IOC wegen chinesischer Internet-Zensur weiter unter Beschuss

"Das IOC und allen voran Präsident Rogge haben sich zum Komplizen des chinesischen Regimes gemacht", kritisierte Human Rights Watch. Das IOC gestattet Sportlern inzwischen, mit Blogs auch zu politischen Fragen Stellung zu nehmen.

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Von
  • Jürgen Kuri

Ob irgendjemand unter Sportfunktionären und Politikern wirklich geglaubt hat, die Vergabe der Olympischen Sommerspiele 2008 an die Volksrepublik China werde die Menschenrechtssituation in dem Land verbessern und die Zensur der Medien aus den Angeln heben? Das Internationale Olympische Komitee (IOC) jedenfalls in Person seines Präsidenten Jacques Rogge meinte zur Kritik an der Haltung des IOC zur Internetzensur der chinesischen Behörden auch für Journalisten, er entschuldige sich nicht für etwas, "wofür wir nicht verantwortlich sind". "Nicht wir betreiben das Internet in China, sondern Chinas Behörden." Rogge räumte ein, dass das IOC möglicherweise etwas naiv gewesen sei. "Wir sind Idealisten", sagte Rogge. "Idealismus ist etwas, das mit Naivität verbunden ist."

Das Tauziehen um die chinesische Internet-Zensur beherrscht jedenfalls fünf Tage vor Beginn der Olympischen Sommerspiele in Peking weiterhin die Schlagzeilen. Ohnmächtig musste Rogge von seinem Versprechen eines "freien" Internet-Zugangs in Peking abrücken. Stattdessen bekommen die 25.000 Journalisten nur "größtmöglichen" Zugang – soweit ihn China zulässt. Journalisten, Funktionäre und Politiker üben scharfe Kritik am "Wortbruch" des IOC und der Pekinger Olympia-Organisatoren. Es wurde gefordert, weitere Sperren aufzuheben. "Wir hoffen, dass es weitere Fortschritte gibt", sagte Thomas Bach, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), laut dpa. Es gehe darum, Meinungsverschiedenheiten auszuräumen. IOC-Pressekommissions-Chef Kevan Gosper erwartet nur eine teilweise Öffnung. Auf chinesischer Seite gebe es ein "beträchtliches Trauma" mit einigen Webseiten.

Das Vorgehen der Olympia-Gastgeber löste Kopfschütteln aus. "Ich verstehe nicht, warum die chinesische Regierung mit der Begrenzung des Internet-Zugangs erneut weltweite Skepsis geweckt hat", sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) dem Spiegel. In einem Telefonat mit Chinas Außenminister Yang Jiechi hat Steinmeier "dieses Unverständnis deutlich vorgetragen". Der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung sagte Steinmeier, im Interesse der Berichterstatter und der Sportler erwarte er vom IOC, "auf die Einhaltung der chinesischen Zusagen zu achten".

Führende deutsche Zeitungen und Fernsehsender kritisierten die Zensur. ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender sagte, die Organisatoren hätten die Zusage nicht eingehalten, den ausländischen Journalisten die Arbeitsmöglichkeiten zu geben, die sie in anderen Ländern mit Pressefreiheit auch haben. Der Vorsitzende des Herausgeber-Gremiums der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Berthold Kohler, nannte es nicht hinnehmbar, dass Peking die Berichterstattung auch während der Spiele zu kontrollieren und zu beschränken versuche.

Obwohl das IOC und insbesondere Rogge immer ein "unzensiertes" Internet versprochen hatten, will der IOC-Präsident aber schon 2001 bei der Vergabe der Spiele nur "größtmöglichen Zugang" gefordert haben. "Sie haben gesagt, dass sie es tun werden", sagte Rogge laut dpa. Die Frage, was ein akzeptabler, "größtmöglicher" Internet-Zugang sei, ließ er unbeantwortet. Auch der IOC-Koordinierungs-Chef Hein Verbruggen räumte ein, China habe nie "vollständig freien", sondern nur "ausreichenden" Zugang garantiert. Vermutungen von Gosper, dass es eine geheime Übereinkunft über den Internet-Zugang gegeben habe, wies Rogge entschieden zurück. "Es hat absolut keinen Deal gegeben, keine Vereinbarung mit den Chinesen." Nach Bekanntwerden der Sperren habe sich das IOC vielmehr sofort mit Organisationskomitee BOCOG zusammengesetzt. Rogge zeigte sich zufrieden, dass daraufhin Portale wie etwa des britischen Senders BBC, das Online-Lexikon Wikipedia oder Seiten von Nicht-Regierungsorganisationen freigeschaltet worden sind.

Während auch Amnesty International erreichbar war, ist die Seite der US-Menschenrechtsgruppe Human Rights in China (HRiC) weiter blockiert, genauso wie die Seiten der exiltibetischen Regierung sowie tibetischer Aktionsgruppen im Ausland. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) forderte den Rücktritt des IOC-Präsidenten. Auch Human Rights übt scharfe Kritik am IOC: Marianne Heuwagen von der Menschenrechtsorganisation erklärte gegenüber der Frankfurter Rundschau: "Das IOC und allen voran Präsident Rogge haben sich zum Komplizen des chinesischen Regimes gemacht, indem sie Bedingungen wissentlich oder stillschweigend geduldet haben, die den Idealen der olympischen Spiele nicht entsprechen." Das IOC habe seine eigenen Prinzipien verletzt. Für künftige Spiele müsse das IOC einen Menschenrechtsmechanismus verankern, der sicherstelle, dass das Austragungsland die Vorgaben der olympischen Charta wie Meinungs- und Pressefreiheit einhalte. Auch müssten die Verträge des Komitees mit den Gastgeberländern öffentlich gemacht werden.

Der Chaos Computer Club hat derweil sein Versprechen wahr gemacht, für Journalisten Tipps bereitzustellen, wie man sich mit technischen Maßnahmen auf die Situation vor Ort vorzubereiten kann. Dafür hat der CCC eine Internet-Seite mit Hinweisen zur Funktion der "Great Chinese Firewall" und Tipps zu ihrer Umgehung freigeschaltet – derzeit noch in deutscher Sprache, eine englische Version soll in Kürze folgen.

Während das Internationale Olympische Komitee nun mit Schlagzeilen wie "IOC akzeptiert chinesische Zensur" konfrontiert wird, beschwört sein Chef Rogge mittlerweile die "Magie der Spiele". Diese sollten aber nicht von der Menschenrechtssitation in China und auch nicht von der Situation im von China besetzten Tibet ablenken, meint offensichtlich der Präsident des Europäischen Parlaments, Hans-Gert Pöttering. Der CDU-Politker erklärte gegenüber der Bild am Sonntag, er ermutige die Sportler, sich für die Menschenrechte in Tibet einzusetzen. Jeder könne auf seine Weise ein Zeichen setzen. "Kein Funktionär sollte dies verhindern dürfen", meinte Pöttering. Die Freude an Sport und Spielen dürfe "nicht unseren Blick für die Menschen und ihre Rechte trüben".

Für solche Aktivitäten kommt nun wieder das Internet zum Zug: Das IOC hat während der Olympischen Spiele für solche Fälle seine Regel 49 etwas aufgeweicht, die jede journalistische Tätigkeit der Athleten verbietet. Das IOC gestattet den Athleten in Peking erstmals, ein Tagebuch oder Journal ins Netz zu stellen, das auch Meinungsäußerungen zu Menschenrechtsfragen möglich machen kann. Das deutsche IOC-Mitglied Walther Tröger rechtfertige allerdings in einem Interview mit dem Deutschlandfunk erneut das Verbot, an olympischen Wettkampfstätten Friedensparolen zu zeigen. Demonstrationen seien zu Recht nicht erlaubt, "weil man die gar nicht steuern kann". Zudem gebe eine Fülle anderer Möglichkeiten, um sich zu äußern, beispielsweise auf Pressekonferenzen. Die Spiele nach Peking zu vergeben, sei kein Fehler gewesen. "Ich bin ganz sicher, wenn die Entscheidung heute noch einmal getroffen werden müsste, dann würde sie genauso ausgehen", sagte Tröger.

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(jk)