Fahrbericht Moto Guzzi V100 Mandello S: Moderne Zeiten

Wasserkühlung, Vierventiltechnik, semi-aktives Fahrwerk: Die V100 Mandello S ist ohne Zweifel die modernste Guzzi aller Zeiten. Und: Das Ding fährt auch gut.

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Moto Guzzi V100 Mandello S

(Bild: Ingo Gach)

Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Ingo Gach
Inhaltsverzeichnis

Man kann es eigentlich gar nicht genug betonen: Moto Guzzi hat seinen ersten Motor mit Flüssigkeitskühlung herausgebracht und noch dazu mit Vierventil-Zylinderköpfen. Für die altehrwürdige Marke aus Mandello del Lario ist das fast schon Raketentechnologie. Um die Fans zu beruhigen: Es handelt sich auch weiterhin um einen längs eingebauten 90-Grad-V2. Wir wollten natürlich unbedingt die V100 Mandello S testen. Soviel vorweg: Sie hat uns nicht enttäuscht.

Es war ein Paukenschlag aus Mandello del Lario, als die V100 Mandello Ende letzten Jahres vorgestellt wurde. Sie trägt den ersten wirklich neuen Motor der Marke seit über einem halben Jahrhundert. Doch nicht nur das, sie sieht auch noch komplett anders aus, als alles, was bisher bei Moto Guzzi vom Band lief. Die V100 Mandello ist ein Sporttourer, der zwar ein modernes Design bietet, aber auch seine Herkunft nicht verleugnen möchte.

Moto Guzzi und modern – passt das zusammen? Die Marke lebte lange davon, dass sie ihre Traditionen konserviert wie in der V7, die optisch ihrer Vorfahrin V7 Sport von 1971 gleicht, und selbst die Reiseenduro V85 TT (Test) sieht aus, als stamme sie direkt aus den 1980er-Jahren. Doch auch Moto Guzzi muss sich den Herausforderungen der Zeit stellen und die Euro-5-Norm lässt sich mit einem luftgekühlten Motor nur arg zugeschnürt noch meistern. Also begannen die Entwickler in Mandello del Lario vor einem weißen Blatt Papier. Das einzige, was natürlich erhalten bleiben musste war das Prinzip des längs eingebauten 90-Grad-V2 mit Kardanantrieb. Doch der erhielt eine Flüssigkeitskühlung und Vierventilköpfe mit je zwei obenliegenden Nockenwellen.

Verpackt ist die V100 Mandello in eine Halbschalenverkleidung, die fließend in den Tank übergeht. Mit einem leichten Schwung schließt sich dann das Heck an. Die Sitzbank ist weit auf den Tank gezogen, auch wenn es sich dort gar nicht sitzen lässt, vermutlich haben die Designer hier Anleihen bei der Moto Guzzi Le Mans 1 genommen. Der breite Scheinwerfer beinhaltet ein LED-Tagfahrlicht, das einen Adler stilisieren soll – dem Wappentier von Moto Guzzi. Darüber thront eine getönte Scheibe, die auf Knopfdruck elektrisch um bis zu neun Zentimeter ausfahren kann.

Ins Auge springen die golden eloxierten Zylinderkopfdeckel und die Krümmer, die durch die Hitzeschilde noch mächtiger wirken. Im Gegensatz zu den luftgekühlten Zylindern erfolgt die Durchströmung nun nicht mehr von hinten nach vorn sondern von oben nach unten. Der Auspufftopf geriet zwar einigermaßen kurz, aber dafür recht hoch. Moto Guzzi hält an der Einarmschwinge mit dem integrierten Kardanantrieb fest, verlegte ihn an der V100 Mandello aber auf die linke Seite und das Federbein stützt sich direkt an ihr ab. Die beiden Gussfelgen mit den filigranen Speichen stehen ihr ausgesprochen gut.

Wir haben für unseren Test freundlicherweise das besser ausgestattete Modell V100 Mandello S erhalten. Es verfügt zusätzlich zur bereits sehr ordentlichen Grundausstattung über ein semiaktives Fahrwerk von Öhlins, einen Quickshifter mit Blipperfunktion und ein Reifendruck-Kontrollsystem. Der Sitz in 815 mm Höhe lässt sich leicht erklimmen, allerdings ist der Sattel relativ breit, so dass für eine sichere Bodenhaftung beider Fußsohlen die Körpergröße nicht unter 1,75 m liegen sollte. In der Höhe verstellbar ist die Fahrersitzbank leider nicht, dafür gut geformt und der Bezug ist mit Nähten und Marken-Schriftzug verziert.

Moto Guzzi V100 Mandello S (8 Bilder)

Moto Guzzi hat nach über einem halben Jahrhundert einen neuen Motor konstruiert. In der V100 Mandello wird er vorgestellt.
(Bild: Ingo Gach)

Jetzt wird es spannend, Zündung an – die V100 Mandello S hat noch einen normalen Zündschlüssel und verzichtet auf ein teures und auch nicht wirklich notwendiges Keyless-go-System. Das TFT-Display erwacht und es erscheint zunächst das Adler-Logo, ehe es gut übersichtlich die Informationen anzeigt. Die Ziffern in der obersten Reihe – Uhrzeit, Lufttemperatur und die Reichweite – sind zwar etwas klein geraten, aber gerade noch akzeptabel lesbar. Schön groß dagegen die Anzeige für Geschwindigkeit und den eingelegten Gang, beim Drehzahlmesser, Tankanzeige und der Kühlmitteltemperatur muss der Fahrer schon etwas genauer hinsehen.

Ein Druck auf den E-Starter und der 1042-cm3-V2 erwacht zum Leben. Erfahrene Guzzi-Besitzer werden jetzt irritiert sein: Keine Schleifgeräusche des Anlassers, kein Rasseln der Ventile und kein Schnorcheln aus dem Luftfilterkasten mehr. Stattdessen dominiert ein herrlicher Sound aus der Auspuffanlage, mit 95 dB gerade noch nicht zu laut.

Eines bleibt Guzzi-typisch: Bis zum Lenker muss ich weit nach vorne greifen. Der Motor braucht konstruktionsbedingt seinen Platz und entsprechen lang geriet auch der 17,5-Liter-Tank. Dafür liegt die breite Lenkstange gut zur Hand. Die Mehrscheiben-Nasskupplung liegt bei der V100 Mandello hinter dem Getriebeausgang. Vorbei die Zeiten, als Guzzis eine Ein- (noch früher Zwei-)scheibentrockenkupplung direkt auf der Kurbelwelle hatten, die mit zunehmendem Verschleiß gezogen zum Klimpern neigten.

Der Kupplungshebel lässt sich ohne größeren Kraftaufwand ziehen, der erste Gang rastet laut hörbar ein und die Italienerin setzt sich sanft in Bewegung. Der für Moto Guzzi früher so typische seitliche Ruck beim Gasanlegen ist fast völlig verschwunden. Nur Sensibelchen werden sich darüber noch beschweren. Leichte Vibrationen sind immer noch zu spüren, aber ohne wäre die V100 auch noch weniger Guzzi.

Der V2 zieht munter los, unten herum noch nicht mit Macht, das kommt erst in der Drehzahlmitte, aber immer mit genügend Nachdruck. Seine Höchstleistung von 115 PS erreicht er bei 8700/min. Das ist in Anbetracht des Hubraums für sich genommen kein überragender Wert. Viel beeindruckender ist jedoch das Drehmoment, das sich bis zu 105 Nm bei 6750/min aufschwingt.

Was Laufkultur, Drehfreude und Kraft angeht, ist das der beste Moto Guzzi-Motor, den ich je gefahren bin. Er verträgt Tempo 50 im sechsten Gang bei etwas unter 2000 Touren, ohne ruckelnd zu protestieren. Ab 3000/min fühlt er sich richtig wohl, laut Hersteller liegen zwischen 3800 Touren und 8700 Touren immer über 90 Nm an. Dann trägt einen die V100 Mandello auf einer Drehmomentwelle über die Landstraßen.