Missing Link: Das Konzept der Schwammstadt

Seite 4: "Künstliche Feuchtgebiete – keinesfalls teuer"

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Ein Beispiel sei das Neubaugebiet der Buckower Felder, "eine multifunktionale Fläche, eigentlich ein Landschaftsgarten." Im Süden von Berlin-Neukölln entsteht als Pilotprojekt dieses neue Stadtquartier mit etwa 900 Wohnungen. Dort sollen vor allem die nach Süden gelegenen Fassaden, sowie Dachflächen zu mindestens 80 Prozent sowohl extensiv als auch intensiv begrünt werden und dadurch Regenwasser speichern. Das soll das Mikroklima verbessern. Einerseits, indem das viele Grün Feinstaub, Schadstoffe und CO₂ aus der Luft filtert und bindet und andererseits, indem es im Sommer für Verdunstungskälte sorgt und die Fassaden verschattet.

Des Weiteren sollen Baumrigolen das Niederschlagswasser durch den Wurzelraum des Bodens leiten, so dass es teilweise von den Bäumen aufgenommen werden kann. Und diese Bäume sollen den Aufenthalt im Freien erleichtern, indem sie im Sommer Schatten spenden. Außerdem soll Regenwasser vor Ort versickern können, dazu dienen Grünflächen und ein Landschaftspark, die in die naheliegenden Felder münden. So soll das Abwassersystem auch bei starkem Regen nicht überlastet, sowie Regenwasser gespeichert und bei Trockenheit wieder abgegeben werden. Sieker: "Die Fläche ist so ausgeformt, dass es tiefere Bereiche gibt, einige bis zu 80 Zentimeter tiefer, die werden mit Schilf bepflanzt, das sind dann kleine temporäre Wasserflächen. So ein künstliches Feuchtgebiet, 'Constructed Wetland', ist ein aktuelles Projekt von uns."

Natürlich werde es auch in diesem Neubaugebiet versiegelte Flächen geben, Straßen und Radwege. "Das kann man nicht ganz verhindern, aber man leitet das Wasser eben nicht sofort weg, sondern in Grünflächen: Was man im Wald natürlicherweise hat, kann man technisch nachahmen." Diese Schwammstadt sei keinesfalls teuer: "Gerade bei den Buckower Feldern ist das nachweislich preislich günstiger als Kanalisation: Sonst hätte man das Regenwasser fünf Kilometer durch Neukölln zum Teltowkanal leiten müssen."

Martin Drost ist Geschäftsführer der Müller-Kalchreuth Planungsgesellschaft für Wasserwirtschaft in Berlin mbH. Das Büro existiert seit 1980, und bis zum Jahr 1992 hat es aufgrund der Lage Berlins die meisten Aufträge in Süddeutschland bearbeitet. "Seit den 1980ern arbeiten wir in der Regenwasserbewirtschaftung", sagt Drost, "zunächst in Erlangen. Dort sind die Bodenverhältnisse sehr schlecht und wir haben ein qualifiziertes Misch-/Trennsystem angelegt. Das weniger stark verschmutztes Regenwasser von den Dachflächen wird so in die umgebenden Grünanlagen geleitet, wo sehr große, multifunktional nutzbare Mulden angelegt sind. Dadurch gelangte sehr viel weniger Regenwasser in die Kläranlagen."

In den 1990er Jahren hätten sie in Berlin ein Mulden-Rigolen-System geplant, "damals state of the art: In der Mulde kann ein Teil des Regenwassers verdunsten, ein anderer Teil versickert durch die sogenannte 'belebte Bodenzone' und wird in der Rigole gespeichert und langsam in den Boden infiltriert beziehungsweise gedrosselt abgeleitet." Rigolen sind im Allgemeinen unterirdische Pufferspeicher für Wasser, damals meist gefüllt mit Kies: In den Lücken zwischen den Steinchen kann viel Wasser gespeichert werden, und der Kies selber ist einigermaßen abriebfest, verschmutzt also seinerseits das Wasser nicht. "Heutzutage werden meist Füllkörperrigolen aus Kunststoff verbaut, mit einem hohen spezifischen Volumen von über 90 Prozent, gegenüber 33 Prozent bei Kies", so Drost.

Das Mulden-Rigolen-System (MRS).

(Bild: Sieker)

"Wir haben damals mit fast allen Landschaftsarchitekten Büros in Berlin zu tun gehabt, das war schön interessant für uns, aber man musste immer wieder Leute anlernen und das gleiche erklären, das war auf Dauer langweilig. Am Anfang haben wir viel Wissen verbreitet, das war ein gewisser Vorteil." Aber ab etwa dem Jahr 2008 konnten die Landschaftsplaner das auch selber. Seitdem macht sein Unternehmen wieder überwiegend Kanalnetzberechnungen und klassischen Leitungsbau, denn, so Drost: "Das Leitungssystem für Trinkwasser und Abwasser ist zum Teil 150 Jahre alt und muss renoviert werden." Aber sie planen weiterhin Regenwasserbewirtschaftung. Gelegentlich in Neubaugebieten. Oder eine Straßenentwässerung über Mulden, bei der das Regenwasser auch gereinigt wird, bevor es in die Rigolen einsickert.

Die Muldensohle wird kernig aufgebaut und filtert das Wasser, indem sie die gröberen Stoffe zurückhält (physikalische Reinigung). Organische Stoffe wie Hundekot, Taubenkot und Laub werden durch Mikroorganismen mineralisiert (biologische Reinigung). Durch die Passage durch den belebten Boden werden der ph-Wert des Wassers neutralisiert und Schadstoffe adsorbiert (chemische Reinigung). "Inzwischen gibt es eine Senatsvorschrift über die Zusammensetzung der Rigolen Mulden: Wenn man sich um die Vorschriften hält, kann man davon ausgehen, dass die Reinigung funktioniert", sagt Martin Drost, es gebe inzwischen eine ganze Reihe Vorschriften: Arbeitsblatt DWA-A 138: "Planung, Bau und Betrieb von Anlagen zur Versickerung von Niederschlagswasser", DIN 1986-100, die "klassische Norm für Grundstücks Entwässerung", und Mitte des Jahres 2021, "etwas überraschend für manche Planungsbüros", erschien das Hinweisblatt "Begrenzung von Regenwassereinleitungen bei Bauvorhaben in Berlin (BReWA-BE).