Bundesregierung will Geo-Scoring zur Bonitätsprüfung zulassen

Das Bundeskabinett hat den Entwurf zur Regulierung von Auskunfteien leicht verwässert. Ausdrücklich erlaubt werden soll, Wohnortdaten in die Ermittlung der Scorewerte zur Prüfung der Kreditwürdigkeit einzubeziehen.

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Das Bundeskabinett hat am heutigen Mittwoch seinen Gesetzesentwurf (PDF-Datei) zur Regulierung von Auskunfteien verabschiedet. Mit dem Vorstoß im Rahmen einer Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) soll das zunehmend in der Wirtschaft eingesetzte Scoring für die Bonitätsprüfung transparenter werden. Im Vergleich zum letzten Referentenentwurf, den Datenschützer mit Lob bedachten, hat die Bundesregierung ihre Fassung an einigen Stellen verwässert. Ausdrücklich erlaubt werden soll, Wohnortdaten in die Ermittlung der Scorewerte zur Prüfung der Kreditwürdigkeit einzubeziehen. Entsprechende Klauseln können die Scoring-Anbieter im Kleingedruckten ihrer Geschäftsbedingungen verstecken.

Geht es nach dem beschlossenen Papier müssen nur noch Auskunfteien selbst, also Unternehmen, die Informationen über die tatsächliche oder vermeintliche Zahlungsfähigkeit und -willigkeit von Privatpersonen sammeln und verkaufen, Auskünfte über das Zustandekommen von Scorewerten erteilen. Ausgenommen werden sollen die Verwender der Kalkulationen von Auskunfteien zur Kreditwürdigkeit. Weggefallen ist ferner die Verpflichtung, die zur Berechnung der Wahrscheinlichkeitswerte genutzten Datenarten "in absteigender Reihenfolge ihrer Bedeutung für das im Einzelfall berechnete Ergebnis aufzuführen". Zudem hat die Regierung die Frist, innerhalb der Angaben über eine ausstehende Forderung nach der ersten Mahnung an Auskunfteien übermittelt werden dürfen, von acht auf vier Wochen halbiert.

"Für den Betroffenen muss klar sein, welche Informationen mit welcher Gewichtung in einen Scorewert eingeflossen sind und ihn gegebenenfalls negativ beeinflusst haben", beäugt der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar die Änderungen kritisch. Er pocht darauf, dass die "maßgeblichen Merkmale nach ihrer Bedeutung beziehungsweise dem Grad ihres Einflusses auf den konkreten Scorewert mitgeteilt werden sollten". Er wünsche sich zudem, "dass nur solche Unternehmen diese sensiblen Informationen bekommen, die ein kreditorisches Risiko eingehen". Außen vor bleiben sollten Firmen, die sich bereits auf anderem Wege absichern könnten. Auszuschließen sei, "dass sich letztlich sogar Arbeitgeber bei Auskunfteien über die finanziellen Verhältnisse ihrer Mitarbeiter informieren dürfen". Auch hier müsse der Entwurf noch nachgebessert werden.

Prinzipiell begrüßte Schaar den Ansatz des Gesetzgebers. In die Scorewerte würden nicht nur Angaben über das tatsächliche Verhalten der Betroffenen einbezogen, sondern auch soziodemographische Daten wie Alter oder beruflicher Status, Wohnumfeldanalysen oder von Dritten angekaufte Daten wie etwa Kfz-Daten aus dem Kraftfahrzeugbundesamt. Die Bonität des Einzelnen werde dabei auch ohne relevante individuelle Informationen etwa über konkretes Zahlungsverhalten oder Einkommens- und Vermögensverhältnisse bewertet. Dem Betroffenen werde damit die Möglichkeit genommen, "durch eigenes rechtstreues Verhalten sein Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit zu beeinflussen". Unter Scoring versteht man allgemein mathematisch-statistische Verfahren zur Einschätzung der Kreditwürdigkeit von Verbrauchern.

Auch die Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung (Schufa) sieht als bekannteste Auskunftei den überarbeiteten Entwurf weiterhin kritisch. In dem Vorhaben sei etwa der zentrale Begriff einer Auskunftei nicht definiert, moniert der Dienstleister. Damit werde für Verbraucher nicht deutlich, welche Unternehmen Daten zu Kreditgeschäften ihrer Person speichern und weitergeben dürfen. Der Entwurf akzeptiere zudem überraschenderweise die Praxis mancher Anbieter, die Kreditwürdigkeit einer Person anhand von Informationen über ihre Wohngegend im Rahmen des "Geo-Scoring" zu beurteilen. Damit werde die Transparenz als eigentliches Ziel der Neuregelung konterkariert. Die Schufa spricht sich dafür aus, die Zulassung von Auskunfteien gesetzlich zu regeln. Den Verbrauchern sollte etwa über eine Internetseite ermöglicht werden, die über sie gespeicherten Daten bei allen zugelassenen Auskunfteien zu erfahren.

Oppositionsparteien geht der Vorstoß ebenfalls nicht weit genug. Nach mehr als zwei Jahren Beratung habe sich die Regierung "auf ein wenig Datenschutz und auf viel Wunscherfüllung für die Wirtschaft verständigt", beklagt die innenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Silke Stokar. Nach dem Willen des Kabinetts "bestimmt künftig der Stadtteil, in dem ich wohne, darüber, ob und zu welchen Konditionen ich Verträge abschließen kann". Wer in einer "Risiko-Zone" gemeinsam mit Armen und Migranten lebe, bezahle höhere Zinsen, bekomme möglicherweise keinen Handy-Vertrag oder werde vom Kauf gegen Rechnung ausgeschlossen.

Bei den vorgesehenen Auskunftsrechten bleibt Stokar zufolge völlig offen, wie diese realisiert werden könnten. Nötig sei ein "Bürgerportal" im Web für alle Betroffenen, über das die Verbraucher zweimal im Jahr umsonst Auskunft über ihre Scorewerte erhalten sollten. Der Entwurf sieht eine einmalige Gratisinfo pro Jahr vor. Die Innenexpertin der FDP, Gisela Piltz, sieht derweil die Chance für eine umfassende Modernisierung des Datenschutzrechts erneut vertan. Die SPD hat ebenfalls bereits Korrekturen zumindest an "klitzekleinen Details" des Entwurfs gefordert.

Laut Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat die Regierung dagegen ein Vorhaben beschlossen, das "eine ausgewogene Balance schafft zwischen dem verbesserten Schutz der Verbraucher und den Interessen der Wirtschaft". Den Verbrauchern müsse künftig in allgemein verständlicher Form erklärt werden, wie ein konkreter Scorewert zustande gekommen ist. Gleichzeitig werde aber auch die Rechts- und Planungssicherheit für die Unternehmen erhöht.

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(Stefan Krempl) / (jk)