Missing Link: Bewahrer der Reserven knapper IP-Adressen (Axel Pawlik)

Seite 4: Geburtswehen beim RIPE NCC

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heise online: Später ging das Internet dann richtig ab.

Pawlik: Ja. Für RIPE kam die rasante Entwicklung fast überraschend. Das waren damals 59 Leute, die Hälfte Entwickler, die andere Hälfte Hostmaster und dann Massen von Leuten, die nach Adressen geschrien haben. Zugleich sollte ICANN gegründet werden; das nahm auch viel Aufmerksamkeit in Anspruch. Da wollte man in der Gründungsphase 1998/99 aufpassen, dass da nichts schiefging, und zugleich ging es im eigenen Laden ab. Es gab viel zu tun, als der RIPE-NCC-Kassierer Wim Vink mich gefragt hat, willst du das nicht machen? Ich hatte RIPE vorher nicht gemacht, das hatte Andreas Schachtner in Eunet-Zeiten übernommen. Amsterdam konnte ich mir aber gut vorstellen und das RIPE als nicht-kommerzielle Community lag ganz auf meiner Linie, also habe ich zugesagt.

heise online: Kannst du die Arbeit beim RIPE NCC in der Zeit beschreiben?

Pawlik: Wir mussten den Laden dazu bringen, IP-Adressen auszuspucken, und zwar einigermaßen effizient und mit weniger als drei Wochen Wartezeit bis zur ersten Ack-Mail. Das war schwer. Wir standen bei dem ein oder anderen RIPE-Meeting und baten die Mitglieder, helft uns bitte. Ein Problem war, dass es das Berufsbild des Hostmasters noch nicht gab. Die Leute sind entweder Network Engineers, für die ist das zu langweilig und wir können sie auch nicht bezahlen, oder es sind Administratoren aus ganz anderen Bereichen, aus weniger technisch orientierten Bereichen. Die müssen wir aber ausbilden und das kostet Zeit und Ressourcen. Hans Petter Holen, damals Vorsitzender der LIR Working Group des RIPE, hat sich am 17. Mai 2001 hingestellt und eine Taskforce ins Leben gerufen, die May 17 Task Force – das war nämlich der norwegische Nationalfeiertag. Statt von der Community Prügel zu beziehen, sahen wir starke Unterstützung und Hilfe, unseren Job gut zu erledigen. Das war eine bemerkenswerte Erfahrung.

heise online: Was war das Problem?

Pawlik: Wir mussten uns bei der Adressvergabe natürlich an die Community-Policys halten — und konnten die Blöcke nicht nilly-willy vergeben, ohne weiteres Hinschauen. Das kostet Aufwand.

heise online: Ihr habt schon Due Diligence gemacht?

Pawlik: Ja, sehr viel. Wir haben das sehr ernst genommen. Auch die Neutralität und die Transparenz. Und wir erklärten den Leuten bis hin zu den technischen Hintergründen, warum wir welche Unterlagen von ihnen brauchten. Noch ein Problem war, dass man angesichts der explosionsartigen Entwicklung eine Zeit lang nicht hinterhergekommen war mit der Vergabe – und so saßen wir einfach vor einem Berg unerledigter Adressanfragen und mussten das abarbeiten – es schien beinahe unmöglich.

heise online: Wie habt ihr den Backlog bewältigt?

Pawlik: Die Taskforce hat sich viele Dinge überlegt. Können wir längere Wartezeit akzeptieren? Oder sollen wir die Due Diligence-Schritte begrenzen? Können wir Mitglieder ins RIPE-NCC-Büro setzen, um die Arbeit zu beschleunigen? Am Ende haben wir viel mehr Leute eingestellt. Das verursachte Kosten, aber die Mitglieder stimmten dem zu. Man hatte verstanden, dass wir nicht die Preise hochtreiben und die Mitglieder ausbeuten wollen, sondern das RIPE NCC arbeitet für die Mitglieder – und kann das mit etwas Unterstützung der Community auch ganz gut.

heise online: Es gab aber Geburtswehen und Misstrauen gegenüber dem RIPE NCC?

Pawlik: Das Vorurteil, das wir entkräften mussten, war, dass wir stumpfsinnige Bürokraten sind, die immer mehr unsinnige Bürokratie machen, damit sie mehr Leute einstellen können. Die Idee hält sich bei neuen Mitgliedern bis heute. Manche äußern sich entsprechend auf den Mailinglisten. Das Vertrauen der Mitglieder zu gewinnen und zu behalten, war eine Aufgabe, über die ich mir viel Gedanken gemacht habe. Die Frage war dabei durchaus auch: Wie soll das RIPE NCC wissen, was es tun soll? Und so fingen wir an, die Mitglieder selbst zu befragen. Anfangs hat das Paul Rendek gemacht. APNIC hatte Erfolg mit ihren Umfragen; es gelang uns, die verantwortliche Person auch für unser Projekt zu gewinnen. John Earls hatte bei KPMG langjährige Erfahrung mit Not-for-profit-Projekten, überzeugte uns davon, dass es wesentlich vertrauenswürdiger ist, die Surveys nicht im Haus zu machen. In Fokusgruppen wurden dann die Mitglieder zu ihren Problemen befragt, und auf der Basis wurde der Fragenkatalog entwickelt. Es gab zwar wiederum Leute, die das viel zu aufwändig fanden, viel zu viel Papier. Aber bei den allermeisten kam das sehr gut an. Wir gewannen daraus nämlich unsere Action Points, also was wir zu tun hatten, und stellten das bei den RIPE-Treffen vor. Beim darauffolgenden Meeting wurde dann regelmäßig Bilanz gezogen, wo stehen wir bei den Punkten. Das hat Vertrauen geschaffen.