Triumph Speed Triple 1200 RR im Test: Sportler im Retrolook

Die schönste Neuerscheinung 2022 ist ein nicht nur optisch ein Café Racer. Trotz Retro-Eleganz ist die Triumph Speed Triple 1200 RR ein echtes Sportbike.

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Triumph Speed Triple 1200 RR

(Bild: Ingo Gach)

Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Ingo Gach
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Triumph hat aus seinem Streetfighter Speed Triple einen eleganten Café Racer gemacht. Doch wer denkt, dass die Speed Triple 1200 RR nur zur Show dient, irrt gewaltig. Unter dem Retro-Design steckt ein ernsthaftes Sportbike, wie wir uns beim Test überzeugen konnten.

Schon die ersten Fotos der neuen Speed Triple 1200 RR verschlugen mir den Atem. Sie zeigten eine Triumph Speed Triple 1200 mit Halbschale, Rundscheinwerfer und Stummellenker, rank und schlank, eine zeitlose Schönheit, sich ihres betörenden Eindrucks wohl bewusst. Mein zweiter Gedanke war: Retro-Stil bedeutet verwässerter Sportler mit faulen Kompromissen, weil die Alltagstauglichkeit wichtiger ist. Ich hatte mich gründlich getäuscht.

Einige Monate später bekam ich endlich die ersehnte Speed Triple 1200 RR. Den gelungenen, neuen 1160-cm3-Dreizylinder kannte ich schon vom Test der Speed Triple 1200 RS vor etwas über einem Jahr. Mit 180 PS und 125 Nm steht er sehr gut im Futter und schiebt mächtig an. Somit passt er blendend zur Speed Triple, der Ikone aller Streetfighter-Fans.

Die Klasse der Streetfighter ist einst in Großbritannien aus verunfallten Sportmotorrädern entstanden. Die Besitzer entfernten die Reste der Vollverkleidungen und montierten breite Lenkstangen statt der Stummellenker, beließen aber die – damals sehr angesagten – runden Doppelscheinwerfer dran. Den Trend griff Triumph 1997 auf und produzierte mit der Speed Triple T509 den ersten Streetfighter in Serie. So ziemlich alle Hersteller folgten später dem Vorbild in mehr oder weniger radikaler Form. Doch bis heute ist keiner auf die Idee gekommen, aus einem Streetfighter wieder ein Sportmotorrad zu machen. Jetzt ist es erneut an Triumph, hier ein Ausrufezeichen zu setzen.

Die Entwickler begingen aber nicht den Fehler, eine Vollverkleidung an die Speedy zu schrauben, um so zu tun, als wäre sie damit ein echtes Superbike. Zum einen würden ihr dafür mindestens 20 PS fehlen, zum anderen hätten sie wohl einen neuen Rahmen mit mächtigen Aluminiumbalken konstruieren müssen, um auf der Rennstrecke vorne mithalten zu können. Das hatte Triumph aber nie vorgehabt, denn dass sich Superbikes kaum noch verkaufen lassen, hat sich auch in Hinckley herumgesprochen. Der Trend bei den Sportmotorrädern geht zurzeit eher zur Mittelklasse, wo sich die vollverkleideten Racer, wie zum Beispiel die Aprilia RS 660, Honda CBR 650 R oder Yamaha R7, zu relativ günstigen Preisen einigermaßen gut verkaufen lassen.

Doch dem wollte Triumph nicht folgen, sondern setzte auf etwas, was sie mittlerweile meisterhaft beherrschen: wunderschönes Design. In Sachen Retro-Stil waren sie schließlich sehr erfahren und so verfiel die Entwicklungsabteilung auf die Halbschalenverkleidung mit dem Rundscheinwerfer wie sie die Café Racer in den 1960er- und 70er-Jahren gerne verwendeten. Die Speed Triple 1200 RR garniert Triumph zudem mit einigen feinen Teilen: Der vordere Kotflügel, die Verkleidungshalterungen, die Kühlerschützer und die schmalen Leiste unterhalb des Tanks bestehen aus Kohlfaserlaminat.

Triumph Speed Triple 1200 RR (8 Bilder)

Die neue Triumph Speed Triple 1200 RR ist ein wunderschönes Motorrad im leichten Retro-Stil. Dabei lauert unter der hübschen Schale ein echtes Sportbike.

Dass unter der schönen Schale ein Biest lauert und kein verweichlichter Tourer, macht mir die Speed Triple 1200 RR schon beim Platz nehmen klar. Mit 830 mm Sitzhöhe ist sie nicht wirklich niedrig und die Stummellenker sind 135 mm tiefer und 50 mm weiter vorne angebracht, als die Lenkstange des Naked Bikes RS. Ich muss mich weit zu den Griffen vorbeugen und die Fußrasten liegen etwas höher und weiter hinten, was die Sitzhaltung noch sportlicher macht. Okay, die Speedy RR fährt keinen Kuschelkurs mit dem Piloten, sondern will ihn fordern.

Die Speed Triple 1200 RR besitzt weder Zünd- noch Tankschloss, alles läuft über den Transponderschlüssel, von Triumph Smart Key genannt. Rechts am Lenker den Kippschalter kurz oben gedrückt und das 5,5 Zoll große TFT-Display erwacht zum Leben. Übrigens muss sich der Fahrer nicht den gesamten Vorfilm im Mäusekino angucken, wie einige Unwissende immer noch glauben, sondern kann sofort den E-Starter drücken, um den Motor anzulassen. Der unverkennbare Klang des Dreizylinders dringt aus dem erfreulich kompakten Auspuffrohr.

Die Speedy hat 98 dB(A) Standgeräusch in den Papieren eingetragen, aber im Fahrbetrieb ist sie deutlich leiser, selbst bei Fahrten durch ruhige Dörfer nehmen die Einwohner keine Notiz von der akustisch dezenten Triumph, wenn sie mit niedrigen Drehzahlen chauffiert wird. Hier taucht aber eine Eigenart des neuen Dreizylinders auf, die der Vorgängermotor mit 1050 cm3 nicht kannte: Bei Drehzahlen knapp über Standgas zieht er etwas unwillig hoch, was besonders in Spitzkehren auffällt, zudem läuft er hier fühlbar rauer.

Doch ab rund 2500/min dreht der Drilling locker und linear bis 6000 Touren, darüber zeigt der 1160-cm3-Motor seine Vorzüge im Vergleich zum betagten 1050er-Aggregat: Er reißt noch einmal heftig an und beschleunigt die Triumph brachial vorwärts bis zur Nenndrehzahl bei 10.750/min. Hier agiert ein echter Sportmotor. Er steckt in einem Brückenrahmen aus Aluminium, dessen Markenzeichen die beiden übereinander verlaufenden Rohre unterhalb des Tanks sind. Wie es sich für eine Speed Triple gehört, wird das sechs Zoll breite Hinterrad von einer voluminösen Einarmschwinge geführt.