Computex

Das begeisterte Warten aufs mobile Internet

Intel Moorestown, ARM-CPUs von Qualcomm und Nvidia, MIDs mit Android und Moblin - alle geben sich begeistert, nichts ist fertig. Die enthusiastische Baustelle.

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Inhaltsverzeichnis

Einige Anwender finden die aktuellen Netbooks, die rund 300 Euro kosten und 1,3 Kilogramm wiegen, schon mobil genug. Der große Durchbruch des mobilen Internets mag aber wohl erst mit besser dafür optimierten Geräten gelingen. Genau darauf zielte beispielsweise der von Microsoft und Intel 2006 angekündigte Ultra-Mobile PC (UMPC, Origami); etwa ein Jahr später sprach Intel dann von Mobile Internet Devices (MIDs), auf denen statt Windows (Mobile) gerne auch Linux (Moblin) laufen sollte. Nun sind schon Jahre vergangen, doch die Verkaufszahlen bleiben weit hinter den Erwartungen zurück. Nur 30.000 statt der von Intel erwarteten 200.000 MIDs habe man nach Angaben von deren Produzenten verkauft. meldet die gewöhnlich gut informierte Digitimes. Die Hersteller nennen als Hauptgründe die Wirtschaftkrise und hohe UMTS-Gebühren.

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Netter Job: Nvidias Mobility-Chef Michael Rayfield stellt 20 wohlgeformte Geräte vor, von denen sich aber nur wenige anmachen ließen -- die meisten konnten nur mit ihren Kurven überzeugen. Und die Damen sind dabei auch noch nett anzusehen.

Die Erwartungen an die Geräte sind hoch: Laufzeiten in der Größenordnung von Tagen, Displays mit mindestens 800 Punkten in der Breite, aber kaum größere Gehäuse mit weit unter einem Kilogramm Gewicht. Vor allem fehlt eine ausgereifte und intuitive Bedienoberfläche. Ob die Geräte dann Netbook heißen oder MID, Smartbook, Surfphone, Web-Pad, Surfpad oder Smartsonstwie, spielt nur in den Marketing- und Rechtsabteilungen eine Rolle.

Die Industrie nähert sich diesen Zielvorgaben von zwei Seiten: Das x86-Lager mit Intel, AMD und VIA versucht, Größe und Stromhunger ihrer Plattformen zu bändigen, und das ARM-Lager mit Prozessorherstellern wie Qualcomm, Freescale, Nvidia und TI ist auf der Suche nach mehr Rechen- und Grafikleistung. Beide Seiten zeigten auf der Computex zwar Fortschritte, doch als größtes Problem erweist sich vielleicht ein gemeinsames: die Bedienoberfläche. So kamen dann vor allem die offenen Baustellen ans Licht – und das passt ja wiederum irgendwie gut zur Computex, deren zwei Ausstellungsorte von U-Bahn-Baustellen umgeben sind.

Die größeren Fortschritte gelangen dieses Jahr der ARM-Seite mit vielen Geräten und Ankündigungen, aber keinem einzigen wirklich fertigen Produkt. Bei den x86-ern passierte weniger: VIA stellte überraschend viele Netbooks aus, aber kein funktionsfähiges kleineres Gerät. Nur ein funktionsloses Muster (Mockup) eines Smartphones mit Ausziehtastatur war zu sehen; es soll mit einem 500 MHz schnellen Eden-ULV-Prozesor – also einer sechs Jahre alten CPU-Architektur – unter Windows XP oder Android laufen. AMD erwähnte explizit, keine Netbook-Prozessoren anzubieten und erst recht nichts für kleinere Geräte – außer den Resten der für MIDs wohl zu lahmen Geode-Prozessoren.

Auch Intel brachte auf einer zweistündigen Pressekonferenz wenig Konkretes auf die Bühne. Ultramobility-Chef Anand Chandrasekher versprühte zwar seinen gewohnt großen Enthusiasmus, hatte aber nichts wirklich Neues zu bieten: Die aktuelle Silverthorne-Plattform (Atom Z) ist für die gewünschte Gehäusegröße zu fett, noch viel kleiner als beispielsweise das (natürlich schon ziemlich faszinierende) Sony VGN-P geht es damit nicht. Die kleineren Umid Mbook M1 oder Viliv S5, die unter anderem auf der CeBIT zu sehen waren, scheinen noch nicht ausgeliefert zu werden. Über den Silverthorne-Nachfolger Moorestown ist eigentlich alles gesagt (2010, 45 nm, CPU und Northbridge landen in einem Chip, die Idle-Leistungsaufnahme geht um den Faktor 50 herunter), und dessen System-on-Chip-Nachfolger Medfield (32 nm, nur ein Chip) hatte Intel auch schon angekündigt – für 2011!

Einige Moorestown-MIDs scheinen sogar schon fertig zu sein. So sagte Barry Lam, Vorsitzender von Quanta, dem weltgrößten Notebook-Produzenten, dass man nun nur noch auf die Chips von Intel warte. Den Prototypen des Compal KAX15 bekam die taiwanische TV-Moderatorin Janet Hsieh in die Hände gedrückt, und in einem längeren Videoclip beteuerte sie dann, ohne ihren MID nicht mehr leben zu wollen – wie aber auch schon auf der Intel-PK im letzten Jahr, damals freilich mit einem älteren Modell. Interessanterweise verliebte sich sie nun in ein MID mit ausfahrbarer Tastatur, die reine Finger- und Stiftbedienung des Vorjahrsgeräts war dann wohl doch auf Dauer nicht so liebenswert. Aber auch beim KAX15 fummelte Hsieh oft mit einem Stift auf dem Display herum, als wäre die Oberfläche noch nicht ausreichend auf die Fingerbedienung angepasst.

Auf den ARM-Geräten läuft Windows CE/Mobile oder Linux, auf den x86-MIDs Windows oder Linux. Den Standardoberflächen dieser Systeme mangelt es aber so sehr an Komfort, dass nur wenige Anwender damit zufrieden sind. Wer will schon mit einem Desktop arbeiten, auf dem nur ein Papierkorb zu sehen ist, aber nichts, womit man überhaupt etwas erzeugen könnte, das man da hineinwerfen könnte?

Bei den Bedienoberflächen, die an kleine Display und geringe Performance angepasst sind, geht es nur langsam voran. Für Windows XP, Vista und 7 ist überhaupt nichts in Sicht, irgendwann soll es eine Embedded-x86-Version von Windows 7 geben, was aber erstmal das Gegenteil einer Bedienoberfläche wäre. Auch Windows XP Embedded zielt nicht etwa auf Mini-Rechner, sondern auf Steuerungsanlagen oder Kassensysteme.

Für Linux gibt es Moblin, das sich großer Beliebtheit erfreut, aber die hier gezeigten Beta-Versionen fühlen sich recht leer an und sehen eher nach einem Framework aus, das erst noch weiter mit Anwendungen gefüllt werden muss. Die Alternative Android erweist sich als (bislang) zu sehr auf Smartphones mit Touchscreen optimiert, als dass sie ohne weiteres auf Netbook-artigen Geräten mit Tastatur und Maus/Touchpad sinnvoll einsetzbar ist. Mischungen sind übrigens möglich, die Moblin-Oberfläche erlaubt das Starten von Android-Programmen. Für beide stehen darüber hinaus zwar die gesamten Linux-Anwendungen bereit, aber die wiederum sind nur unzureichend auf die schwachen Maschinen, kleinen Displays und teils fehlenden Tastaturen angepasst. Wie schnell es bei der Linux/Moblin/Anroid-Schiene vorwärts geht, ist fraglich – die Entwickler-Ressourcen sind begrenzt, an manchem (wie OpenMoko) wird seit Jahren getüftelt.

Windows CE und Windows Mobile kommen mit größeren Displayauflösungen laut einigen Entwicklern nicht gut zurecht. Zu sehr merkt man ihnen auch an, dass sie für Stift-PDAs gedacht waren. Auf dem Acer-Stand konnte man mit Windows Mobile 6.5 herumspielen, Acer stellte Vorserienmodelle des F1, L1 und C1 aus. Doch ohne Stift kommt man immer noch nicht zurecht, beispielsweise war die Display-Tastatur selbst in der Einstellung "groß" bestenfalls mit sehr spitzen Fingernägeln bedienbar, nicht mit dem Finger. Beim Browser gelang Zoomen nur über ein umständliches Menü; versuchte man mit zwei Fingern oder Doppelklick zu zoomen, führte das oft dazu, dass stattdessen ein Link aufgerufen wurde. Die Entwickler müssen sich fragen, ob Microsoft noch genügend Energie in die CE/Mobile-Sparte steckt oder lieber drauf wartet, bis x86-Prozessoren klein genug für Smartphones sind – 2011 mit Intels Medfield tatsächlich realistisch –, sodass wirklich eine Embedded-Variante der Desktop-Version von Windows reichen würde.

Zudem zeichnet sich ab, dass den avisierten Vertriebsleuten der MIDs selbst eine gute Version von Android, Moblin oder Windows Mobile nicht reicht: Die Provider verlangen nach Branding und Einbinden von eigenen Diensten. Und auch danach, die Installation von Programmen durch den Anwender zu verhindern: Aus Service/Garantiegründen, um Anwendungen wie VOIP/Filesharing zu verhindern, oder um mit Widget- und App-Shop zusätzliches Geld zu verdienen. Die Whitebox/ODM-Produzenten wollen ihren Kunden die Möglichkeit geben, sich durch spezielle Software voneinander abzugrenzen. Mancher Hersteller von spezialisierten Geräten wie Navis oder Blu-ray-Playern will vielleicht direkt nur einen darauf zugeschnittene Oberfläche mit beschränktem Funktionsumfang.

Ein Ausweg aus dem Software-Dilemma könnte daher von Firmen kommen, die sich darauf konzentrieren, Android anzupassen, oder die eine Bedienoberfläche auf Moblin oder Windows CE aufsetzen, die also das Betriebssystem verstecken. Wind River ist ein solcher Anbieter, der eine (sehr frühe) Version so einer Oberfläche zeigte. Intel scheint dieser Zwischensoftware viel Bedeutung beizumessen und hat Wind River direkt gekauft.

Die ziemlich unvermutete Ankündigung von Sun/Oracle, eine an Qualcomms ARM-Prozessoren angepasste Java-Maschine herauszubringen, zielt ebenfalls in diese Richtung. "Ich weiß gar nicht, warum nicht ein paar dieser Geräte von Oracle-Sun kommen könnten", bereitete Oracle-Chef Larry Ellison diese Ankündigung einen Tag vorher auf der Entwicklerkonferenz JavaOne vor. Java-Anwendungen sollen damit bis zu 32-mal schneller laufen als auf aktuellen ARM-Implementierungen. Allerdings gilt auch hier: Grundsätzlich ist das nicht neu, Sun und ARM kooperieren eigentlich schon seit acht Jahren und die Jazelle-Erweiterungen für ARM-Prozessoren sind längst verfügbar.

Von Hardware- oder Software-Optimierungen profitieren natürlich nicht nur Benutzeroberflächen und Anwendungen, sondern auch Internetanwendungen und Browser-Plug-ins. Ein (JavaScript-)performanter Browser ist auf als Schnittstelle zum Cloud-Computing wichtig (auch wenn das in Deutschland bei Firmenanwendungen erst zögerlich vorankommt). Bei den MIDs lohnt es sich aufgrund der geringen Speicherkapazität (beispielsweise für Fotos) und der eingeschränkten Prozessorleistung mehr als bei Desktop-PCs, seine Daten nicht mehr lokal vorzuhalten, sondern in einer Cloud, automatisch hat man dann auch die Synchronisation zwischen mehreren Rechnern erledigt. Dieses Konzept scheint vor allem Google bei den ersten Android-Handys zu verfolgen. Auch Adobe hat angekündigt, mit den ARM-Herstellern enger zusammenzuarbeiten und eine hinreichend schnelle Flash-Unterstützung auf die Beine zu stellen.

Qualcomms Snapdragon-Chip, der übrigens bereits 2006 für 2007 angekündigt wurde, scheint bisher am weitesten verbreitet. Er soll zwar bald 1,5 GHz erreichen, doch Freescale hält mir einer potenteren ARM-Architektur, dem Cortex A8, dagegen. Ob das spürbare Mehrleistung bringt, ist aber fraglich. Wie kritisch die Performance-Frage ist, zeigt Apples iPhone: Erst die sorgfältig optimierte Software kitzelt aus der vergleichsweise langsamen Hardware die so gerade flüssige Bedienung und den attraktiven Funktionsumfang heraus. Manche Windows-Mobile-Smartphones fühlen sich hingegen trotz deutlich schnellerer Prozessorkerne lahmer an – einige Hersteller scheinen sich kaum mit dem Performance-Tuning von Treibern und Applikationen aufzuhalten.

Um wie viel die ARM-Prozessoren jetzt wirklich langsamer sind als Intels Atom-Plattform, lässt sich gar nicht so einfach beantworten. Intel zeigte zwar eine Folie, die einem 1,2-GHz-Atom einen SPECint_rate-Wert (das ist die Multithreaded-Version des SPEC-Benchmarks) von 4,4 und dem Spitzenmodell mit 2 GHz einem von 6,9 attestiert, was gegenüber den 1,7 Punkten des Qualcomm Snapdragon ein deutlicher Vorsprung wäre. Doch hat Intel nur den Snapdragon mit 1 GHz gemessen, die gerade vorgestellte Version mit 1,3 GHz käme rechnerisch auf 2,2 Punkte, die Zweikernversion mit 1,5 GHz sogar wohl auf über 3 – beide dürften erhältlich sein, wenn Moorestown auf den Markt kommt.

Und schließlich erreicht die wirklich sparsame Version des Atom, der Z500, momentan ja auch gar keine 1,2 GHz, sondern nur 800 MHz, und kennt auch kein Hyper-Threading. Sie dürfte damit weniger als 2,5 Punkte erreichen, und damit wird aus dem vermeintlichen Vorsprung vor den ARMs ein Rückstand. Die entscheidende Information, bei welchen Taktraten Moorestown welche Leistungsaufnahme hat, hat Intel allerdings noch nicht veröffentlicht. Hinter vorgehaltener Hand hört man, dass die Entwickler mit der Performance der Intel-Chips nicht allzu zufrieden seien, was sich aber möglicherweise auf die mit 800 MHz laufenden Vor-Muster bezieht.

Den gut zu bedienenden MID mit langer Laufzeit für 200 Euro gab es auf dieser Computex noch nicht zu sehen, selbst die ausgestellten Prototypen dürften beim Erscheinen von diesem Ziel noch (mindestens) eine Generation entfernt sein. Wer sich nicht von einer etwas hakeligen Bedienung abschrecken lässt, mag allerdings schon bald sein Wunschgerät entdecken. Und wer mit noch mehr Unzulänglichkeiten leben kann, greift einfach schon jetzt zum Netbook.

Ein weiterer Hemmschuh sind die hohen Kosten der UMTS-Anbindung, aber daran können die Hard- und Software-Hersteller natürlich nichts ändern.

In vielen Ländern fehlt ein weiteres Puzzlestück, nämlich die Möglichkeit, HD-Videomaterial aufs MID zu bekommen. Mangels Laufwerk muss man gekaufte DVDs oder Blu-rays gerippt auf dem MID speichern, was legal nicht möglich ist. Alternativen wären Videodownload-Dienste wie iTunes, der allerdings in Deutschland derzeit nur wenig Filme und keine in HD anbietet. Für DVB-T wären die MIDs schnell genug, doch in Deutschland gibt es keinen HD-Sender. Die findet man nur per Satellit und Kabel, was beides keine Alternative für ein mobil genutztes MID ist. Auch beim Internet-Fernsehen bleibt das Angebot in Deutschland eher gering, zumal dürfte das auch per HSDPA nicht ganz ohne Ruckler klappen. Es bleiben freie Filme wie bei YouTube oder selbstgedrehte Videos.

Eine große Baustelle halt alles. (jow)