VW Golf 1.5 TSI im Test: Bestseller auf Mutkurs

Seite 3: Assistenten, Preis, Fazit

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Abseits des subjektiven Eindrucks muss allerdings angemerkt werden: Die erreichbaren Fahrleistungen – 214 km/h Spitze und 9,2 Sekunden von Null auf 100 km/h – sind mehr als nur ausreichend. Im Alltagsdickicht schwimmt der Golf locker mit, ohne Reserven antasten zu müssen. Man kann in dieser Hinsicht immer noch mehr fordern, wobei sich manche Ansprüche in diesem Bereich derart verschoben haben, dass sie den Kontakt zum Boden verloren haben. Für ein vergleichbares Temperament musste man vor 20 Jahren verdammt weit oben in der Golf-Hierarchie einsteigen. Heute erscheint es vielen nur als Mittelmaß.

Nicht komplett überzeugt haben uns die Assistenten. Die Schildererkennung arbeitet auch hier nicht fehlerfrei, wenngleich schon auf einem vergleichsweise hohem Niveau. Der Abstandstempomat kam auf der BAB bisweilen ins Grübeln bei langgezogenen Kurven und verschieden schnellem Verkehr auf allen drei Richtungsfahrbahnen. Verwirrt hat ihn ein Motorradfahrer, hinter dem er minutenlang alle paar Sekunden beschleunigt und wieder gebremst hat. Die Vermutung: Das Einspurfahrzeug war ihm wohl zu schmal und der Fokus des Messstrahls sprang offenbar zwischen dem Krad und dem Pkw davor hin und her. Nahezu tadellos war dagegen das sehr teure Matrixlicht.

Erstaunlich ambitioniert finde ich die Gestaltung der Preisliste. Damit ist weniger der Listenpreis des Testwagens von knapp 39.000 Euro gemeint, der das Resultat einer hemmungslosen Ausstattungsorgie ist, die sich so vermutlich nur Wenige leisten werden. Im Endeffekt steht dann da allerdings noch immer ein 130-PS-Golf mit Schaltgetriebe und Stoffsitzen. Ein Golf mit diesem Motor ist laut Preisliste ab 26.460 Euro zu haben, wobei die darin eingeschlossene Ausstattung nicht mehr ganz ärmlich ist wie früher. Immerhin Klimaautomatik, LED-Scheinwerfer und Alufelgen reicht VW ohne weitere Kosten mit dazu.

VW Golf 1.5 TSI im Test (30 Bilder)

Golf Nummer 8 hatte einen unglücklichen Start: Erst waren wichtige Motoren nicht zu haben, dann kam ihm noch die Corona-Pandemie in den Weg.
(Bild: Florian Pillau)

Doch einige Aufpreise wirken tapfer kalkuliert. LED-Matrix-Licht kostet in der Ausstattungslinie „Life“ 2110 Euro – das rufen weder BMW noch Mercedes in dieser Klasse auf. Das schlüssellose Zugangssystem kostet 445 Euro und setzt eine Alarmanlage als weiteres Extra voraus. Dafür sind dann in den hinteren Türgriffen nicht einmal Sensoren. Wer vor der Abfahrt etwas auf der Rückbank ablegen möchte, muss den vorderen Türgriff anfassen, um alle Pforten zu entriegeln. Der sehr bequem gepolsterte ErgoActive-Sitz mit Massage ist nur auf der Fahrerseite zu haben, schade eigentlich. Dass im Basismodell „Golf“ keine Benziner mit mehr als 110 PS lieferbar sind – geschenkt. Dass dort eine Reihe von Extras wie Schiebedach, Navigationssystem, bessere Sitze oder Ambientebeleuchtung gar nicht zu haben sind – ärgerlich. Dass der am wenigsten teuren Linie aber auch die hinteren Seitenairbags verwehrt bleiben, ist eine sehr schlechte Entscheidung von VW.

Der Golf bleibt sich in einigen Punkten treu: Die gute Dämmung, das ausgezeichnete Fahrwerk und die bequemen Sitze empfehlen ihn für lange Strecken, mit dem sparsamen 130-PS-Motor ist er mehr als nur ausreichend temperamentvoll. Das Infotainmentsystem ist durchdacht und modern, erfordert aber die Bereitschaft, sich damit auch auseinandersetzen zu wollen. Dann eröffnen sich zahlreiche Möglichkeiten, darunter auch die, einige Extras nachträglich freischalten zu können – ein Modell, das rasch Schule machen dürfte.

Mutig sind die Rückschritte in der Abteilung „schöner Schein“, die unübersehbar sind. VW riskiert hier viel, denn das wird auch Umsteigern auffallen. Dazu kommen eine einarbeitungsbedürftige Bedienung und eine ambitionierte Preisgestaltung. VW war noch nie für Schnäppchen zuständig, doch die Leichtigkeit, mit der ein normaler Golf inzwischen die 30.000-Euro-Marke reißt, wiegt schwer. Der sich im Umbruch befindliche Konzern kann nur hoffen, dass die Kundschaft das großflächig mitträgt.

Die Kosten für die Überführung hat Volkswagen übernommen, die Redaktion jene für den Kraftstoff.