Missing Link: Das Konzept der Schwammstadt

Seite 5: Schwammstadt-Projekt in Leipzig

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Eines der BMBF-Projekte entsteht in Leipzig. "Leipziger BlauGrün – Blau-grüne Quartiersentwicklung in Leipzig" wird vom BMBF mit 2,8 Millionen Euro gefördert. Es soll das zentrale Abwassersystem entlasten, die Energieeffizienz und das Mikroklima verbessen und Starkregen resilient managen. Projektleiter und Koordinator ist Professor Dr. Roland Arno Müller, der vorher Projekte im Nahen und Mittleren Osten, zum Beispiel in Jordanien und im Oman geleitet hatte, etwa anwendungsnahe Forschung in der Thematik Implementierung dezentraler Abwassersysteme im Rahmen eines integrierten Wasserressourcenmanagements für Wassermangelgebiete. Im Jahr 2018 erhielten er und zwei seiner Mitarbeiter den Deutschen Umweltpreis der Deutschen Bundesstiftung Umwelt von Bundespräsident Steinmeier.

Für das Leipziger Projekt habe er viel von seinen Erfahrungen aus dem Nahen Osten übernommen, sagt er. Gerade in Städten sind solche Projekte wichtig, denn, so Roland Müller: "Erstens werden in Zukunft 70 bis 80 Prozent der Menschen in Städten leben, also entwickelt Ressourceneffizienz gerade dort einen sehr großen Wirkungsgrad. Zweitens werden Wetterextreme in Zukunft häufiger, darum müssen die Städte sicherer, resilienter und robuster werden." Dabei bräuchten unterschiedliche Städte unterschiedliche Maßnahmen: In Hamburg sei die Wahrscheinlichkeit von Starkregen höher, Städte wie Leipzig müssen verstärkt mit dem gleichzeitig zunehmenden Auftreten von Starkregen und Dürre umzugehen lernen.

In der Leipziger Innenstadt entsteht ein Quartier für knapp 4000 Menschen. "Das Starkregenmanagement war dabei die erste Aufgabe", sagt Roland Müller, der Niederschlag soll nicht in die Kanalisation, wie bisher praktiziert, sondern zukünftig im Quartier verbleiben." Das hat Sinn, brauchen wir doch Wasser zur Bewässerung im Sommer, "wir hatten zwei Dürresommer in den Jahren 2018 und 2019. Da gingen 1800 Bäume allein in Leipzig durch Hitzestress verloren." Wenn man die Klimaziele erreiche mit "nur" zwei Grad Erwärmung, "dann wird das Wetter aus den Sommern 2018 und 2019 zum Normalfall.

Es ist übrigens auch nicht sinnvoll, alle Städte 'grün' zu machen, ohne an eine wassersensitive Stadtentwicklung zu berücksichtigen. Stadtgrün ist für die Zukunft auf unterschiedlichen Ebenen wichtig, aber die Bewässerung in Trockenjahren muss mitgedacht werden. Richtig umgesetzt, können wichtige Beiträge wie zum Beispiel Beschattung, Kühlung und auch die Vermeidung von Hitzeinseln positive Konsequenzen sein." Daher brauche man technische Maßnahmen für funktionale blau-grüne Infrastrukturen. Am bekanntesten sei das Gründach, außerdem Rigolensysteme, Baumrigolen, Wasserspeicher und Flächen, an denen Wasser versickern könne. Man könne auch Grauwasser zum Bewässern verwenden, also aufbereitetes Spülwasser aus dem Haushalt.

So etwas könne man in einem Neubauquartier relativ schnell aufbauen, dagegen dauere der Prozess bis zur Transformation von Bestandsquartieren in eine schwammfähige Stadt Jahrzehnte. "Aber wir sollten deswegen die vorhandenen Möglichkeiten nutzen und schrittweise umsetzen." So hat "Sachsen wunderschöne Innenhöfe in den Wohnblöcken. Und in Niedersachsen gibt es Hinterhöfe. Da kann man blaugrüne Infrastrukturen schaffen, das Wasser über Zwischenspeicherung in technischen Speichern oder im Grundwasser zurückhalten beziehungsweise versickern lassen."

An Leipziger BlauGrün sind insgesamt zwölf Partner beteiligt, kleine und mittlere Unternehmen, Institute, kommunale Betriebe und ein Investor, dem das Quartier gehört. Bei der Quartiersentwicklung muss viel kommuniziert werden, und das sei bereits bei einem Neubau sehr komplex, sagt Müller: "Für uns war es sehr motivierend, wie im Co-Design gemeinsam Konzepte aus Forschung und etablierten Erfahrungswissen entstanden."

Aktuell steht der Baubeginn bevor, die Vorplanungen sind abgeschlossen. In Müllers Einschätzung hat das Vorhaben dazu beigetragen, sich nun auch über die entwickelten Gesprächskreise und Verantwortlichkeiten der nächsten Aufgabe zu widmen – den Bestandsquartieren. "Auch der Bestand, der ja Großteile der Städte ausmacht, muss sich den Aufgaben resultierend aus dem Klimawandel stellen. Wichtige Partner dabei sind die Wohnungsobjekte von Wohnungsgenossenschaften und Gesellschaften – die 30 bis 40 und mehr Prozent der Städte ausmachen." Die Aufgabe wird komplexer, erstens, weil die Gebiete schon bewohnt sind, zweitens, weil die Objekte schon fertig sind – bevor man etwa aus einem herkömmlichen Dach ein Gründach mache, müsse zunächst ein Statiker überprüfen, ob das Dach überhaupt gründachgeeignet ist. Und in Bezug auf Leipzig, wenn man das Konzept auf die ganze Stadt übertragen will, müsse man überlegen, wie man das machen könne: Zum Beispiel, in welcher Reihenfolge man Quartiere vom Kanal abkoppeln wolle.

Und was kostet das? "Ich antworte immer gern andersherum: Was kostet uns das Nichtstun? Dann entstehen nämlich erhebliche Passivfolgen des Klimawandels, es kostet nach Schätzungen des IPCC hunderte Milliarden Dollar, um hier Schäden zu beseitigen." Wie hoch seien denn die Folgekosten eines Hochwassers und des Absterbens von Bäumen! Die Hitzetoten! Was könne man beim Kanalnetz einsparen! Außerdem sei der Prozess des Umbauens ein Anlass für Investitionen in der Stadt, etwa die Installierung digitaler Hilfsmittel wie GIS-Systeme, bei denen durch Satellitentechnik Hotspots für Hitze und Überflutungen angezeigt würden.

Er erwarte etwa für die kommenden fünf bis zehn Jahre für die großen Städte in Deutschland und Europa immer mehr "digitale Zwillinge", also computergestützte Simulationen, die etwa zeigten, wie viel Wasser man in der Stadt zukünftig brauche, "das klingt banal, aber hinter diesen Aussagen stehen beispielsweise fundierte Ergebnisse aus Klimamodellierungen, lokalen Hochwasser- oder Dürreszenarien, lokalen Hotspots etc.: Er erwartet, dass diese Erkenntnisse zukünftig helfen werden, zielgerichtet Investitionsentscheidungen und die dazugehörenden Genehmigungsverfahren in eine robuste Stadtentwicklung zu vereinfachen.

Bemerkenswert ist, dass viele Städte auf eine Kombination von behördlichen Aktionen, Aufklärung der Bevölkerung, und Appell an die Eigenverantwortung der Menschen setzen, um nachhaltig mit Regenwasser umzugehen und aus ihrer Stadt eine Schwammstadt zu machen. Teilweise werden Aktionen der Bevölkerung auch finanziell unterstützt.