Chipkrise: Elektroautos erhöhen den Bedarf nach Halbleitern

Die Chip-Knappheit führt zu langen Lieferzeiten und Produktionsausfällen in der Autoindustrie. Ursachen sind Corona und Fehleinschätzungen der Hersteller.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 39 Kommentare lesen
Tesla Model Y

Der Chipbedarf steigt weiter steil an. Treiber ist unter anderem die Umstellung bei den Antrieben: Ein Elektroauto braucht mehr Halbleiter als ein Modell mit Verbrennungsmotor.

(Bild: Pillau)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Christoph M. Schwarzer
Inhaltsverzeichnis

"Der Halbleiter wird die neue Batteriezelle", sagt Markus Hackmann. Das sei vor vier Jahren klar geworden, erklärt der Geschäftsführer der P3 Group. Autohersteller, die sich auf das Problem vorbereitet hätten, kämen jetzt besser durch die Herausforderung. In einer Analyse des Beratungsunternehmens P3 beschreiben die Autoren die Ursachen und Wirkungen der aktuellen Halbleiterkrise: Die Autoindustrie habe sich abhängig gemacht von asiatischen Produzenten – ähnlich wie zuvor bei den Batteriezellen. Die Lieferketten seien gestört und betroffen vor allem Elektroautos.

Batterieelektrische Autos haben im Vergleich zu Pkw mit einem Verbrennungsmotor gut doppelt so viele Halbleiter: 1300 zu 600 betrage das Verhältnis ungefähr, argumentiert P3. Die Konzentration findet im Antriebsstrang und dort im Wechselrichter statt: Hier sind etwa 600 Halbleiter verbaut, während es bei einem Verbrennungsmotor 300 sind.

Batterieelektrische Autos brauchen mit 1300 Exemplaren rund doppelt so viele Halbleiter wie Pkw mit Verbrennungsmotor. Die Chips konzentrieren sich im Wechselrichter.

(Bild: P3 Group)

In einem eher simplen Auto von 2017 mit Verbrennungsmotor haben die Halbleiter circa zwei Prozent der Gesamtkosten ausgemacht. In einem batterieelektrischen Auto von 2030 werden es sechs Prozent sein, also das Dreifache. Bei der Elektrifizierung werden sie für Ladegerät, Zentralrechner, DC-/DC-Wandler, Hochvoltbatterie, Wechselrichter sowie Elektromotor selbst benötigt. Weitere Treiber der Entwicklung sind Fahrautomatisierung und Infotainment. Autonomes Fahren erfordert spätestens mit den Levels 4 und 5 mehrere Kameras, Radarsysteme und Sensoren. In Zukunft werden das Bremsen und Lenken by wire arbeiten. Die Infotainment- und Konnektivitätseinheiten haben mehr Halbleiter als ein Radio. Jede Menge Chips also, die da künftig gebraucht werden.

Bis 2030 wird die Anzahl der Halbleiter im (Elektro-)Auto weiter ansteigen. Sie werden für die Fahrautomatisierung gebraucht, aber auch für die Elektrifizierungskomponenten und das Infotainment.

(Bild: P3 Group)

Als "Wiederholfehler wie bei der Batteriezelle" bezeichnet die P3 Group die Abhängigkeit von asiatischen Herstellern sowohl beim Produkt selbst als auch im Anlagenbau. Die Bedeutung der Halbleiter wurde wie die der Batteriezelle unterschätzt; die Autoindustrie hat sie zu einem beliebigen Teil eines Zulieferers degradiert.

Die Marktmacht der Autoindustrie ist bei den Halbleitern aber vergleichsweise gering: Nur acht Prozent werden hier abgenommen, während die Consumer Electronics wie Smartphones und PCs 80 Prozent ausmachen. Auslöser der derzeitigen, für manche Hersteller fast katastrophalen Lage ist die Covid-Pandemie: Aus Angst vor einem Einbruch der Nachfrage wurden 2020 viele Bestellungen storniert. Es gab aber lediglich eine Delle, der Markt sprang wieder gut an. Zeitgleich wuchs jedoch die Nachfrage nach Chips für Consumer Electronics sprunghaft an, weil zum Beispiel weltweit Tablets und Notebooks fürs Remote-Learning gebraucht wurden.

Auslöser der Halbleiterkrise war die Covid-Pandemie. Das gilt auch jetzt noch. In den asiatischen Häfen ist Stau.

(Bild: P3 Group)

Der Wechsel aus neuen Covid-Ansteckungen, zeitweisen Lockdowns und dem nachfolgenden Boom führt bis heute zu Stockungen. So hat sich der Stau vor dem Hafen von Shanghai – dem größten der Erde – nicht ansatzweise aufgelöst. Die Containerschiffe fahren mit hoher Geschwindigkeit, weil die Kosten auf die Endpreise umgelegt werden können. Für Halbleiter werden extreme Preise gefordert und auch bezahlt. In Europa wiederum bildet sich der nächste Stau, weil die Seehäfen in Rotterdam, Antwerpen und Hamburg bereits am Anschlag arbeiten.

Die Autoindustrie hat sich Abhängigkeit gemacht von Zulieferern aus Asien. Das nennt die P3 Group, von der diese Analyse kommt, einen „Wiederholfehler wie bei der Batteriezelle“.

(Bild: P3 Group)

Es kann derzeit bis zu 72 Wochen ab Bestellung dauern, bis Halbleiter angekommen sind. Eine prekäre Gemengelage, die zu den bekannten Verzerrungen führt: So ist es praktisch nicht möglich, die Basismodelle von batterieelektrischen Autos wie dem VW ID.3 zu bekommen. Wegen der Verknappung konzentrieren sich die Hersteller – und das gilt auch für Pkw mit Verbrennungsmotor – auf den Verkauf margenstarker Modelle.

Geringe Marktmacht: Autos nehmen nur acht Prozent der weltweiten Halbleiterproduktion ab. Das Gros geht in die Consumer Electronics.

(Bild: P3 Group)

Das klappt nur, weil Nachfrage und Kaufkraft weiterhin stark sind. Das aber muss keineswegs so bleiben: In den preissensiblen Segmenten gibt es potenzielle Kunden, die derzeit gar nicht bedient werden können. Im schlechtesten Fall machen irgendwann chinesische Marken die attraktiven Angebote in der Kompaktklasse und bei den Kleinwagen.

Immerhin zeichnet sich ab, dass Bosch ab 2023 im Werk Dresden mehr Halbleiter produzieren kann. Intel investiert 17 Milliarden Euro in Magdeburg. Intel ist zwar kein originärer Autozulieferer; die räumliche Nähe nach Wolfsburg und anderswo wird das aber ergeben. Allerdings ist mit einer Produktion in großen Stückzahlen erst 2027 zu rechnen.

Im Vergleich zu einem konventionellen Pkw von 2017 wird sich der Anteil der Halbleiter an den Gesamtkosten von zwei auch sechs Prozent bei einem Elektroauto des Jahres 2030 verdreifachen.

(Bild: P3 Group)

"In der akuten Situation bauen wir bei der P3 Group Transparenz über die Lieferketten auf", sagt Mauritz Schwartz, Spezialist für Halbleiter. Vielen Beteiligten in der Autoindustrie sei nicht klar, wer zum Beispiel tatsächlich Produzent und wer Zwischenhändler wäre. Aus dieser Analyse ließen sich Verbesserungen und exaktere Lieferprognosen erstellen.

Die Notlage ist das Ergebnis von Fehleinschätzungen plus Covid-Pandemie. Die Antwort darauf muss eine zumindest teilweise Regionalisierung der Produktion sein. Nur so lässt sich die überzogene Abhängigkeit von Halbleitern aus Asien reduzieren. Auf diese Weise werden Lieferketten auch nachvollziehbar, und Störungen lassen sich leichter beheben. Wie lange sich die Halbleiterkrise fortsetzt, ist offen. Irgendwann hat sie sich aufgelöst – und die Konsequenzen sind dann hoffentlich gezogen. Wenn Halbleiter und Batteriezellen aber weiterhin vorwiegend aus Asien kommen, ist das eine Gefahr für den Standort Europa und folglich für die deutsche Industrie.

Transparenz in den Lieferketten zu schaffen ist eine von mehreren Maßnahmen, um die akute Lage bewältigen zu können. In Zukunft werden hoffentlich neue regionale Produktionswerke wie bei Intel in Magdeburg für eine Entlastung sorgen.

(Bild: P3 Group)

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Umfrage (Opinary GmbH) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Opinary GmbH) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

(mfz)