Missing Link: Das Konzept der Schwammstadt

Der Klimawandel und die folgenden Starkregenereignisse und Dürren stellen die Städte vor neue Herausforderungen. Zeit zum Handeln – das Schwammstadt-Konzept.

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(Bild: Ivan Kurmyshov/Shutterstock)

Lesezeit: 33 Min.
Von
  • Ulrike Heitmüller
Inhaltsverzeichnis

Der Klimawandel hat zwei scheinbar gegenläufige Folgen: einerseits stärkere Hitze- und Trockenheitsphasen, andererseits immer mehr "Starkregenereignisse". Und in Ballungsgebieten sind diese Klimawandelfolgen durch die versiegelten Flächen – Straßen, Wege, Plätze, Gebäude – besonders deutlich spürbar: Erstens wird die Hitze tagsüber von den Steinen gespeichert und nachts wieder abgegeben, so dass die Luft nicht richtig abkühlt; zweitens kann das Wasser eines sehr heftigen Regengusses nicht versickern, sondern überfüllt die Kanäle und überflutet Straßen und Keller. Behörden, Bauherren, Architekten und Landschaftsplaner suchen nach Lösungen. Ein Ansatz zumindest für den Umgang mit Regenwasser ist das Konzept der "Schwammstadt".

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Ein Schwamm saugt Wasser auf, speichert es und gibt es wieder ab. So soll auch die Schwammstadt funktionieren: Bei einem "Starkregenereignis" soll sie das Wasser speichern, und in Zeiten der Trockenheit soll sie es wieder abgeben.

Der Begriff "Starkregen" ist eigentlich nicht definiert. Im Allgemeinen versteht man darunter einen kurzen, heftigen Regenguss auf kleinem Raum. Der Deutsche Wetterdienst bezeichnet als "Starkregen" 15 bis 25 Liter pro Quadratmeter in einer Stunde oder 20 bis 35 Liter pro Quadratmeter in sechs Stunden, als "heftigen Starkregen" 25 bis 40 Liter pro Quadratmeter in einer Stunde oder 35 bis 60 Liter pro Quadratmeter in sechs Stunden und als "extrem heftigen Starkregen" mehr als 40 Liter pro Quadratmeter in einer Stunde oder mehr als 60 Liter pro Quadratmeter in sechs Stunden. Ein Starkregenereignis kann überall auftreten und ist kaum vorherzusagen.

Und dieses Wasser soll nun gespeichert werden?! Wo und wie?

Stephan Natz ist der Pressesprecher der Berliner Wasserbetriebe: "In Berlin gibt es drei Kategorien von Kanälen: Misch-, Schmutz- und Regenkanäle. In der Innenstadt, also innerhalb des S-Bahn-Ringes, haben wir ein Mischkanalsystem mit einem gemeinsamen Kanal für Schmutz- und Regenwasser. So funktioniert es in allen Großstädten zwischen Madrid und Moskau, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde so gebaut. Seither setzt man auf Trennkanäle, also unterschiedliche Kanäle für Schmutz- und für Regenwasser." Der Wert der Berliner Kanalisation beträgt laut Anlagenspiegel im Geschäftsbericht zum 1.1.2021 knapp 7 Milliarden Euro.

Insgesamt hat Berlin knapp 10.000 Kilometer Kanalnetz und fast ganz Berlin ist daran angeschlossen: 80 Prozent im Trennsystem (4420 Kilometer Schmutzwasserkanäle, 3352 Kilometer Regenwasserkanäle), 20 Prozent im Mischsystem (1928 Kilometer). Nur ein paar Siedlungen haben gar keine Kanalisation und Abfuhrunternehmen fahren ihr Schmutzwasser in die Klärwerke. Die sechs Berliner Kläranlagen reinigen täglich mehr als 700.000 Kubikmeter Wasser: Regenwasser sowie Abwasser aus Industrie, Haushalten und öffentlichen Einrichtungen. In drei Wochen kommt so die Menge des Großen Wannsees zusammen.

Kennzahlen der Berliner Wasserbetriebe – Betriebsteil Entwässerung

(Bild: Berliner Wasserbetriebe)

Beim Mischsystem wird das Regenwasser aus Gullys und Regenrinnen mit dem Schmutzwasser aus Haushalten, Industrie- und Gewerbebetrieben vermischt und als "Abwasser" zur Kläranlage geleitet. Aber bei Starkregen überlasten die Wassermassen Kanäle und Kläranlagen. Damit das Wasser in so einem Fall nicht aus den Gullys sprudelt oder in tiefer gelegenen Wohnungen aus den Abflüssen schießt, gibt es extra Überläufe, etwa in den Landwehrkanal oder die Spree. Insgesamt landen dort jährlich bis zu 7,5 Millionen Kubikmeter ungefiltertes Dreckwasser.

Das ist zwar Schmutz- mit Regenwasser sozusagen verdünnt, aber trotzdem sehr dreckig, denn der Regen spült Unrat und Schadstoffe von der Straße und führt es mit. Gegen diese Umweltverschmutzung bauen die Berliner Wasserbetriebe seit Jahren mit unterirdischen Zwischenspeichern an, im vergangenen Jahr wurden 33 Millionen Euro für neue Kanäle und Druckleitungen ausgeschrieben.

Beim Trennsystem in den Städten und Gemeinden außerhalb der Innenstadt, die erst seit 1920 zu Groß-Berlin gehören, leiten die Kanäle das Schmutzwasser in die Kläranlagen und nur den Niederschlag direkt in Flüsse und Seen. Aber Unrat und Schadstoffel gelangen eben auch mit diesem Niederschlag in die Gewässer.