Digital Services Act: Was sich gegenüber dem NetzDG ändert

Die EU justiert mit dem Digital Services Act die Plattformregulierung auch in Deutschland neu. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz wird damit überflüssig.

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(Bild: Anterovium/Shutterstock.com)

Lesezeit: 11 Min.
Von
  • Dr. Jonas Kahl
  • Simon Liepert
Inhaltsverzeichnis

Am Ende ging für EU-Verhältnisse alles sehr schnell: Nachdem sich Rat, Kommission und Parlament im Sommer 2022 auf eine endgültige Fassung des neuen Digital Services Act (DSA) geeinigt hatten, waren bereits im Oktober auch alle Formalien erledigt. Neu nummeriert erschien das Gesetz am 27. Oktober 2022 im Amtsblatt der Europäischen Union und trat damit automatisch 20 Tage später, am 16. November 2022, in Kraft.

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  • Der Digital Services Act (DSA) wird das deutsche NetzDG ablösen, hat aber einen wesentlich breiteren Anwendungsbereich.
  • Bei Beschwerden zu mutmaßlich rechtswidrigen Inhalten kommen mit dem DSA sowohl auf die Plattformen als auch auf die Nutzer viele Änderungen gegenüber dem NetzDG zu.
  • Noch ist unklar, welche Behörde in Deutschland die Durchsetzung des DSA überwachen wird.

Der DSA, in Deutschland auch "Gesetz über Digitale Dienste" genannt, bestimmt künftig, welche Inhalte und Geschäftspraktiken innerhalb der EU online erlaubt und verboten sind. Er gilt als einer der wichtigsten Bausteine für die von der EU-Kommission angekündigte Gestaltung der digitalen Zukunft Europas. Als unmittelbar gültige Verordnung steht der DSA über nationalem Recht (der sogenannte "Anwendungsvorrang"). Für die meisten Anbieter gilt eine Übergangsfrist – erst ab dem 17. Februar 2024 wird das Gesetz voll wirksam.

Betreiber sehr großer Onlineplattformen und sehr großer Online-Suchmaschinen müssen jedoch schon früher notwendige Vorkehrungen treffen; einige der Regelungen gelten für sie schon heute. Gemeinsam mit dem Digital Markets Act (DMA) soll das Gesetzespaket den digitalen Binnenmarkt weiterentwickeln, indem es einen unionsweit einheitlichen Rechtsrahmen zur Haftung und zu den Sorgfaltspflichten von Vermittlungsdiensten schafft. In diesem Kontext stellt sich die Frage, welche nationalen Vorschriften auf diesem Gebiet neben der neuen Verordnung noch übrigbleiben werden.

In die Entwicklung des DSA sind die Erfahrungen der Mitgliedsstaaten mit nationalen Gesetzen zur Regulierung digitaler Inhalte eingeflossen. Insbesondere das 2017 in Kraft getretene Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) gilt in Teilen als Blaupause. So überrascht kaum, dass der DSA viele Gemeinsamkeiten mit dem NetzDG aufweist. Dennoch existieren auch Unterschiede, die sowohl für betroffene Unternehmen als auch für die Bürger wichtig werden dürften.

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Ins Auge sticht der wesentlich breitere Anwendungsbereich des DSA: Während das NetzDG sich in § 1 Abs. 1 auf die Regulierung sozialer Netzwerke beschränkt, knüpft der DSA in Art. 2 Abs. 1 an den weiteren Begriff des Vermittlungsdiensts an. Hierzu zählen Host-Provider (beispielsweise Cloud- oder Webhosting-Services) und Anbieter von Onlineplattformen (beispielsweise App-Stores, Onlinemarktplätze und Social-Media-Anbieter). Anders als das NetzDG gilt der DSA für Unternehmen nicht erst ab einem Nutzerschwellenwert (im NetzDG ab zwei Millionen aktiven Nutzern), sondern für alle Anbieter.

Der zuständige EU-Binnenmarktskommissar Thierry Breton fand markige Worte zu den neuen EU-Regeln: "Es ist an der Zeit, etwas Ordnung in den digitalen Wilden Westen zu bringen."

(Bild: EU-Kommission)

Allerdings schreibt der DSA für sehr große Onlineplattformen ("Very Large Online Platforms", VLOPs) und sehr große Online-Suchmaschinen mit durchschnittlich mindestens 45 Millionen aktiven Nutzern im Monat in Art. 33 ff. besondere Sorgfaltspflichten vor. Zum Beispiel müssen sie gemäß Art. 34 jährlich selbst die Gefahren empirisch einschätzen, die ihre Plattformen für Gesellschaft und demokratische Willensbildung darstellen. Dabei sollen sie nicht nur die gemeldeten Inhalte, sondern auch das Design der Plattform sowie die Wirkungsweise von Algorithmen in die Risikobewertung einbeziehen.

Bis zum 17. Februar 2023 sollen alle Anbieter – von Facebook über Medienportale mit angeschlossenem Diskussionsforum bis zu geschäftsmäßigen Hobbyisten-Webforen – ihre Nutzerzahlen an die EU-Kommission melden. Sobald die Kommission festgestellt und veröffentlicht hat, welche Plattformen als VLOPs gelten, greifen für diese die neuen DSA-Regelungen, wahrscheinlich also bereits ab Sommer 2023. Dies betrifft dann beispielsweise Löschpflichten für Nutzerinhalte auf Facebook, YouTube & Co. Ob das von Elon Musk übernommene Twitter in die VLOP-Kategorie fällt, ist bislang unklar – der Dienst hat noch nie Zahlen aktiver europäischer Nutzer separat angegeben.

Der Wegfall einer Bagatellgrenze im DSA hat zur Folge, dass die Abgrenzungsschwierigkeiten bezüglich § 1 Abs. 2 NetzDG, die sich bei großen Chatgruppen oder öffentlichen Kanälen beispielsweise auf Telegram ergaben, nunmehr der Vergangenheit angehören dürften. In Deutschland war es bislang umstritten, ob man Telegram im juristischen Sinn als soziales Netzwerk ansehen kann. Das bislang für die NetzDG-Aufsicht zuständige Bundesamt für Justiz vertrat zuletzt diese Ansicht. Der DSA umfasst diesen Dienst auf jeden Fall.

Wie im NetzDG ist auch im DSA von "rechtswidrigen Inhalten" die Rede, die reguliert werden. Trotz dieses selben Wortlauts bestehen bei der Frage, was als rechtswidrig anzusehen ist, erhebliche Unterschiede: Das NetzDG fordert in der Legaldefinition des § 1 Abs. 3 einen Verstoß gegen die dort abschließend aufgezählten Strafvorschriften. Der Katalog umfasst Delikte wie Beleidigung, Verleumdung, öffentliche Aufforderung zu Straftaten, Volksverhetzung, Gewaltdarstellung und Bedrohung.

Youtube: AGB wichtiger als NetzDG. Laut NetzDG-Transparenzbericht hat YouTube von Januar bis Juni 2022 nur einen kleinen Bruchteil der in Deutschland beanstandeten Videos wegen Verstößen gegen die NetzDG-Katalogstraftaten gesperrt.

(Bild: Quelle: NetzDG-Transparenzbericht von Google Januar bis Juni 2022)

Nach Art. 3 DSA soll es dagegen ausreichend sein, wenn die Inhalte nicht im Einklang mit dem Unionsrecht oder dem Recht eines Mitgliedsstaates stehen, ohne dass die Prüfung auf konkrete Strafvorschriften beschränkt wäre. Weil kein definierter Katalog vorliegt, könnte sich das Beschwerdeaufkommen bei den Anbietern erst einmal deutlich erhöhen. Dass sich in den 27 Mitgliedsstaaten die Strafgesetze teils erheblich unterscheiden, wird die Lage sowohl für Anbieter als auch für Nutzer verkomplizieren.