Missing Link: Die sind ja schon da! Betreutes Autonomes Fahren machts möglich

Seite 2: Ein neues Verkehrssystem

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Bei der Anhörung zur Novelle waren sich die eingeladenen Expertinnen und Experten einig: Die regulierten Stufe-4-Verkehre ergeben nur als Teil einer öffentlichen Infrastruktur überhaupt Sinn, als Mobilitätssystem in der Hand von privaten oder öffentlichen Betreibern. Für den Individual-PKW sind die im Gesetz vorgesehenen Anforderungen – beispielsweise der Service einer zentralen Aufsicht – kaum umzusetzen wie wohl auch die Kosten für Services und Fahrzeuge selbst eher unattraktiv ausfallen.

Hier wird das Modell des fahrerlosen Verkehrs in begrenzten Situationen angegangen. Es gibt also keinen Fahrer mehr, der eingreifen müsste oder könnte, die Verantwortlichkeit verschiebt sich auf den Betreiber. Ein Systemwechsel findet statt, das problematische Übergeben der Steuerung, der Übergabe-Ping-Pong zwischen Fahrer und Maschine entfällt. Ähnlich wie bei einer fahrerlosen U-Bahn gibt es hier keinen Wechsel mehr zwischen menschlicher und automatischer Steuerung.

Es wird auch deshalb ein Schuh draus, weil es nicht um eine isolierte Errungenschaft geht, sondern um ein neues Verkehrssystem. Der Betrieb von Robotaxis – da ist das Fahrzeug nur noch "Mittel zum Zweck", meint auch Karsten Schulze, Geschäftsführer des Chemnitzer Unternehmens FD Tech. "Waymo und andere beschreiten bewusst einen neuen Weg, wollen bewusst neue Fahrzeugkonzepte auf die Straße bringen, die das Konzept Mobilität grundsätzlich neu denken. Das Integrationskonzept muss ein gesellschaftliches sein."

Waymo und Cruise liefern sich in Kalifornien ein spannendes Rennen, wer zuerst die nötigen Zulassungen für den kommerziellen Betrieb einsammeln und erstmalig Geld für unbemannte Taxi-Fahrten verlangen kann. Noch sind die Unternehmen über Testläufe nicht hinausgekommen, während die Autoindustrie mit ihren Assistenzsystemen zwar weit von Stufe 4 entfernt ist, dafür aber jeden Tag Geld verdient.

In Kalifornien sind regelmäßige Berichte an das kalifornische DMV (Department of Motorvehicles) über disengagement-Fälle verpflichtend, also Fälle, in denen ein automatisiertes Fahrzeug die Verantwortung abgibt. Unfälle indes kommen so gut wie gar nicht vor, Waymo meldete etwa einen alle 250.000 Kilometer, wobei es zu keinen ernsthaften Verletzungen kam. "Fast alle Ereignisse ... betrafen einen oder mehrere Verstöße gegen Straßenverkehrsregeln oder abweichendes Fahrverhalten durch den anderen Verkehrsteilnehmer", so der "Waymo Safety Report", den das Unternehmen im September 2020 veröffentlichte. Bei Waymo kann man nachlesen, dass es zwischen Anfang 2019 und Ende September 2020 zu 18 kleineren Unfällen kam, darunter 16 Auffahrunfällen. In drei Fällen wurde das Auto im Stand von Radfahrern oder Fußgängern angerempelt, in zwei Fällen wurde es von zurücksetzenden Autos gerammt.

Zwei Dutzend weitere Unternehmen folgten in der Zwischenzeit Waymos Beispiel und traten mit Sicherheitsberichten in Erscheinung, so die Amazon-Tochter ZooX und das von GM finanzierte Startup Cruise. Kritiker sehen in deren Reports jedoch nicht viel mehr als "PR-Hochglanzbroschüren", weil die Kriterien jeweils von den Unternehmen selbst bestimmt werden. Selbst kuriose Fälle wie kaputte Windschutzscheibe nach Golfball-Einschlag finden ihren Weg in die Sicherheitsaufzeichnungen.

Die israelische Firma Mobileye testet seit Jahren ihre Technologie in Robotaxi-Flotten in Tokio, Paris, Shanghai und Detroit. Das 2017 von der Intel Corporation übernommene Unternehmen mit Sitz in Jerusalem nimmt sich als nächstes New York City vor. Anlässlich des Testlaufstarts äußerte sich CEO Amnon Shashua zuversichtlich: "Wir können nicht garantieren, dass Sie niemals in einen Unfall verwickelt werden. Aber wir glauben, dass wir garantieren können, dass Sie nie einen Unfall verursachen werden.".

Beim "betreuten Autonomen Fahren", dem fahrerlosen Transport mit Fernüberwachung auf Stufe 4, geht es also in erster Linie um ein neues Verkehrssystem mit spezifischen Anwendungsfällen und weniger um die einzelnen Fahrzeuge und ihre Fähigkeiten.

Viele Hindernisse müssen aber noch aus dem Weg geräumt werden – nicht nur regulatorische, sondern ganz konkrete. Geschwindigkeitsreduktion würde vieles vereinfachen, aber vor allem ein konsequentes Vorgehen gegen Regelverletzungen: Selbst so banale Dinge wie falsch geparkte Autos stellen ein erhebliches Hindernis für den reibungslosen Betrieb von autonomen Shuttles dar.

Das betreute Autonome Fahren mit fahrerlosen Flotten passt aber grundsätzlich perfekt zur Mobilitätswende, zu weniger Autos, Kiezblocks (vom Durchgangsverkehr befreite Quartiere) und individueller Mobilität jenseits vom Privat-Pkw. Die Zeit ist reif für fahrerlose Systeme – reguliert, in festen Anwendungsfällen und -gebieten.

Klingt nach vielen Einschränkungen, doch die sind für die Praxis irrelevant. Sie bestellen sich normalerweise auch kein Taxi, um von Hamburg aus an den Gardasee zu fahren. Würden Sie aber auf dem Land wohnen, wo der Bus nur dreimal am Tag fährt, wären Sie sehr froh, ein günstiges Robo-Shuttle on demand als zusätzlichen Service nutzen zu können. Die Verkehrsforscher Weert Canzler und Andreas Knie sehen in dem "öffentlichen Auto auf Zuruf, dem 'Bestellauto', das automatisch dorthin fährt, wo es gebraucht wird", disruptives Potenzial und eine Mobilitätsform der Zukunft.

Toyotas Olympia-Transporter

(Bild: Toyota)

Vom Fahren zum Gefahrenwerden. Autonome Fahrzeuge, Personentransport und die Zukunft des Verkehrs

(Bild: jamesteohart/Shutterstock.com)

Autonomes Fahren, die Auswirkungen auf den Personentransport mit Robotaxis, people movern, autonomen Bussen und die notwendigen Techniken und Regularien beschäftigen uns in einer zehnteiligen Serie:

(fpi)