griff, ohne Verzögerung oder gar Rucken. Selbst komplizierte Wendemanöver bei minimalem Tempo lassen sich kontrolliert absolvieren. Unter Sicherheitsgesichtspunkten vorteilhaft ist die einfach zu handhabende Rangierhilfe fürs Rückwärts- und Vorwärtsfahren bis 5 km/h. Sie verhindert zuverlässig eine versehentliche, plötzliche Beschleunigung.

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Auf unserer extrem kurvenreichen Teststrecke am sizilianischen Vulkan Ätna registrierten wir trotz sehr zügiger, keineswegs sparsamer Fahrt einen unerwartet geringen Energieverbrauch. Zur Verfügung stehen nominell 17,3 kWh, weshalb der Akku die Bezeichnung ZF17.3 trägt. Tatsächlich genutzt werden können davon 15,2 kWh. Nach knapp 100 gefahrenen Kilometern und einem Höhenunterschied von rund 1500 Metern war die Batterie laut Anzeige noch etwas mehr als halb voll. Man darf dem warmen Wetter eine begünstigende Rolle unterstellen.

Zero attestiert der DSR/X im Stadtverkehr eine Reichweite von 290 Kilometern, im kombinierten Verkehr sollen 185 Kilometer möglich sein, auf der Autobahn 137 Kilometer. Als Höchstgeschwindigkeit werden 180 km/h angegeben, als maximale Dauergeschwindigkeit nennt der Hersteller 100 mph, also 161 km/h.

Positiv entwickelt hat sich, jedenfalls verglichen mit den Akkus und Ladegeräten der bisherigen Zero-Spitzenmodelle SR/F und SR/S, die nötige Ladezeit: Von "Leer" auf 95 Prozent vergehen bei der DSR/X mit ihrem serienmäßigen 6,6-kW-Ladegerät bei Nutzung des Level-2-Standards zwei Stunden. Wer noch schneller laden will, kann gegen einen kräftigen Mehrpreis einen Power-Charger erwerben, der den 81 Kilogramm wiegenden Akku in einer Stunde von Leer auf 95 Prozent bringen soll. Wer sich mit der 230-Volt-Steckdose begnügt, benötigt mit dem Serienlader freilich Geduld: Bis 95 Prozent vergehen 10, bis "Voll" sogar 11,6 Stunden.

Auch ein "Power-Tank", also ein Zusatzakku, ist lieferbar; damit wächst die nominelle Akku-Kapazität auf 20,9 kWh. Entsprechend erhöht sich die Reichweite, aber natürlich wächst auch das Fahrzeuggewicht. Power Tank und Superlader zugleich finden aber keinen Platz im 20-Liter-Staufach vor dem Fahrer, man muss sich entscheiden. Das beleuchtete Staufach ist, nebenbei bemerkt, superpraktisch und bietet zwei USB-Steckdosen.

Die Handhabung der Zero DSR/X erreicht klar eine neue Qualität. Grundlage dafür ist die ausgeglichene Gewichtsverteilung. Dazu kommt ein im Vergleich zu älteren Zeros abgesenkter Schwerpunkt. Zugleich ist der Akku nicht nur tiefer, sondern auch weiter nach hinten gerückt, was einer Kopflastigkeit entgegenwirkt. Alle diese Feinheiten zusammen führen zu einem angesichts des Gewichts von 247 Kilogramm unerwartet agilen, leichtfüßigen Fahrverhalten.

Wir konnten die DSR/X leider nur gut vier Stunden lang fahren, doch war diese Zeitspanne bereits ausgesprochen aussagekräftig. Weil die Straßen am Ätna enorm kurvig sind und sich am Testtag zudem extrem verkehrsarm zeigten, konnten wir die Zero auf der Strada Mareneve ("Vom Meer zum Schnee") "fliegen" lassen. Ergebnis: Die Zero DSR/X braucht sich auf Asphalt vor den etablierten Top-Adventurebikes der Oberklasse auch dank seiner Bosch-Sensorik und der auf Asphalt grandiosen Pirelli Scorpion Trail II nicht zu verstecken.

Offroad sieht es kaum anders aus, doch sind hier die bekannten Top-Bikes mit teils bereits semiaktiv gesteuerten Fahrwerken im Vorteil, weil diese oft ganz besonders gut mit den Widrigkeiten vieler Strecken fertig werden. Über diese Technologie verfügt Zero noch nicht. Die feinfühlig ansprechenden und gut dämpfenden Showa-Fahrwerkskomponenten mit 190 Millimeter Federweg helfen aber, den Abstand nicht zu groß werden zu lassen.

Man könnte die Zero DSR/X glatt als Enduro ernst nehmen, hätte sie keinen empfindlichen Zahnriemenantrieb. Sogar Harley-Davidson stattete das erste Adventure-Bike seiner Geschichte mit einer Kette aus. Vom Standpunkt einer Enduro ist ein Riemen höchst inkonsequent, aus der Perspektive des Marktes aber folgerichtig, denn die SUV unter den Motorrädern sehen eh fast nie Gelände.

Wie für alle anderen namhaften Motorräder dieses Segments gibt es für sie als Zubehör zahlreiche Accessoires vom stählernen Akku-Schutzbügel über den Alu-Unterschutz für das Batteriepack bis hin zum dreiteiligen Gepäcksystem. Selbstverständlich sind auch gröbere Reifen im Programm.