AT&T schwört US-Telcos unfreiwillig auf Netzneutralität ein

Der US-Telekommunikationsriese hat bei der Übernahme von BellSouth zusichern müssen, zwei Jahre lang auf die Einführung einer "Breitband-Maut" zu verzichten. Dies wird als Maßgabe für die ganze Branche ausgelegt.

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Der US-Telekommunikationsriese AT&T hat für die Genehmigung der Übernahme des ehemaligen Konkurrenten BellSouth vergangene Woche zusichern müssen, zwei Jahre lang auf die Einführung einer "Breitband-Maut" zu verzichten. Andernfalls wäre der über 85 Milliarden US-Dollar schwere Deal kaum von der US-amerikanischen Regulierungsbehörde, der Federal Communications Commission (FCC), genehmigt worden. Die Befürworter des Prinzips der Netzneutralität, denen zufolge das Internet auch im Breitbandzeitalter allen Interessierten ohne künstliche Unterscheidungen etwa bei der Zugangsgeschwindigkeit zur Verfügung stehen soll, sehen davon eine Signalwirkung für die ganze Branche sowie für die künftige Gesetzgebung ausgehen. "Jeder, der diese Leitlinie verletzt, wird in ein politisches Kreissägen-Gefecht laufen", betonte Jonathan Adelstein von der FCC. Der Demokrat hatte gemeinsam mit einem weiteren Kommissar aus seiner Partei, Michael Copps, das AT&T-Management zum Schlucken der bitteren Pille gedrängt.

AT&T-Chef Ed Whitacre hatte just vor einem Jahr die Debatte um die Netzneutralität losgetreten: Google, MSN, eBay oder die Internet-Telefoniefirma Vonage "wollen meine Leitungen gratis nutzen", war damals angesichts der rasant wachsenden Umsatzzahlen der Online-Unternehmen der Ärger aus dem Konzernchef herausgeplatzt. Es müsse einen Mechanismus dafür geben, "dass die Leute, welche diese Leitungen nutzen, anteilmäßig dafür bezahlen." Frei im Sinne von kostenlos könne das Internet nicht sein. Die bunt zusammen gewürfelte Vereinigung Save the Internet freut sich daher nun, dass Whitacre und seine Lobbymillionen vorübergehend in der Streitfrage "neutralisiert" worden seien. Gleichzeitig appelliert sie an den US-Kongress, endlich das Prinzip des offenen Internet gesetzlich festzuschreiben. Dabei gehe es zugleich um die Sicherung der Meinungsfreiheit, und demokratischer Beteiligungsmöglichkeiten und wirtschaftlicher Innovationsfähigkeit.

Großen US-Breitbandanbietern und einigen europäischen Carriern wie der Deutschen Telekom geht es seit längerem darum, für den Aufbau ihrer Hochgeschwindigkeitsnetze Inhalteanbieter für die zugesicherte oder besonders rasche Übertragung von Daten zur Kasse zu bitten. Verfechter strenger gesetzlicher Netzneutralitätsregeln wie Amazon.com, eBay, Google, Microsoft oder Yahoo fürchten dagegen, dass neue Geschäftsmodelle durch ein Mehr-Klassennetz behindert und innovativen jungen Netzfirmen Steine in den Weg gelegt werden sollen. Bemühungen von Demokraten zur gesetzlichen Verankerung eines starken Netzneutralitätsprinzips waren im vergangenen 109. US-Kongress sowohl im Repräsentantenhaus als auch im Senat am Widerstand der Republikaner gescheitert. Aber auch die andere Seite brachte ihre Gesetzesentwürfe nicht durch.

Im Verlauf des Genehmigungsverfahrens zur BellSouth-Übernahme hat AT&T im Namen der vereinten Firma nun in einem Brief (PDF-Datei) an die FCC versprochen, 24 Monate lang "ein neutrales Netzwerk sowie ein neutrales Routing in ihren drahtgebundenen Breitband-Zugangsdiensten zum Internet beizubehalten". Privilegien, Prioritätssetzungen oder Herabstufungen einzelner übermittelter Datenpakete abhängig etwa von Quelle, Ziel, Eigentümerschaft, Dienst oder Bandbreitenverbrauch werde es nicht geben. Ausgenommen bleiben von dieser Selbstverpflichtung der Cingular-Mobildienst sowie die TV-Angebote des Konzerns. Sollten sich andere Telcos oder Fernsehkabelfirmen in der Zwischenzeit bei den von AT&T vorübergehend auf Eis gelegten Plänen hervortun, das Internet in teure, mit Mautstationen abgesperrte Luxusbahnen und holprige Feldwege aufzuteilen, dürften sie mit einem öffentlichen Sturm der Entrüstung zu kämpfen haben.

Innerhalb der FCC ist das Thema Netzneutralität aber weiter umstritten. Ähnlich wie führende Stimmen bei der US-Handelsaufsicht Federal Trade Commission (FTC) hält auch der FCC-Direktor Kevin Martin ein Eingreifen der Behörden oder des Gesetzgebers im Breitbandmarkt zur Aufrechterhaltung eines offenen Netzes momentan nicht für nötig. Die AT&T von den Demokraten in seiner Behörde abgerungenen Bestimmungen sind seiner Ansicht nach "unnötig" und "diskriminierend". Die FCC als ganze werde sich davon nicht an künftige Handlungs- und Entscheidungsweisen gebunden sehen. Einem zusätzlichen Netzneutralitätsprinzip habe sich die Behörde damit nicht verschrieben, da es "die Infrastrukturentwicklung behindern könnte".

Zum Thema Netzneutralität siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)