Tata-Tochter Jaguar will mit neuem Luxusauto Bentley und Rolls angreifen

Daimler aus Indien? Über Traditionsmarken und Globalisierung

Laut einem Bericht will Jaguar der Konkurrenz von Bentley und Rolls-Royce mit einem Luxusauto Paroli bieten, das den Namen Daimler tragen könnte. Das Recht dazu hätte die zum indischen Tata-Konzern gehörende Firma jedenfalls

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London (Großbritannien), 29. Juli 2008 – Globalisation at its best: Ein indischer Konzern denkt ernsthaft darüber nach, ein neues Pkw-Modell im Luxus-Segment unter dem Markennamen Daimler zu entwickeln. Die Londoner Times berichtet über entsprechende Überlegungen bei Tata Motors, die im Frühjahr neue Eigentümer der britischen Traditionsmarken Jaguar und Land Rover wurden.

Luxus-Auto für neue Oberschichten

Dem Bericht zufolge sieht der Entwicklungschef von Land Rover und Jaguar, David Smith, Wachstumspotenzial für seine Firma im Preissegment oberhalb von 100.000 Pfund Sterling (knapp 130.000 Euro) – zum Beispiel für zahlungskräftige Kunden in Russland, Asien oder im Nahen Osten. Allerdings zitiert die britische Tageszeitung einen Tata-Sprecher mit der Aussage, dass zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht feststehe, ob ein solches Luxus-Vehikel als Daimler vermarktet würde. Was werden wohl die für ihren Humor gerühmten Briten dazu sagen, wenn der von einem Konzern aus der früheren Kronkolonie übernommene Autobauer zum Angriff auf die Volkswagen-Marke Bentley und den BMW-Ableger Rolls-Roye bläst?

Symbolik und Emotionen

Das Recht dazu hätte die Tata-Tochter jedenfalls. Zwar firmiert die vormalige Daimler-Benz AG seit dem Ende von DaimlerChrysler – sehr zum Leidwesen von Werksangehörigen, Aktionären und Nachfahren von Carl Benz – ausschließlich als Daimler AG, doch als Produktbezeichnung darf der Stuttgarter Autobauer den Namen nicht verwenden – was nichts anderes heißt, als dass der einzige aktuell angebotene Daimler vom Typ Super Eight aus dem Vereinigten Königreich stammt und seinen Namen rechtmäßig trägt.

Markenrechte als Handelsware

Der Name des weltbekannten schwäbischen Autopioniers Gottlieb Daimler illustriert anschaulich, wie Markenrechte zur Tauschware im Monopoly der Autokonzerne geworden sind: Der vormalige Jaguar-Eigner, die Ford Motor Company, hatte im Zuge der Aufspaltung von DaimlerChrysler eine Erweiterung der Nutzungsgenehmigung für den Namen Daimler vereinbart, wonach die Stuttgarter seit 2007 den Namen "Daimler" auch allein oder in Kombination mit anderen Wörtern als Handelsfirma, Handelsmarke oder Firmenbezeichnung nutzen dürfen, aber eben nicht für ein Automodell.

Ähnlich verzwickt verhält es sich im Übrigen mit der automobilen Ikone Rolls-Royce: Die Rolls Royce Motorcars sind Bestandteil der BMW Group, doch auch der Hersteller unter anderem von Flugzeugtriebwerken und Kraftwerksturbinen Rolls Royce plc nutzt das bekannte Logo mit den beiden sich überlagernden "R".

Daimler aus Indien? Über Traditionsmarken und Globalisierung

Britische Daimler-Tradition seit 1896

Der besondere Klang, den das englisch ausgesprochene Daimler bei Autofreunden hat, ist keineswegs ein Produkt von Marketing-Strategen im Zeitalter des Heuschrecken-Kapitalismus, sondern Resultat einer über 100 Jahre zurückliegenden Vereinbarung zwischen dem schwäbischen Ingenieur und der englischen Daimler Motor Company in Coventry, die seit 1896 von Gottlieb Daimler entwickelte Motoren in Großbritannien vertrieb und seit 1897 Autos herstellte.

1910 wurde die Daimler Motor Company, einer der ältesten Automobilproduzenten auf der Insel, von der Birmingham Small Arms Company übernommen, welche wiederum 1960 von Jaguar aufgekauft wurde. in. Bei Jaguar verblieben die Markenrechte auch unbeschadet der Fusion zahlreicher britischer Autofirmen zu British Leyland 1968 und der Übernahme von Jaguar durch den US-Autobauer Ford 1989.

Kein Hauch mehr von "Britisch Elend"

Die Firmenhistorie von British Leyland wurde in den 1970er Jahren zum Symbol für die von Streiks und fehlender Wettbewerbsfähigkeit gebeutelte Wirtschaft in Großbritannien, und die unter einer Vielzahl von Traditionsmarken wie Mini, Rover, Triumph oder MG seinerzeit angebotenen Autos wurden ob ihrer lausigen Qualität als "Britisch Elend" verflucht. Erst die Übernahme von Jaguar/Daimler durch Ford brachte die Wende zum Besseren: Nach der Integration in Fords Premier Automotive Group (PAG) vermochten die Raubkatzen aus Coventry wieder rassiges Design und exquisite Innenräume mit zeitgemäßer Technik und Zuverlässigkeit zu vereinen – auch wenn Kritiker lästern, dass Jaguar seither Ford-Technik zum Porsche-Preis feilbietet.

Who's next im Marken-Monopoly?

Auch die PAG ist kein Jahrzehnt nach ihrem Start fast schon wieder Geschichte: Der vormalige BMW-Vorstand Wolfgang Reitzle sollte ab 1999 die Traditonsmarken Lincoln, Aston Martin, Jaguar, Land Rover und Volvo unter einem gemeinsamen Dach fit fürs neue Jahrtausend machen. Inzwischen gehört einzig noch die ursprünglich schwedische Marke Volvo zur PAG – die britischen Marken sind allesamt verkauft, und Fords Nobelmarke für Nordamerika, Lincoln, wird wieder direkt aus der Konzernzentrale in Dearborn, Michigan, geführt. Wie lange noch, werden sich die Fans der ebenso luxuriösen wie spritdurstigen Schlitten fragen, seitdem Ford bekanntgegeben hat, den US-Markt künftig vermehrt mit Pkw europäischen Zuschnitts zu bedienen und einige Fabriken in den USA bereits entsprechend umrüstet.

Daimler aus Indien? Über Traditionsmarken und Globalisierung

Auch bei Volvo gibt es immer wieder Spekulationen über den Verkauf der Marke, die sich allerdings bislang nicht erhärtet haben. Nebenbei wird es auch niemanden überraschen, dass Fords-Premiumsparte lediglich das Recht hat, Pkws "Volvo" zu nennen, während die Nutzfahrzeuge von der Volvo Truck Corporation stammen. Jene Aktiengesellschaft mit Sitz im schwedischen Göteborg stellt übrigens auch Lkw der Marken Mack, Renault Trucks und Nissan Diesel her …

GM Vorreiter beim "Label Engineering"

Pionier beim so genannten Label Engineering, also dem Verkauf teilweise oder komplett identischer Fahrzeuge unter verschiedenen Namen und mit mehr oder weniger abweichendem äußeren Erscheinungsbild, ist eindeutig General Motors (GM) – über Jahrzehnte hinweg der größte Autobauer der Welt: 1908 mit den Marken Buick und Oldsmobile gestartet, finden sich unter dem Konzerndach heute zahlreiche Marken, die in den USA und in Europa einen Klang haben, darunter Chevrolet und Cadillac, Opel in Rüsselsheim und Schwedens andere Auto-Ikone Saab.

Konsolidierung und kein Ende

Ob man man Label Engineering nun als Betrug am Kunden oder als unausweichliche Reaktion auf den Wettbewerbsdruck in der Automobilindustrie interpretiert, bleibt letztlich eine Frage der persönlichen Weltanschauung. Immerhin bietet der Kauf eines Chrysler Crossfire die Gelegenheit, für relativ kleines Geld an ein SLK-Derivat der ersten Generation mit Mercedes-Sechszylinder zu kommen, und Dodge Challenger sowie Chrysler 300C sind deutlich unterschiedliche Neuwagen, die sich aber die Plattform mit der älteren E-Klasse (W 210) von Mercedes teilen.

Kein Mangel an Marken mit Wiederbelebungspotenzial

Auf der Retro-Welle schwimmen viele Hersteller mit Erfolg – siehe New Beetle, BMW Mini oder Fiat 500 (Cinquecento) – warum sollte man anstelle eines früheren Modells da nicht auch mal eine komplette Marke wiederbeleben, vielleicht im Stil der Tatra-Limousine der 1960er Jahre in der Neuinterpretation namens Premium Attitude? Für Adrenalinschübe unter deutschen Autofans sorgten Spekulationen um eine Auferstehung der Marke Borgward, die für die IAA 2009 anstehen könnte.

Daimler aus Indien? Über Traditionsmarken und Globalisierung

Ein solches Comeback wäre schon deshalb von einiger Pikanterie, weil die Herausforderung, eine würdige Retro-Ausgabe der legendären Isabella – dem Coupé- und Cabrio-Traum der Wirtschaftswunderjahre – zu gestalten, für die Designer ähnlich furchteinflößend wirkt wie eine Wiederbelebung des Mercedes-Flügeltürers 300 SL, über die gerade im Sommerloch immer wieder einmal in den Medien spekuliert wird. Anspruchsvoller ist höchstens noch die Aufgabe für Sound-Designer, beim angedachten Retro-Trabi authentisches Motorengeräusch und Abgas-Feeling in Einklang mit der kommenden Euro-5-Norm zu bringen.

Borgward als mahnendes Beispiel

Darüber hinaus wäre die Borgward-Wiederbelebung ein Treppenwitz der Wirtschaftsgeschichte: 1961 hatte die Borgward-Gruppe Konkurs anmelden müssen – als wesentliche Ursache hierfür wird genannt, dass deren Konzernteile Borgward, Goliath, Hansa und Lloyd das krasse Gegenteil von Label Engineering betrieben: Die Nutzung von Gleichteilen für verschiedene Modelle oder gar Ansätze zu einer Plattformstrategie hätten den Konzern profitabler machen können, hielten aber unter dem Patriarchat des Firmengründers Carl Borgward auch nicht ansatzweise Einzug.

Markenrechte im Panzerschrank

Borgward hin, Indien her: Deutschlands Premium-Autobauer haben auch so genügend Zweitmarken in petto, wie BMW mit seiner "Flying Emily" sowie dem Mini und Mercedes-Benz mit der Luxuslimousine Maybach beweisen. Und Audi hat jüngst den wohl letzten Horch aus der texanischen Wüste ins Ingolstädter Werksmuseum geholt und hält so die Erinnerung an die Luxusmarke der Vorkriegszeit lebendig. Übrigens, wussten Sie schon, dass Audi einmal zur Daimler-Benz AG gehört hat? …