Wasserstoff im Lkw: Schwerlastverkehr mit Brennstoffzellen vor Serienfertigung
Eine Möglichkeit, den Schwerlastverkehr zu dekarbonisieren, ist die mit grünem Wasserstoff betriebene Brennstoffzelle. Clean Logistics will das ab 2023 anbieten
- Christoph M. Schwarzer
Sechs Prozent der CO₂-Emissionen in der Europäischen Union entstehen durch den Schwerlastverkehr. Kohlendioxid, das vor allem bei der Verbrennung von Dieselkraftstoff frei wird. Die Volkswirtschaften von Sevilla bis Trondheim und von La Rochelle bis nach Kattowitz sind abhängig vom zuverlässigen Betrieb der Zugmaschinen.
Bei den Alternativen zu fossilen Ressourcen aber ist die Lkw- anders als die Pkw-Industrie nahezu blank: Es gibt Prototypen, Forschungsfahrzeuge und erweiterte Handfertigung. Großserienprodukte oder konkrete Initiativen dagegen sind rar. Umso erstaunlicher ist die Ankündigung, die der Systemanbieter GP Joule macht: In Zusammenarbeit mit Clean Logistics werden ab 2023 und bis 2027 insgesamt 5000 brennstoffzellen-elektrische Zugmaschinen an Speditionen geliefert und mit Wasserstoff versorgt.
Zur Einordnung: Die Welt der schweren Lkw ist klein. In Deutschland wurden laut Kraftfahrtbundesamt 2022 bis inklusive Juli 19.706 Exemplare der Kategorie "Sattelzugmaschinen" neu zugelassen. Ein Drittel davon – 6509 Stück – entfielen auf Daimler Trucks.
Die weiteren bekannten Namen: DAF (3686 Stück), MAN und Scania von der Volkswagen-Dachmarke Traton (3438 und 1851 Neuzulassungen) sowie Volvo (2667). Bis 2030, so sehen es die Flottengrenzwerte der Europäischen Union vor, müssen die CO₂-Emissionen um 30 Prozent sinken. Das wird nicht ausschließlich über effizientere Dieselmotoren möglich sein.
40 kg Wasserstoff je Lkw
5000 brennstoffzellen-elektrische Lkw des Typs Fyuriant sind also mehr, als die pure Zahl vermuten lässt. Wie funktioniert das? Clean Logistics hat im Juli den niederländischen Lkw-Hersteller GINAF Trucks übernommen. Von dort kommen die Rohfahrzeuge. Clean Logistics baut im Anschluss den eigenen Antriebsstrang ein: Je nach Anforderung werden Brennstoffzellen mit 120 oder 240 kW montiert.
Eine Besonderheit des Fyuriant ist die elektrische Achse mit Radnabenantrieb. Der Wasserstoff (über 40 kg pro Zugmaschine) wird in konventionellen 350-bar-Tanks gespeichert. Als Puffer für die Rekuperation und starke Leistungsabfrage sind zusätzlich Lithium-Ionen-Batterien verbaut.
H2 mit Strom aus Windkraft
Die eigentliche Initiative liegt bei GP Joule. Die Firma ist in Norddeutschland ursprünglich als Projektpartner für Ladeinfrastruktur bekannt geworden. Inzwischen verknüpft der Systemanbieter die Produktion von Strom aus erneuerbaren Energien – das bedeutet in Schleswig-Holstein meistens Windkraft –, mit Lade- und Wasserstoff-Infrastruktur. Eine für GP Joule typische Umsetzung ist das Projekt "e-Farm": Windpark, Elektrolyseure zur Wasserstoffherstellung und Tankstelle kommen mit den Linienbussen von Caetano-Toyota zusammen, und auch ein Hyundai Nexo-Pkw kann hier Energie zapfen.
Der Wasserstoff, den GP Joule liefert, ist also nicht grau – aus Dampfreformierung durch Erdgas hergestellt –, sondern grün. Speditionen könnten auf Wunsch sogar eine H2-Tankstelle auf den Betriebshof bekommen; ein Vorgehen, das bei Dieselkraftstoff nicht unüblich ist. Der Nachholbedarf jedenfalls ist sehr groß: Zurzeit sind in Deutschland lediglich 13 Wasserstoff-Säulen für Lkw in Betrieb; bis Jahresende kommen 14 hinzu, und in Westeuropa sind es insgesamt 56.
Die Stimmung in der Branche ist trotzdem sehr gut. Es ist keineswegs zynisch gemeint, dass der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine zu einer Beschleunigung des Handelns führt: Was passiert, wenn fossile Ressourcen blockiert sind oder zur Neige gehen? Brennstoffzellen-Lkw gelten neben batterie-elektrischen Zugmaschine als eine besonders geeignete Lösung, wobei auf Langstrecken zumindest unter den Spediteuren die Brennstoffzelle favorisiert wird.
Hyundai in Führung
Bei den Herstellern gibt es dem äußeren Anschein nach zwei Lager: Zum einen Hyundai, Mercedes und Volvo, wo man sowohl auf batterie- als auch auf brennstoffzellen-elektrische Lkw setzt. Zum anderen Traton mit MAN und Scania. Hier bevorzugt man in der öffentlichen Darstellung batterie-elektrische Zugmaschinen, schließt aber die brennstoffzellen-elektrische Möglichkeit nicht aus. Optionen wie Oberleitungen werden nur noch bei praxisfernen "Think-Tanks" in Betracht gezogen.
Chronologisch betrachtet hat Hyundai mit dem Xcient den Anfang gemacht. Über 100 Exemplare fahren in der Schweiz, und in Bremerhaven sind im August die ersten 27 Xcient für deutsche Speditionen angekommen. Der Xcient hat einen 350 kW starken Elektromotor mit einem Drehmoment von 2237 Nm. Das Brennstoffzellensystem leistet 180 kW, und Pufferbatterien mit 72 kWh Energiegehalt erledigen den Rest. Der Xcient kommt mit 31 kg Wasserstoff rund 400 km weit. Der Hyundai-Konzern ist breit aufgestellt und geht weit über die Motordivision hinaus. Für das südkoreanische Großunternehmen ist klar, dass Batterie- und Brennstoffzellen-elektrische Antriebe nebeneinander existieren.
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GP Joule: Praxis statt Forschung
Während man bei GP Joule und Clean Logistics Nägel mit Köpfen macht und Hyundai die Auslieferung fortsetzt, testet man bei Daimler Truck die Betankung mit tiefgekühltem Wasserstoff. Das reduziert das erforderliche Volumen und erhöht die Reichweite auf bis zu 1000 km. Ob diese High End-Lösung serienreif wird, steht keineswegs fest. 2030 sollen 60 Prozent der neu zugelassenen Zugmaschinen von Daimler Truck CO₂-neutral sein; welchen Anteil batterie- und welchen brennstoffzellen-elektrische Lkw haben werden, lässt man offen.
Nach heutigem Stand ist man in der Praxisforschung und nicht in der Serienproduktion. So ist es mit GP Joule einem ehrgeizigen mittelständischen Unternehmen zu verdanken, dass Bewegung in die Sache kommt. Dem Vernehmen nach können die H2-Lkw geleast oder als Full-Service-Modell nach Kilometernutzung bezahlt werden.
(mfz)