Deutschland und EU gehen gegen den beklagten Fachkräftemangel vor

Arbeitsminister Franz Müntefering kündigte die Öffnung Deutschlands für Ingenieure aus Osteuropa an. EU-Kommissar Franco Frattini plant eine "Blue Card", mit der Hochqualifizierte aus Nicht-EU-Staaten eine beschleunigte Arbeitserlaubnis bekommen sollen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 532 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.

Die Bundesregierung öffnet wie geplant angesichts des vor allem von der Industrie beklagten Fachkräftemangels den deutschen Arbeitsmarkt für Ingenieure aus Osteuropa. Elektro- und Maschinenbauingenieure aus den zwölf EU-Beitrittsländern können von November an eingestellt werden, ohne dass wie bisher deutsche Bewerber bevorzugt werden müssen. Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) betonte gestern während der Bundestagsdebatte, abgesehen von diesen Spezialkräften sollten heimische Arbeitskräfte bei der Stellenbesetzung grundsätzlich weiter Vorrang haben. Spätestens im Jahr 2011 müssen innerhalb der EU aber ohnehin die letzten Beschränkungen bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit wegfallen. Außerdem kündigte Müntefering an, dass sich ausländische Studenten nach Abschluss ihres Studiums ein Jahr lang bemühen können sollen, eine Arbeit zu finden, um dann in Deutschland in ihrem Beruf zu arbeiten.

Müntefering kündigte die Bildung einer Kommission an, die sich dauerhaft um die Frage kümmern soll, was zu tun ist, um an qualifizierte Fachkräfte zu kommen. Sie soll die Arbeitsmarktlage zwei bis drei Jahre im Voraus abschätzen und Handlungsvorschläge erarbeiten. Wörtlich sagte Müntefering während der gestrigen Haushaltsdebatte: "Diejenigen, die dann kommen, sind keine Gastarbeiter mehr in dem Sinne, wie das früher gemeint war – jemand kommt und soll nach drei Jahren wieder weg –, sondern das sind Leute, die hier integrierbar sind, integriert werden sollen und sich am Arbeitsmarkt bewegen. Dazu gehört auch, dass sie keinen festen Arbeitsplatz haben müssen, wenn sie kommen."

Derweil stellte EU-Justizkommissar Franco Frattini in Lissabon ein Konzept für die "Blue EU Labour Card" vor. Anlässlich einer Konferenz zum Thema Immigration erläuterte Frattini, die Arbeitserlaubnis solle hochqualifizierten Fachkräften aus Drittstaaten im Schnellverfahren zugeteilt werden können. Die Antragsteller benötigen dazu einen Arbeitsvertrag, einen Qualifikationsnachweis und einen Verdienst, der deutlich über dem jeweiligen Mindestlohn liegt. Die "Blue Card" soll auch jenen Menschen aus Nicht-EU-Staaten erteilt werden können, die sich bereits in der EU aufhalten.

Die dazugehörige Rahmenrichtlinie, die Frattini am 23. Oktober vorlegen will, stößt jetzt schon bei deutschen Politikern auf Kritik. So bei Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU), den Spiegel online mit den Worten zitiert: "Deutschland könne nicht "massenhaft ausländische Arbeitnehmer holen, nur weil wir sie im Moment gerade einmal brauchen." Der CDU-Innenpolitiker Reinhard Grindel meint, der Zugang zum Arbeitsmarkt müsse Sache der nationalen Regierungen bleiben und Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, verweist auf die Millionen Arbeitslosen in Deutschland. Solange es diese gebe, habe der deutsche Arbeitsmarkt für die SPD Vorrang.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) begrüßte den EU-Vorstoß. "Es ist gut, dass die EU eine verstärkte Debatte über Erleichterungen bei der Arbeitsmigration anstößt – auch wenn die Entscheidung letztlich bei den Mitgliedstaaten verbleiben sollte", sagte DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben der Berliner Zeitung. "Die hierzulande derzeit geltenden Zuwanderungsregeln – wie zum Beispiel die 85 500 Euro Jahresgehalt als Bedingung für den Zuzug Hochqualifizierter – sind gerade für kleine und mittlere Unternehmen oftmals eine zu hohe Hürde", sagte Wansleben.

Zu den gegenwärtigen Klagen vieler Branchen und besonders der IT-Firmen über Facharbeitermangel siehe auch den Hintergrundbericht in c't:

  • Gefühlter Mangel, Wie viele Informatiker braucht die Wirtschaft?, c't 16/07, S. 78

Zu dem Thema siehe auch:

Siehe auch:

  • heise jobs, Stellenanzeigenbörse sowie aktuelle Berichterstattung und Hintergrundartikel zum Arbeitsmarkt, der Ausbildungssituation und den Gehaltsstrukturen der Hightech-Branchen

(anw)