Missing Link: Bewahrer der Reserven knapper IP-Adressen (Axel Pawlik)

Seite 5: Gute Leute gingen – und kamen später wieder

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heise online: Hat nicht auch eine Professionalisierung stattgefunden?

Pawlik: Natürlich. Aber auch darüber gab es Diskussionen intern. Was heißt Professionalisierung, sind wir ein kommerziell funktionierender Laden? Klar war der Anspruch, bei der Qualität wollen wir wie ein kommerzieller Laden sein, eigentlich besser. Zugleich wollten wir auch ein Laden sein, bei dem die Arbeit Spaß machte, ein attraktiver Arbeitgeber im Mittelpunkt des Internets. Da gab es die Beschwerde, die Leute kommen, eignen sich hier viel Wissen an und gehen dann wieder, um draußen viel Geld zu verdienen. Wir sind doch hier Internet-Akademie, sagte eine Kollegin mal. Na ja, es ist aber doch gut, wenn sie erst mal kommen. Daraus sollten wir Kapital schlagen, fand ich. Es muss doch auch nicht jeder 20 Jahre da arbeiten (lacht). Mehr als eine Handvoll guter Leute, die man ungern verloren hat, ging und kam später wieder.

heise online: Bisher haben wir nur von der Nummernvergabe gesprochen. Das RIPE NCC hatte aber auch noch andere Aufgaben, oder?

Pawlik: Da sollte man fragen, wo kommen die Aufgaben her? Antwort: Die Mitgliederversammlung entscheidet das. Also, es gibt Adressvergabe und Whois-Datenbank. Au, da gibt noch einen freien Buchstaben bei den Root Servern. Nehmen wir doch einen. Denn wir sind diese neutrale Plattform, wo Leute zusammenarbeiten, die sonst in Konkurrenz stehen. Diese Aufgaben, vom Root Name Server Betrieb über Messnetzwerke bis zur Governmental Education und zur Vertretung der Interessen der Mitglieder – ich möchte nicht von Lobby sprechen –, das können die Mitglieder alles selbst machen. Aber für viele ist das kaum zu schaffen, also übernimmt das RIPE NCC das für alle gemeinsam. Und natürlich kosten Dinge wie die Abwehr von Ideen bei den UN, IPv6-Adressen irgendwie staatlich zu vergeben, Geld, aber die Mitgliedschaft hat das im Großen und Ganzen unterstützt. Die Frage lautete immer, wer bestimmt, was das RIPE NCC macht. Unsere Annual Reports, die Activity Reports zur Überprüfung und der Beitragsschlüssel – anfangs fand ich das auch recht aufwändig. Aber es hat sich als gutes Werkzeug zur Kontrolle und Weiterentwicklung der RIPE NCC Arbeit etabliert. Wer gar nicht einverstanden war, stimmte gegen Budget und Beitragsschlüssel. Als die Internet-Bubble geplatzt war, haben wir mal zwei Millionen Verlust gemacht. Da war das Board ganz aufgeregt und wollte sofort alles Mögliche stoppen: Ihr dürft nicht mehr messen, wir müssen sofort sparen. Ich habe auf den Activity Plan verwiesen und gesagt, da steht, was zu machen ist. Wir haben Reserven und müssen nur darauf achten, dass wir das dann anpassen und alles auf stabile Füße stellen.

heise online: Warum hattet ihr so viel Verlust, weil viele pleitegegangen sind?

Pawlik: Einige sind pleitegegangen, sind ausgetreten, wir hatten einfach weniger zahlende Mitglieder. Einige haben ihre Rechnungen nicht bezahlt.

heise online: Ihr habt Mahnungen verschickt. Aber ihr seid nicht gerichtlich vorgegangen?

Pawlik: Nein. Aber wir haben die Leute irgendwann rausgeworfen. Wenn sie neue Adressen brauchten, bekamen sie keine – und später haben wir die Adressen auch wieder eingesammelt. Die Frage, ob wir Adressen einsammeln könne, war übrigens einigermaßen umstritten. Die lange herrschende Meinung war, das geht gar nicht. Aber wenn es nicht anders geht, konnte man die Upstream Provider bitten, die Blöcke nicht mehr zu routen. Die haben das auch gemacht.

heise online: Das Revoken, also das Einziehen von Adressen, habt ihr das oft gemacht? Afrinic hat sich in der Auseinandersetzung mit dem chinesischen Adresshändler Lu Heng da gerade eine blutige Nase geholt.

Pawlik: Vor dem Hintergrund der sich entwickelnden Knappheit von IPv4-Adressen haben das tatsächlich immer wieder wir gemacht. Wir haben geschaut, wo sind eigentlich ungenutzte Adressen und die zurückgeholt. Das waren keine Riesenmengen. Aber es wurde akzeptiert. Inzwischen haben wir die Situation, dass niemand mehr etwas hat, außer vielleicht die Kollegen in Afrika. Wir hatten gegen Ende übrigens zunehmend seltsame Firmen, die IPv4-Restblöcke beantragt haben. Zum Beispiel hatten die Prominente, auch Fußballspieler, als Eigentümer, reihenweise. Oder die Firmen waren auf den Seychellen eingetragen und ihre IP-Adressen kommen zwar zum Teil in Europa zum Einsatz, aber mehrheitlich doch woanders. Eine ähnliche Situation scheint das jetzt bei Afrinic zu sein.

heise online: Was beurteilst du die Afrinic-Situation?

Pawlik: Afrinic hat heftig zugeschlagen, aber Lu Heng hat noch heftiger zurückgeschlagen, das war wirklich nicht notwendig. Ich habe die Situation nicht im Detail verfolgt. Wir sind wieder an so einer Stelle, an der ich sage, das macht keinen Spaß mehr. Früher haben wir alle zusammen gearbeitet fürs Allgemeinwohl, klingt pathetisch, stimmt aber ein bisschen. Adresspolitik sollte allen zugutekommen und das 'common good' im Internet vergrößern. Heute geht es darum, die Regeln so auszureizen, dass ich persönlich profitiere, dass ich Adressen anhäufen und verkaufen kann. Die Atmosphäre hat sich verändert und die Afrinic-Episode ist der Höhepunkt dieser Entwicklung.