2008 im Rückspiegel

KDE 4 und neue Versionen von Ubuntu, Fedora und Opensuse, spektakuläre Firmenübernahmen, Sun macht sein Versprechen wahr und gibt OpenSolaris frei, Linux auf Netbooks und Smartphones. Was hat sich 2008 in der Open-Source-Welt alles getan?

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Von
  • Alexandra Kleijn
Inhaltsverzeichnis

2008 liegt hinter uns, 2009 ist bereits eine Woche alt. Linux und Open Source sind wieder ein Stückchen weiter in den IT-Alltag vorgestoßen. Welche Themen bewegten die Open-Source-Welt im vergangenen Jahr?

Auf dem Desktop konnte Open-Source-Software 2008 punkten. Sowohl Firefox als auch die MS-Office-Alternative Openoffice gingen mit einer Dreier-Version in die nächste Runde – und erobern zunehmend auch Windows-Desktops. Firefox 3, schneller und weniger speicherhungrig als sein Vorgänger, schaffte es mit über acht Millionen Downloads innerhalb der ersten 24 Stunden ins Guinness-Buch der Rekorde. Fast zwanzig Prozent der Websurfer sollen die quelloffene Software des Mozilla-Projekts inzwischen im Einsatz haben. Konkurrenz bekamen der freie Browser und Microsofts Internet Explorer im Herbst von Googles neuem Surf-Tool Chrome, das vor allem Microsoft die Vorherrschaft im Browser-Markt streitig machen will. Schade nur, dass die Software bislang lediglich für Windows erhältlich ist.

Das von Canonical gesponserte Ubuntu war auch 2008 die populärste Linux-Distribution. Während im Frühjahr mit Ubuntu 8.04 "Hardy Heron" eine neue LTS-Version (Long Term Support) des Betriebssystems erschien, der auch Unternehmenskunden erfreut haben dürfte, gaben die Entwickler im Oktober plangemäß das aktuelle Release 8.10 "Intrepid Ibex" frei. Auch Opensuse und Fedora zeigten sich fleißig and gaben jeweils zwei neue Versionen heraus. Das kurz vor Weinachten erschienene Opensuse 11.1 sorgt für mehr rechtliche Sicherheit, indem es freie und proprietäre Software deutlich trennt.

Eine auffällige Neuerscheinung im Distributionsreigen war Suns OpenSolaris, das im Mai mit Version 2008.5 den Schauplatz betrat und im November das aktuelle Release 2008.11 nachschob. Für den Desktop-User vielleicht nicht unbedingt eine Alternative zu Ubuntu und Co, dürften Schmankerl wie Dtrace und das hochskalierbare ZFS-Dateisystem Systemadministratoren Lust auf mehr machen.

Nicht geschafft hat es Debian 5 "Lenny". Erst sorgte ein Fehler in der OpenSSL-Bibliothek der Distribution, der die Erzeugung von schwachen Krypto-Schlüsseln zur Folge hatte, für Verwirrung und Aufregung. Eine Reihe von kritischen Bugs sowie interne Streitigkeiten ließen die letzten Monate von 2008 ohne das geplante Release vorbeigehen. Nun aber soll der Weg für Debian 5.0 geebnet sein.

KDE 4 hat seinen Weg in die großen Distributionen gefunden. Die komplett überarbeitete Neuauflage des beliebten Linux-Desktops wurde im Januar freigegeben und hatte einen mühsamen Start. Viele Kinderkrankheiten sorgten dafür, dass die großen Distributionen mit Ausnahme von Opensuse das Release erstmal argwöhnisch beäugten und dem neuen KDE erst mit der im Sommer herausgebrachten und deutlich stabileren Version 4.1 gegenüber dem vertrauten KDE 3.5 den Vorzug gaben.

Nach fünfzehn Jahren Entwicklungszeit erhielt die freie API-Emulation Wine im Juni endlich die Versionsnummer 1.0. Die Software sorgt dafür, dass Windows-Anwendungen mehr oder weniger flüssig unter Linux laufen; praktisch für MS-Office-Anhänger, Photoshop-Fans und Spiele-Liebhaber.

2008 war das Jahr der Netbooks – Mini-Laptops, die zwar nicht mit toller Ausstattung punkten, dafür aber so leicht und handlich sind, dass man sie überall mit dabei haben kann. Für Windows Vista sind die Winzlinge zu schwachbrüstig. So schickten der taiwanesische Hersteller Asus, der mit dem Eee PC den ersten Vertreter dieser Gattung auf den Markt brachte, und andere Notebook-Macher ihre Geräte mit Linux ins Rennen. Ein richtiger Durchbruch gelang dem freien Betriebssystem jedoch nicht. Microsoft legte nach und bezirzte die Hardware-Hersteller mit einer billigen XP-Lizenz. Schätzungen gehen immerhin von zehn bis dreißig Prozent Marktanteil für Linux bei den Netbooks aus.

Diverse Linux-Distributoren versuchen sich an einer Version speziell für Netbooks. So arbeitet Ubuntu nach eigenen Angaben in diesem Bereich mit Intel und diversen anderen Hardware-Herstellern zusammen und hat seit dem Sommer die für Intels Atom-Prozessor optimierte Ubuntu Netbook Remix im Programm. 2009 verspricht ein interessantes Jahr in diesem neuen Marktsegment zu werden.

Im Embedded-Bereich machten vor allem Google und die Open Handset Alliance mit Android von sich reden. Android basiert auf Linux 2.6.25 für ARM-Prozessoren und lässt sich von Smartphone-Herstellern auf die eigenen Bedürfnisse zuschneiden. Ein SDK gab es bereits, auf ein handfestes Gerät mit dem Linux-Betriebssystem musste sich die Welt jedoch bis Oktober gedulden. HTC und T-Mobile waren mit dem G1 am schnellsten, aber auch andere Hersteller wie Motorola und Asus arbeiten mit Hochdruck an Android-Geräten.

Microsoft bekräftigte den 2006 geschlossenen Interoperabilitätspakt mit Novell mit dem Kauf von weiteren Support-Zertifikaten für Suse Linux Enterprise. Nachdem der Redmonder Riese zu Beginn der Partnerschaft bereits Linux-Zertifikate für die Weitergabe an Kunden in Wert von 240 Millionen US-Dollar gekauft hatte, gab das Unternehmen im August noch mal 100 Millionen Dollar dafür aus.

Im Januar gab Microsoft sein Debüt auf dem Kongress Open Source Meets Business in Nürnberg. Sam Ramji, Leiter von Microsofts Open-Source-Labor und inzwischen zum Senior Director of Platform Strategy aufgestiegen, erläuterte in seiner Keynote (Webcast) die Open-Source-Strategie seines Unternehmens und stand Rede und Auskunft in einer Podiumsdiskussion mit namhaften Vertretern aus der Open-Source-Welt. Wohl als Reaktion auf den Kundenwunsch nach mehr Interoperabilität unterstützt der Software-Gigant seit diesem Sommer die Apache Software Foundation (ASF), Hüterin des gleichnamigen quelloffenen Webservers und zahlreicher verwandter Projekte mit 100.000 US-Dollar jährlich.

2008 war auch das Jahr, in dem Microsoft nach jahrelangen Scharmützeln mit den Wettbewerbshütern der EU-Kommission ein Einsehen hatte und eine Reihe von Protokollen sowie Windows-Schnittstellen und -Spezifikationen offenlegte. Die neue Offenheit soll sich außer in frei zugänglichen Schnittstellen auch in der Unterstützung von internationalen Standards, der Portabilität von Daten und in einer besseren Zusammenarbeit mit anderen Herstellern niederschlagen. Zu diesem Zweck startete Microsoft auch die Open Source Interoperability Initiative, eine Plattform zum Austausch mit Open-Source-Projekten.

2008 segnete Linux-Schöpfer Linux Torvalds fünf neue Kernelversionen ab. Linux 2.6.24 erschien im Januar; im üblichen Zehn- bis Zwölf-Wochen-Rhythmus folgten 2.5.25 (April), 2.6.26 (Juli) und 2.6.27 (Oktober). Am ersten Weihnachtstag lag Linux 2.6.28 mit wie üblich einer Menge neuer und überarbeiteter Treibern unter dem Baum. Der Ext3-Nachfolger Ext4 darf mit dieser Version als nahezu stabil gelten. Viele Verbesserungen bei der Speicher-, Datenträger und GPU-Verwaltung sollen einen Geschwindigkeitszuwachs und eine bessere Skalierbarkeit auf großen Servern bringen.

Die im Sommer 2007 erschienene Version 3 der berühmtesten Open-Source-Lizenz, der GPL, erfreut sich einer wachsenden Beliebtheit. Laut dem Compliance-Spezialisten Black Duck, der genauso wie Mitbewerber Palamida die Adoptionsrate der GPLv3 beobachtet, hat sie inzwischen der Mozilla Public License (MPL) sowie der Apache-Lizenz in der Popularität den Rang abgelaufen.

Statt des erwarteten Börsengangs entschied sich Datenbank-Spezialist MySQL im Januar für ein Zusammengehen mit Sun, das das schwedisch-amerikanische Unternehmen für eine satte Milliarde US-Dollar kaufte. Damit hat der Hard- und Software-Hersteller einen kompletten Open-Source-Stack für die Web-Entwicklung in den Händen: Neben MySQL das Betriebssystem OpenSolaris, Java und den Applikationsserver Glassfish. Und MySQL bekommt durch die Übernahme einen Fuß in die Tür bei größeren Geschäftskunden, einer Liga, in der der Datenbankhersteller ohne die Rückendeckung eines Großunternehmens wie Sun nicht wirklich spielen konnte. Ende November brachte Sun das lange erwartete MySQL 5.1, das mit vielen Neuerungen aufwartet, heraus.

Mit MySQL war Suns Einkaufstour im Open-Source-Land noch nicht zu Ende. Im Februar folgte die Übernahme der deutschen Firma Innotek, deren quelloffene Virtualisierungssoftware VirtualBox sich als Alternative zu VMwares Desktop-Virtualisierer VMWare Workstation einer zunehmenden Beliebtheit erfreut. Die Software ist inzwischen Bestandteil von Suns Virtualisierungsrundumlösung xVM, die weiter noch den xVM Server, die Managementsoftware xVM Ops Center und Suns VDI (Virtual Desktop Infrastructure) mit dem Virtual Desktop Connector für die Einbindung anderer Virtualisierer umfasst

Auch Red Hat legte sich in Form von KVM (Kernel Virtual Machine) eine eigene Virtualisierungssoftware zu. Der US-amerikanische Linux-Distributor bezahlte im September 107 Millionen US-Dollar für das israelische Startup-Unternehmen Qumranet, die treibende Kraft hinter KVM. Der Kauf bedeutete einen Kurswechsel für das Unternehmen aus North Carolina, das bis dahin auf Xen als freie Virtualisierungslösung gesetzt hatte.

Der finnische Handy-Marktführer Nokia verleibte sich Trolltech ein, die Entwicklerfirma hinter dem GUI-Framework Qt und der Linux-Anwendungsplattform für Mobilgeräte Qtopia (mit Version 4.4.1 in Qt Extended umbenannt). Zudem kauften die Finnen die Entwicklungsgesellschaft Symbian mit dem Vorhaben, Symbian OS und andere Software-Komponenten in die neu zu gründende Symbian Foundation zu überführen. Dort sollen sie als Grundlage für eine universelle Symbian-Plattform für Mobilgeräte dienen. Mit der eigenen Linux-Plattform Maemo für die Nokia Internet Tabletts hat Nokia noch ein heißes Eisen im Feuer. Auch Maemo könnte in Zukunft auf High-End-Smartphones oder Touchscreen-Handys zum Einsatz kommen, stünde dann allerdings in Konkurrenz zu Symbian.

Red Hat zeigt sich weitgehend von der Finanzkrise unbeeindruckt und konnte 2008 sowohl Umsatz als auch Gewinn steigern. Mitbewerber Novell, obwohl nicht ganz so erfolgreich, verzeichnete einen deutlichen Umsatzzuwachs bei den Linux-Abonnements. Auch wenn das Unternehmen aus Utah durch den Deal mit Microsoft, der auch eine Patentvereinbarung enthielt, bei großen Teilen der Open-Source-Gemeinde in Ungnade gefallen war, scheint die Partnerschaft dem Linux-Anbieter im Business-Bereich ganz gut getan zu haben.

Auch wenn sich die Anleger 2008 in der zweiten Jahreshälfte deutlich zurückhaltender zeigten, war 2008 ein gutes Jahr für Open-Source-Firmen, die auf eine Finanzspritze hofften. Insgesamt 460 Millionen US-Dollar investierten die Risikokapitalgeber in Open Source, mehr als ein Drittel mehr als im Vorjahr. Ein Großteil der Deals kam vor dem Sommer zustande. Geld gab es unter anderem für den Java-Spezialisten SpringSource (15 Millionen US-Dollar), den Hersteller der Blogging-Software WordPress Automattic (29,5 Millionen US-Dollar), die spanische ERP-Firma Openbravo (12 Millionen US-Dollar), die beiden BI-Spezialisten Jaspersoft (12,5 Millionen US-Dollar) und Pentaho (12 Millionen) sowie für Alfresco (Enterprise Content Management, 9 Millionen), Funambol (Sync-Dienste, 12,5 Millionen) und EnterpriseDB (Summe nicht bekannt).

Die eigentlich schon lange dem Untergang geweihte SCO-Gruppe musste mit einem abschließenden Gerichtsurteil, dass Novell die Copyright-Rechte an Unix nicht abgetreten hat, als es die Unix-Entwicklung an SCO verkaufte, erneut eine Niederlage einstecken. Im laufenden Konkursverfahren hat die SCO Group zudem versäumt, den vor Jahresende fälligen Geschäftsplan zur Neuorganisation einzureichen, sodass die Gruppe, sollte der Konkursrichter keine Terminverlängerung zulassen, im März vor dem endgültigen Aus steht.

Ein gutes, wenn auch kein weltbewegendes Jahr für Open Source also. Vor allem in Unternehmen gewinnt freie Software immer mehr an Boden, nicht nur im Infrastrukturbereich, sondern zunehmend auch bei Geschäftsanwendungen wie ERP, CRM und Business Intelligence – und dank Firefox und OpenOffice sogar auf dem (Windows-) Desktop. Was bringt 2009? Birgt die Wirtschaftskrise, wie viele hoffen, Chancen für Open Source? Stehen neue Übernahmen in den Sternen? Für Unternehmen mit starker Bilanz liegen hier sicher Möglichkeiten. Entwickeln sich neue Geschäftsmodelle? Und was passiert auf dem Desktop? Hat Linux auf Netbooks eine Chance? Wie geht es weiter mit Googles Android und Chrome? Heise open freut sich auf spannende Zeiten. (akl)