Test Genesis G80: Konservative Revolution

Seite 2: Fahrwerk, Verbrauch, Motor, Fazit

Inhaltsverzeichnis

Schlimmer sind technische Unzuverlässigkeiten leider noch bei den sogenannten Assistenzsystemen von Genesis. Der Spurhalteassistent verhindert beispielsweise das Geradeausfahren, weil er auf einer schnurgeraden Autobahn ständig korrigiert. Genesis-Neulinge verwechseln den Spurhalte-Assistenten hin und wieder gar mit einem technischen Defekt. Auf ähnlichem Niveau ist die Schildererkennung, die Ortsschilder grundsätzlich nicht erkennt und auch sonst eher in Ausnahmefällen das korrekte Tempolimit anzeigt. Alles in allem sind die sogenannten Assistenzsysteme im Genesis leider nicht auf dem Niveau, das europäische Kunden in dieser Klasse erwarten.

Hervorragende Leistungen liefert Genesis überraschenderweise in der Paradedisziplin des klassischen europäischen Automobilbaus - dem Fahrwerk. Erst muss man freilich mit einigen Mühen sämtliche sogenannten Assistenzsysteme in den Untiefen des Infotainmentsystems finden und einzeln abschalten. Wer weiß was hätten wir für den zentralen Knopf gegeben, mit denen man bei BMW-Modellen auf einen Schlag alle, dort vergleichsweise perfekt funktionierenden, Assistenzsysteme deaktivieren kann.

Die Lenkung vermittelt auf einmal jene angenehme Balance zwischen Nordschleife und Autobahnalltag, die sich nur mit kundigen Autoenthusiasten in straffem Testregime herstellen lassen. Der natürliche Fahrmodus für den Genesis G80 ist “Comfort”. “Sport” stört nur durch ein Fahrwerkspoltern. “Comfort” heißt bei Genesis jedoch nicht unsportlich weich. Es ist eine Freude, wie der zwei Tonnen schwere Allrad-G80 ohne spürbare Seitenneigung um 90-Grad-Ecken geht. Man ertappt sich dabei, zu bedauern, dass das Navi keine Routenoption “kurvenreich” anbietet.

Genesis G80 innen (16 Bilder)

Das Cockpit des Genesis G80 ist eine Demonstration. Materialauswahl und Verarbeitung sind über jeden Zweifel erhaben und geeignet, die etablierte Konkurrenz nervös zu machen. (Bild: alle Florian Pillau
)

Mit diesem Fahrwerk qualifiziert sich der koreanische Neuzugang für die Fahrspaßkrone in der Oberklasse. Ähnlich komfortabel wie Mercedes und ähnlich dynamisch wie BMW, scheint Genesis die Abstimmung gefunden zu haben, die Audi bislang nie erreicht. Ehrlich gesagt hat mich das aber nicht überrascht. Der Genesis G80 verfügt über die gleiche Fahrwerkstechnik wie der Kia Stinger, der damit begeisterte. Interessanterweise ist aber nicht der Genesis vom Kia abgeleitet, sondern umgekehrt. Der Kia Stinger basierte auf dem Fahrwerk der ersten Generation des Genesis G80, die bereits seit 2016 in den nordamerikanischen und asiatischen Märkten viele Fans eroberte.

Zum erhaben souveränen Fahrgefühl trägt die hervorragende Dämmung mehr bei als der vergleichsweise konventionell anmutende 2,5-Liter-Vierzylinder. Der 304 PS starke Turbo macht seine Sache bestenfalls unauffällig, man hört ihn selten. Auf den Sound, den er abgibt, wenn er beim Zwischenbeschleunigen auf 3000 Touren hüpfen muss, kann man getrost verzichten. Die Achtstufen-Automatik schaltet sanft, ruckfrei und unauffällig. Sie wird jaguar-like über einen Drehknopf bedient.

Unzeitgemäß ist aber leider der Verbrauch. Mit zurückhaltendem Gasfuß bei wechselnden Profilen kamen wir auf einen Testverbrauch von 10,8 Litern. Unter den 10 Litern kann man den Verbrauch nur halten, wenn man sehr vorausschauend und niemals in der Stadt fährt. Verbräuche über 12 Litern sind leider auch bei vernünftiger Fahrweise jederzeit drin.

Leider wird der G80 in Deutschland als Benziner nur mit diesem Motor und Allradantrieb angeboten. Einzige Alternative ist hierzulande ein 210 PS starker 2,2-Liter-Diesel und Hinterradantrieb. Den in meinen Augen besten G80 mit dem 3,3-Liter-V6 aus dem Kia Stinger und Hinterradantrieb gibt es zwar - nicht aber auf dem deutschen Markt. So könnte der Genesis indirekt zum Verkaufshelfer für den Kia Stinger werden. Mit V6 hätte er ihn wohl kannibalisiert.

Doch der Genesis hat gegenüber dem Kia und den meisten seiner europäischen Konkurrenten noch einen Trumpf zu bieten, wo man ihn bei einem Fahrzeug mit seinen fahrdynamischen Qualitäten nicht vermutet: in der zweiten Reihe. Im Fond gibt es ein Platzangebot und eine Bequemlichkeit, die vor ein paar Jahren diesseits einer langen Mercedes S-Klasse unerreichbar schien. Bei einer Außenlänge auf dem Niveau von E-Klasse und 5er hat der Genesis einen etwas längeren Radstand als die beiden deutschen Platzhirsche.

Marke Genesis (8 Bilder)

Die erste Generation des Genesis G80 wurde 2016 vorgestellt und liefert die technische Basis für den Kia Stinger. (Bild: alle Genesis, außer anders angegeben )

Das kommt den Fondpassagieren in Form einer spürbar größeren Beinfreiheit zugute. Investiert man dann noch gut 4300 Euro in das sogenannte Executive-Paket mit zwei elektrisch verstellbaren, klimatisierten Außensitzen und Fond-Entertainment, erhält man eine relativ kompakte Chauffeurslimousine, die man am Wochenende für Nordschleifenrunden nutzen kann. Dies ist eine Kombination, die ihresgleichen in der oberen Mittelklasse bislang sucht - und zwar unabhängig vom Preis.

Gerade in der Kategorie Preis-Leistungs-Verhältnis will der Genesis aber noch Punkte sammeln. Discountpreise kann und muss aber auch die in Deutschland neue Marke nicht nehmen. Auch in Korea gilt: Qualität hat ihren Preis. Der beginnt beim schon recht umfangreich ausgestatteten G80-Grundmodell Premium Line mit Benziner, Allrad und Achtstufenautomatik bei 51.700 Euro. Die Luxury Line für 6000 Euro Aufpreis bringt zusätzlich noch Drei-Zonen-Klimaautomatik, beheizbares Lenkrad und elektrische Heckklappe. Auf die Nappa-Lederausstattung für gut 2500 Euro sollte man auf keinen Fall verzichten.

Der Testwagen, dem zur Vollausstattung nicht viel mehr als das Glasschiebedach (1610 Euro) fehlte, kommt unverhandelt auf knapp 75.000 Euro, was nicht als günstig bezeichnet werden kann. Dieser Neupreis lässt sich zwar bestimmt noch beim Genesis-Händler deutlich nach unten verhandeln. Was dem Genesis jedoch eigentlich die Bilanz verhageln dürfte, ist der erwartungsgemäß fast nicht existente Wiederverkaufswert. Wer nach ein paar Jahren wechseln möchte, wird so auch mit einem in der Anschaffung erheblich teureren, aber wertstabileren Fahrzeug der teuren Drei aus Süddeutschland unter dem Strich günstiger fahren.

Das gilt insbesondere auch für Leasingkunden, denen die etablierten Hersteller deutlich günstigere Raten anbieten können. Ein Argument für Genesis könnte jedoch der Bereich Aftersales sein. Während die deutschen Premiumhersteller mit lächerlichen Garantien und unterdurchschnittlichen Werkstattleistungen ärgern, kann der Genesis-Kunde sieben Jahre Garantie und kulanten, kompetenten Service erwarten. Auch das kann einem einen Aufpreis wert sein.

Am Ende steht ein Fazit, mit deutlichen Stärken und Schwächen. In den Tugenden klassischen Automobilbaus Fahrwerk, Komfort, Verarbeitung debütiert die neue Marke mit einem Paukenschlag, der im Süden Deutschlands für Unruhe sorgen sollte. Respekt, Genesis! Infotainment und Assistenz sind leider zu wenig ausgereift und der Motor zu ineffizient, um auf dem europäischen Markt größere Akzeptanz zu erhalten. Tatsächlich gibt es im früheren PSA-Konzern, der jetzt mit Italiens Automobilindustrie (FCA) in Stellantis aufgegangen ist, interessante Alternativen. Ein DS7 oder DS9 mit Plug-in-Hybridantrieb kann für ähnliches Geld ähnlich viel Komfort und bessere Effizienz bieten.

Doch die Konkurrenz sollte gewarnt sein. Genesis bringt mit dem G80 einen interessanten Neuzugang in der Oberklasse. Und der nächste Paukenschlag wird bald folgen: Die elektrische Variante G80 Electrified könnte die europäische Konkurrenz und Tesla richtig in Zugzwang bringen.

Der Hersteller hat die Kosten für die Überführung übernommen, die Redaktion jene für Kraftstoff.