Nationale Wasserstoffstrategie: Chancen von H2 im Güterverkehr

Der hohe Energiebedarf großer Nutzfahrzeuge wächst an vielen Stellen über sinnvolle Batteriegrößen hinaus. Wasserstoff ist eine mögliche Lösung.

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Der Brennstoffzellen-Truck Mercedes-Benz GenH2 als Konzeptfahrzeug

(Bild: Daimler Trucks)

Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Wasserstoff soll der Heilsbringer in der Energiewende werden. Was nicht direkt oder ausreichend bequem elektrifiziert werden kann, soll mit Wasserstoff angetrieben werden. Dementsprechend misst die deutsche Bundesregierung Wasserstoff eine bedeutende Rolle in der Dekarbonisierung der deutschen Wirtschaft zu. Unsere Artikelserie will die Pläne der Bundesregierung genauer unter die Lupe nehmen und konkrete Anwendungsbereiche – insbesondere im Kfz-Bereich – beleuchten. Was technisch möglich ist, soll auch auf Effizienz und Skalierbarkeit abgeklopft werden.

Im Pkw-Bereich zeigen sich batterieelektrische Antriebe mehr und mehr als ausreichend für den Zweck. Doch im Güterverkehr mit langen Nutzungsdauern, hoher Auslastung und hohen Tagesdistanzen kann es je nach Einsatzgebiet anders aussehen. Hier diskutieren Ingenieure und Politiker unter anderem über Wasserstoff als Energieträger. Auf wie breiter Front mit Wasserstoff-Antrieben gerechnet werden muss, hängt zu einem hohen Maß von der politischen Gestaltung der Regeln ab.

DFDS will zusammen mit Entwicklungspartnern auf der Route Oslo – Frederikshavn – Copenhagen eine Brennstoffzellen-Fähre einsetzen. Angepeilte Nennleistung des Systems: 23 MW

(Bild: DFDS)

Containerschiffe befördern den größten Teil der internationalen Fracht. Satellitenbilder zeigen auf ihren Routen daher zu manchen Wetterlagen sichtbaren Dunst. Diese Maschinen sind gigantisch groß und sehr lange im Einsatz. Traditionell verbrennen ihre Motoren zu verschiedenen Anteilen Schweröl, ein preiswertes Rückstandsprodukt aus Erdölraffinerien, das jedoch recht dreckiges Abgas produziert. Ein Motor, der Schweröl verkraftet, verträgt (passend aufbereitet) praktisch jeden Brennstoff. Deshalb diskutiert die Schifffahrt gerade viele Arten von CO2-reduzierten oder gar -neutralen Treibstoffen, die "drop-in" bestehende Antriebe verfeuern könnten. Das könnten zum Beispiel Methanol, Ethanol oder Flüssigerdgas (LNG) sein. Methanol beispielsweise lässt sich mit einer Energieeffizienz von 85 Prozent aus Wasserstoff und CO2 herstellen.

Die Wasserstoff-Zukunft

Man könnte auch reines Wasserstoffgas verbrennen, doch wie in allen Einsatzgebieten wären die Tanks groß und aufwendig. Für Schiffs-Brennstoffzellen ist daher Ammoniak im Gespräch, das Wasserstoff an Stickstoff bindet und schon ein gutes Stück einfacher zu handhaben wäre. Die reine Wasserstoff-Brennstoffzelle wird sich in einer dekarbonisierten Schifffahrt ihre Nischen suchen müssen, zunächst näher an der batterielektrischen Pendel-Fähre als am Langstrecken-Containerschiff. Eine große Rolle spielt sie auf absehbare Zeit noch nicht. Um hier Anreize zu setzen, müsste die internationale Staatengemeinschaft gemeinsam zum Beispiel Schweröl verteuern, um dessen Verbrennung zu senken. Der Trend geht hier jedoch eher in die andere Richtung, weil wir Westler so viel Konsumkram in China kaufen. Der Schwerölverbrauch wird noch einige Zeit weiter ansteigen.

Airbus' Langstrecken-Konzept "ZEROe": Beachten Sie die dünnen Flügel ohne Tanks und den Tankraum hinter der verkürzten Passagier-Druckkabine.

(Bild: Airbus)

Wasserstoff als Flugzeugtreibstoff kämpft mit den Luftfahrtlimitationen von Gewicht und Volumen. Brennstoffzellen sind bei der erforderlichen Leistung schwer. Die Turbinen könnten direkt Wasserstoffgas verbrennen, doch dann schlägt die Eigenschaft von Wasserstoff zu, dass es zwar massemäßig leistungsdicht wäre, aber nicht volumenmäßig: Ein H2-Tank müsste 3,4 Mal so groß sein wie ein Kerosintank. Er müsste zudem nach absehbar verfügbarer Technik zylindrisch sein, während große Flugzeuge Kerosin nutzraumtechnisch recht geschickt in den Flügeln lagern. Airbus' 2020 vorgestelltes H2-Langstreckenkonzept lagert daher den Wasserstoff hinter der (entsprechend verkleinerten) Passagierkabine im Rumpf. Die Energiekosten lägen beim 20-fachen von heutigem Kerosin, und als letztes Sahnehäubchen produziert die heiße Wasserstoff-Verbrennung eine erhebliche Menge Stickoxide. Die Flugzeugindustrie liebäugelt deshalb mit eKerosin, also einem Kerosin, das dereinst CO2-neutral aus Solar- oder Windstrom stammen soll und ab Verfügbarkeit auch den Bestand versorgen kann. Die Vereinigten Arabischen Emirate planen zum Beispiel bei Abu Dhabi die Herstellung solaren eKerosins.

Berichte über Brennstoffzellen- und Batterie-Flugzeuge sollten Sie stets im Kontext dieser meistens leichten und langsamen Geräte betrachten. Die Realität des Linienverkehrs im Hinblick auf alternative Antriebe hat ein Lufthansa-Sprecher der Augsburger Allgemeinen eindeutig vermittelt: "Etwa 80 Prozent der Flüge entfallen auf Strecken, die länger als 1500 Kilometer sind. Dafür gibt es heute und auf absehbare Zeit keine gleichwertigen und schnellen Alternativen und auch keine neuen Antriebstechnologien." Airbus' Konzept fliegt mit ganz normalen Turbofans, die H2 verbrennen. Bis es in frühestens etwa 10 Jahren überhaupt nennenswerte Mengen eKerosin gibt, bleibt umweltbewussten Reisenden nur, Flüge schlicht in ihrer Anzahl zu reduzieren. Der noch Umweltbewusstere wartet auf wasserstoffbefeuerte Turbofan-Langstreckenflüge, weil die frühestens in 20 Jahren mit konzeptionell geänderten Flugzeugen angeboten werden könnten – wenn jemand heute anfinge, diese Konzepte zu konstruieren, was noch niemand tut.

Alstoms Brennstoffzellenzug Coradia iLint, hier im Testbetrieb der österreichischen ÖBB

(Bild: Alstom)

Dass sich Wasserstoff für den Schienenverkehr besser eignet, zeigt schon der Umstand, dass bereits H2-Brennstoffzellen-Züge im Regelbetrieb fahren: Zwischen Cuxhaven und Buxtehude etwa verkehren seit 2018 zwei Züge des französischen Herstellers Alstom vom Typ Coradia iLint (die mit "i" haben eine Brennstoffzelle). Andere Standorte testen noch oder denken über den Einsatz nach. Eine Tank-Infrastruktur exisitiert noch nicht. In Norddeutschland betankt ein H2-Tankwagen aus den Niederlanden die iLints. Dennoch zeigen Test und Betrieb, dass die Brennstoffzelle sich technisch eignet, auf nicht elektrifizierten Bahnstrecken für Energie zu sorgen.

Das große Thema bei der Bahn lautet nämlich: Oberleitungen kosten mehr Geld, als man denken möchte. Der Verband der Elektrotechnik VDE schätzt Kosten von bis zu 2 Millionen Euro pro Kilometer. Wenn die Zug-Taktung unter 30 Minuten fällt, lohnt sich dieser Geldeinsatz häufig nicht mehr. Auf solchen Strecken fahren heute Diesel-Triebwagen. Obwohl die Brennstoffzelle die technischen Anforderungen erfüllt, fahren ihr ökonomisch betrachtet Batterie-betriebene Antriebe auf vielen Strecken davon. In einer Studie ermittelte der VDE in allen für beide Antriebe tauglichen Szenarien deutliche Kostenvorteile batterieelektrischer Antriebe, die sich zudem besonders gut eignen für den Hybridbetrieb bei einer Oberleitung-Elektrifizierungslücke. Hauptgrund für den Kostennachteil: Der teure Brennstoffzellenkern muss bei üblicher Auslastung über eine übliche Betriebsdauer von 30 Jahren bis zu 7 Mal ausgetauscht werden. Wasserstoffzüge könnten dennoch ihre Nische finden, weil sie einfacher auf höhere Reichweiten kommen.

Hyundai hat von ihrem Brennstoffzellen-LKW Xcient Fuel Cell schon 10 Exemplare in die Schweiz ausgeliefert.

(Bild: Hyundai)

Am klarsten zeichnet sich die Nische für Wasserstoff im Lkw ab, also im Schwerlastverkehr auf der Straße. Das liegt schlicht daran, dass die von der EU beschlossenen Vorgaben für schwere Nutzfahrzeuge so formuliert sind, dass sie der Dieselmotor physikalisch nicht erreichen kann. Wie bei Pkw verlangt die EU Flotten-Emissionswerte, die sich auf die Prüfstandswerte pro Fahrzeug beziehen. Damit fallen für den Schwerlastverkehr alle Varianten mit eFuels weg, denn die ändern nichts an den CO2-Emissionen am Fahrzeug, sondern nur an der (eigentlich relevanten) Gesamtbilanz.

Die Referenzwerte mussten die Hersteller vom 1. Juli 2019 bis zum 30. Juni 2020 auf dem Motorenprüfstand ermitteln und in Gramm CO2 pro Tonnenkilometer angeben. Bis 2025 muss eine Verringerung um 15 Prozent stattgefunden haben, bis 2030 müssen es 30 Prozent sein, wobei hier noch eine Prüfung der Vorgabe vorgesehen ist. Üblicherweise schafft eine Diesel-Fahrzeuggeneration im bereits hoch optimierten Segment der schweren Nfz 2 bis 3 Prozent Effizienzsteigerung. Der Diesel als alleinige Antriebslösung der Hersteller-Flotte ist damit raus. Es müssen lokal emissionsfreie Fahrzeuge her, die wie beim Pkw zu Anfang (bis zu gewissen Obergrenzen) doppelt mit Null in die Rechnung eingehen dürfen. Im Liefer-, Hafen- oder Pendelbetrieb gibt es bereits batterieelektrische Trucks. Für die Langstrecke favorisieren die Truck-Hersteller die Wasserstoff-Brennstoffzelle. Eine Batterie für die Lkw-Langstrecke nähme einige Nutzlast weg, weil die EU das maximal zulässige Gesamtgewicht vorschreibt.

Der batterieelektrische Mercedes-Benz eActros kann seit Kurzem bestellt werden.

(Bild: Daimler Trucks)

"Je leichter die Ladung und je kürzer die Distanz, desto eher wird die Batterie zum Einsatz kommen", sagt Alexandros Mitropoulos, der bei Daimler Trucks die Themen Wasserstoff und autonome Fahrsysteme betreut. "Je schwerer die Ladung und je länger die Distanz, desto eher wird die Brennstoffzelle das Mittel der Wahl sein."

Der komplexe Brennstoffzellenantrieb bietet ein weites Gestaltungsfeld für Zulieferer-Produkte, wie hier an der Palette von Mahle gezeigt.

(Bild: Mahle)

Brennstoffzellenspezialist Hyundai hat 2020 schon die ersten zehn Brennstoffzellen-Lkw (Typ Xcient Fuel Cell) in die Schweiz geliefert. Nur wenige Hersteller werden es jedoch schaffen, einen Brennstoffzellenantrieb zu bauen. Es kann daher gut sein, dass viele, vor allem kleinere Hersteller ihre Geschäftstätigkeit einstellen müssen. Die verbliebenen Kleinen ohne eigene Fertigung werden die Brennstoffzelle zukaufen. Die großen Europäer Daimler Trucks und Volvo Trucks taten sich bereits im Joint Venture "Cellcentric" zusammen, das Brennstoffzellen für den Lkw-Einsatz entwickeln soll.

Zulieferer wie Mahle oder Mann+Hummel bringen sich bereits in Stellung mit Peripheriekomponenten zur Versorgung mit sauberer Luft – ein wichtiger Stellhebel für die Langlebigkeit der Brennstoffzelle. Cellcentric favorisiert kryogenen Wasserstoff, also auf -253° C gekühlten, flüssigen Wasserstoff. Kryogener Wasserstoff ist energiedichter als Hochdruck-Wasserstoffgas, er lässt sich einfacher handhaben und er verhält sich bei Tankrissen weniger gefährlich.

Ein Brennstoffzellen-Lkw kostet deutlich, deutlich mehr als ein Diesel-Lkw. Solche Maschinen sind daher über ihre Lebenszeitkosten (total cost of ownership, TCO) in heutigen Strukturen nicht wettbewerbsfähig. Um das zu ändern, sollen die externalisierten Kosten der Verbrennung fossil hergestellten Diesels per CO2-Bepreisung auf die Treibstoffkosten geschlagen werden. Zusätzlich wird wohl in der Anfangsphase wie bei E-Pkw ein Kaufpreis-Subventionierungsprogramm benötigt, damit die knapp kalkulierenden Speditionen sie kaufen. Auch die Lkw-Maut könnte nach lokalen Emissionen unterteilt werden. Die Schweiz etwa erlässt lokal abgasfreien Nutzfahrzeugen die Schwerlastabgabe. Für leichte E-Nfz existiert in Deutschland bereits ein Sonderabschreibungsrecht, das Steuern spart. Das ließe sich auf schwere Nfz ausweiten.

Der GenH2-Truck von Mercedes-Benz auf dem firmeneigenen Testgelände. Technisch gesehen spricht wenig gegen einen Einsatz der Brennstoffzelle in LKW. Ökonomisch gesehen ist der Antrieb bei derzeitigen Vorgaben jedoch nicht wettbewerbsfähig.

(Bild: Daimler Trucks)

Ob diese Maßnahmen ausreichen, um Betriebskostenparität herzustellen, lässt sich heute schwer sagen. Wie der batterieelektrische PKW gezeigt hat, entwickelt eine einmal eingeschlagene Richtung jedoch stets eine Eigendynamik, sodass es zum Beispiel sein kann, dass Dieselantriebe irgendwann sowieso nur noch ausnahmsweise zugelassen werden, etwa für das Militär oder den Katastrophenschutz. Dann gäbe es für die Lkw-Hersteller de facto nur noch Wasserstoff und Batterie als Energieträger, und die Speditionen müssten das mangels Alternativen zum dann angebotenen Preis kaufen. Am Ende zahlt sowieso der Endverbraucher die Transportkosten. Vergessen wir auch nicht, dass der Dieselmotor außer CO2 lokal noch einige weitere regulierte Dinge emittiert, darunter Ruß, Lärm und Stickoxide, denen allen immer aufwendiger beigekommen werden muss. Wenn solche aufwendigen Konstruktionen keine absehbaren Absätze mehr garantieren, sinkt die Herstellermotivation, noch in sie zu investieren.

Eine zu installierende Wasserstoff-Infrastruktur muss von den Bedürfnissen des Schwerlastverkehrs ausgehen. Das heißt, sie wird in Europa wahrscheinlich kryogenen Wasserstoff vorhalten. Ob sich das auf die Tanks von Langstrecken-Pkw-Konzepten oder leichten Nfz auswirkt oder die Tankstellen beide Formen von Wasserstoff anbieten: offen. Was Sie jedoch sicher schon mitbekommen haben: Eine H2-Infrastruktur existiert noch kaum. Daimler Trucks und Shell New Energies planen, hier in Tankstellen zu investieren, denn ohne sie gibt es weder Verkauf von Wasserstoff noch von Wasserstoff-Lkw. In der Interessengemeinschaft "H2Accelerate" beteiligen sich über diese beiden hinaus noch Iveco, OMV, Total Energies und Volvo Trucks an Lobbyarbeit, die den H2-Ausbau beschleunigen soll. Kleinere Hersteller von Pkw und Nfz mit H2-Ambitionen könnten hier am billigsten fahren, indem sie sich an den Lkw-Trend hängen.

Ich und mein Deutz (2 Bilder)

Deutz' 7,8-Liter-Diesel-Sechszylinder
(Bild: Deutz)

Eine Wasserstoff-Infrastruktur hätte wahrscheinlich einen obskuren Nebeneffekt. Wasserstoffgas brennt problemlos. Deshalb kann man es außer in einer Turbine auch in einem Hubkolbenmotor verbrennen. In jeder Energiekrise seit den Siebzigerjahren kursierten dazu Fahrzeugstudien unterschiedlicher Serienferne. Wenn jedoch wirklich Wasserstoff weitverbreiteter Energieträger schwerer Nfz würde, gäbe es Nischen, in denen solch eine heiße Verbrennung in Serie sinnvoller wäre als die kalte Verbrennung einer deutlich teureren Brennstoffzelle. Die Firma Deutz etwa stellte kürzlich einen 200-kW-Wasserstoffmotor vor, dessen 7,8-Liter-Motorblock vom Sechszylinder-Diesel der Firma stammt. Auch die Stickoxid-Reinigung kann in großen Teilen übernommen werden. Wer also romantische Gefühle gegenüber dem Tuckern des Hubkolbenmotors hegt, kann sich damit trösten, dass es noch lange in der einen oder anderen Nische zu hören sein wird.

(cgl)