Test Elektroauto Nissan Ariya: Komfortabel, aber teuer und nur zäh ladend

Dem Ariya ist die Erfahrung von Nissan mit Elektroautos anzumerken. Doch bei der Ladeleistung schwächelt er - und Nissan hat ambitionierte Preisvorstellungen.

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Nissan Ariya

(Bild: Schwarzer)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Christoph M. Schwarzer
Inhaltsverzeichnis

Nissan ist zurück. Mit dem Ariya präsentiert das japanische Unternehmen ein batterieelektrisches SUV. Sie können weiterhin den Leaf bestellen, doch das tut kaum noch jemand. Er ist wegen des Gleichstromsteckers nach dem Chademo-Standard praktisch nahezu unverkäuflich. Der Ariya dagegen hat das in Europa und den USA übliche Combined Charging System (CCS). Ein Detail fällt an der Ladebuchse auf, das den Anspruch des Ariya zeigt: Statt einer lappigen Gummitülle werden AC- und DC-Zugang mit einer soliden Klappe verdeckt. Die Erfahrung von Nissan ist bei vielen Lösungen offensichtlich. Dieses Elektroauto ist durchdacht – nur preisgünstig ist es nicht.

Komfortabel und leise: Das ist der dominierende Eindruck. Wind- und Fahrwerksgeräusche sind wirksam gedämmt. In dieser Qualität gibt es das auch beim VW ID.5. Andere Konkurrenten wie der Hyundai Ioniq 5 und besonders das Tesla Model Y (Test) fallen im Vergleich ab. Hochwertig sind auch die Verarbeitungs- und Materialqualität. Mir hat die vermeintliche Holzleiste im Armaturenbrett gefallen: Hier sind die Bedientasten für die Klimatisierung eingelassen. Nur sind es keine echten Tasten, sondern lediglich Symbole, bei deren Berührung ein Gegendruck simuliert wird. Dieses Bedienfeld ist der Beweis, dass man auf Knöpfe verzichten kann, ohne dysfunktionale Ideen wie die sogenannten Slider von Volkswagen zu verwenden. Außer im Mittendisplay verzichtet der Ariya auf Touchscreens. Sogar einen Drehregler für die Lautstärke gibt es, der von Fahrer- und Beifahrerseite gut zu erreichen ist.

Nissan Ariya (6 Bilder)

Der Innenraum ist sauber verarbeitet und mit hochwertigen Materialien ausgestattet. Die Mischung aus Touchbedienung einerseits sowie Schaltern und einem Drehregler für die Lautstärke andererseits ist stimmig.

Der Nissan Ariya ist mit 1,66 Meter rund fünf Zentimeter höher als ein VW ID.5, und die Sitzposition ist ebenfalls relativ hoch. Davon profitiert die gefühlte Übersicht. Im Alltag gleitet man entspannt dahin, nur sollte jeder wissen, dass die objektive Übersicht so ist wie bei den meisten SUVs: Das, was im unmittelbaren Umfeld passiert, bleibt im Verborgenen. Der "Around View Monitor mit Bewegungserkennung" ist folgerichtig selbst in der Basisausstattung serienmäßig enthalten. Ein Muss beim Einparken. Platz ist ebenfalls reichlich vorhanden; allein der Kofferraum ist mit 468 Litern in dieser Version etwas kleiner als zum Beispiel im Skoda Enyaq Coupé (570 Liter) oder im Hyundai Ioniq 5 (527 Liter).

Diese Version ist im Fall des Testwagens der Ariya mit 87 kWh Netto-Energieinhalt und Frontantrieb. Wir hatten ihn in der Pressestelle angefragt, weil er mit 520 km die höchste Normreichweite hat. Zum Vergleich: Das Einstiegsmodell mit 63 kWh kommt auf 403 km und der "E-Force" mit 87 kWh und Allradantrieb auf 493 km. Den Allradantrieb sollten all jene wählen, die den zusätzlichen Druck von 225 statt 178 kW Motorleistung wie im Testwagen wollen. Außerdem muss gesagt werden, dass der Frontantrieb mit Winterreifen bereits auf feuchter Fahrbahn überfordert ist. Die Traktionsschwäche ist ausgeprägt.

Auf der Habenseite steht ein Stromverbrauch, der zumindest im Überlandbetrieb (15 kWh/100 km) und in der Stadt gut ist. In der City konnten wir minimal 12,4 kWh/100 km ablesen. Bei einer nachgestellten Pendelstrecke und minus fünf Grad Außentemperatur sah es etwas anders aus: Nach neun Kilometern durch Hamburg zeigte der Bordcomputer 23,7 kWh/100 km an. Allerdings haben wir es auch zugelassen, dass neben der Innenraumluft auch das Lenkrad und die Sitze geheizt wurden. Auf der gleichen Strecke zurück, also quasi ohne die akute Kaltstartphase, sank der Wert auf 19,3 kWh/100 km. Auch in Norddeutschland fordert der Winter seinen Tribut.

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Mit dem Ariya bietet Nissan ein E-SUV an, bei dem die Erfahrung von über einer halben Million Leaf jederzeit spürbar ist. Der Ariya hat anders als der Leaf den in Europa und den USA üblichen Steckerstandard CCS.

Weniger gut war das Bild auf der Autobahn. Je nach Windrichtung zeigte der Bordcomputer bei per GPS gemessener Richtgeschwindigkeit (Tachowert dabei: 133 km/h) zwischen 25 und 27 kWh/100 km an. Damit liegt der Ariya zusammen mit dem Hyundai Ioniq 5 am oberen Ende in diesem Marktsegment. Die daraus resultierende Reichweite kann also auf 322 km sinken; abseits der Autobahn sind über 550 km kein Problem.

Eine Irritation nach der Fahrt mit dieser anständigen Reichweite war die Ladekurve. Die maximale DC-Leistung von 130 kW konnten wir zu keinem Zeitpunkt feststellen. Die Traktionsbatterie ist offenbar niemals richtig warm geworden – sind wir zu sanft aufs Strompedal getreten? Hat der Ariya zwischen den Touren zu lange auf kalten Hamburger Straßen gestanden? Klar ist, dass eine Stichprobe von 42 kW bei einem Ladestand von 60 Prozent dürftig ist, und der nominale Spitzenwert von 130 kW war zu keinem Zeitpunkt feststellbar. Abhilfe könnte eine gezielte Vorkonditionierung schaffen, wie sie bei den meisten Konkurrenten eingebaut ist. Die aber hat der Nissan nicht; ein Malus, der dringend abgestellt werden sollte, weil das schnelle Laden der kalten Zellen auch die Dauerhaltbarkeit verschlechtert. Immerhin: Eine Wärmepumpe zur effizienteren Beheizung ist serienmäßig.

Nissan Ariya (6 Bilder)

Eins der durchdachten Details ist die Abdeckung der Ladebuchse. Ein Zug am Hebel, und der Zugang ist frei. Das ist besser gelöst als bei den lappigen Gummiabdeckungen anderer Hersteller.

Der kompakte Renault Megane E-Tech hat die Vorkonditionierung. Er setzt anders als der Nissan auf das Betriebssystem Google. Auch die Spracherkennung und die Routenführung sind bei Google besser. Der Renault muss erwähnt werden, weil die Hersteller kooperieren und der Megane mit dem Nissan das 22-kW-AC-Ladegerät teilt. Im Nissan Ariya ist es mit Ausnahme der Einstiegsversion (7,4 kW einphasig, ab 47.490 Euro ohne Förderung) serienmäßig.

Wer auf die öffentliche Ladeinfrastruktur angewiesen ist, sollte unbedingt eine Variante mit dem 22 kW AC-Lader wählen. Es gibt sehr viele AC-Punkte, und der Strom ist meist günstiger als in den DC-Parks. In einer Metropole wie Hamburg kommt hinzu, dass das Laden auf maximal zwei Stunden begrenzt ist. Im Basismodell ist nach dieser Zeit Strom für 100 km über Land in der Batterie, in allen anderen Versionen für knapp 300 km.

Zur Übersicht der Eigenschaften des Nissan Ariya gehören die Assistenzsysteme. Sie lassen sich in einem Submenü in vielen Einzelpunkten einstellen. Spurmittenführung Ja oder Nein. Und so weiter. Alle Assistenten machen ihren Job gut, aber nicht perfekt. So muss die automatische Übernahme von erkannten Geschwindigkeitsbegrenzungen abseits der Autobahnen meistens durch den Fahrer bestätigt werden. Das kann ein Toyota Yaris (Test) in Basisausstattung auch. Das ist ein unwichtiges Detail? Einerseits ja. Andererseits nein, denn die Konkurrenten, die sich der Ariya ausgesucht hat, können das besser. Womit wir beim Preis wären: Nissan ruft 63.490 Euro (alle Preise ohne Förderung) für die Variante mit 87 kWh Energieinhalt und Frontantrieb auf. Er muss sich vergleichen lassen.

Ein VW ID.5 kostet mindestens 47.953 Euro, ein VW ID.4 mit Steilheck und etwas mehr Platz startet bei 46.355 Euro. Dafür gibt es bei Nissan statt der 77 kWh im Volkswagen lediglich 63 kWh mit einem ein- statt dreiphasigen Ladegerät. Ein Hyundai Ioniq 5, der deutlich schneller laden kann, beginnt mit 77,4-kWh-Speicher und Heckantrieb bei 47.900 Euro. Preisdifferenzen, die auch durch Mehrausstattung nicht ausgeglichen werden. Vor allem aber wird der Nissan deutlich teurer, wenn der 63-kWh-Speicher und ein einphasiges Ladegerät nicht genügen. Mehr gibt es nur zusammen mit einer höherwertigen Ausstattung, für die Nissan dann mindestens 9000 Euro mehr haben will, was auch in dieser Preisklasse keine Kleinigkeit ist.

Ohnehin herrscht derzeit auf dem Markt der Elektroautos eine allgemeine Preisverwirrung. Etliche Hersteller haben 2022 deftige Preiserhöhungen vollzogen. Andere nicht. 2023 wird die Direktförderung in zwei Stufen gekürzt; besonders die Streichung des sogenannten Umweltbonus für gewerbliche Käufer ab 1. September führt jetzt zu einer Art Torschlusspanik. Wir können uns sicher sein: Das Gefüge wird sich zurechtrütteln, und möglicherweise werden Nissan-Händler günstige Leasingraten gewähren.

Im Ergebnis wächst mit dem Nissan Ariya einmal mehr die Auswahl der batterieelektrischen SUVs. Ein hochwertiges Elektroauto, angenehm zu fahren und sehr komfortabel. Wer selten auf langen Strecken unterwegs ist, wird auch die geringe Ladeleistung und die fehlende Vorkonditionierung nicht bemerken. Den Ariya sollten Interessenten immer in Betracht ziehen, denn die Erfahrung von Nissan mit Elektroautos ist spürbar. Nur der Preis passt nicht Wettbewerbsumfeld. Hier wird Nissan wahrscheinlich nachjustieren müssen.

Der Hersteller hat den Testwagen kostenlos zur Verfügung gestellt und überführt. Die Redaktion hat den Fahrstrom bezahlt.

(mfz)