VWs Elektro-Auto ID.3 im Test: Beerbt es den Golf?

Seite 2: Software

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Eine differenzierte Betrachtung ist auch bei der Software notwendig. Die dortigen Mängel ändern nichts an dem, was der ID.3 bei der Software besser kann als die Wettbewerber: Die Fahrassistenzsysteme können mit denen in höheren Fahrzeugklassen problemlos mithalten.

Der Travel Assist zum Beispiel übernimmt auf Wunsch die erlaubte Geschwindigkeit automatisch in den Tempomaten. Diese wird entweder über die Kamera oder durch das im Navi hinterlegte Kartenmaterial erkannt. Auf der Autobahn gab es im Testzeitraum keine und abseits davon nur selten eine Fehl-Erkennung. Bei der Routenführung über das Navigationssystem werden kommende Kurven oder Ortseinfahrten verlässlich im Voraus identifiziert und die Geschwindigkeit reduziert. Der adaptive Tempomat (ACC) verzögert nicht nur bis zum Stillstand, er lässt auch das Wiederanfahren ohne zusätzlichen Fahrerimpuls zu.

Dabei wird die Aufmerksamkeit des Menschen am Steuer ("im Loop") über ein kapazitives, also berührungssensitives Lenkrad und nicht über ein Zugmoment erkannt. Lobenswert ist auch die sehr gute Mittenspurführung des Travel Assist sowie die Tatsache, dass gelbe Baustellenlinien als Priorität vor den weißen der Ursprungsfahrbahn erkannt werden. Wer nur das ACC benutzt bemerkt, wie natürlich es funktioniert: Kein verfrühtes Radikalbremsen vor einem ausscherenden Lkw. Keine Phantombremsungen vor Hindernissen, die es nicht gibt.

VW ID.3 innen (5 Bilder)

Gemütlich ist anders: Die Kombination aus unterschiedlichen Grautönen wirkt unglücklich und kalt. Materialien wie Holz werden gar nicht eingesetzt.
(Bild: Christoph M. Schwarzer
)

Wer den Travel Assist abschaltet, kann weiterhin die automatische und vorausschauende Rekuperation aktiviert lassen. Sie funktioniert intuitiv, erstklassig und nochmals präziser als im e-Golf: Normalerweise ist der Volkswagen ID.3 aufs Segeln ausgelegt und gleitet fast "widerstandslos" dahin. Wenn Pkw, Lkw oder Radfahrer vorausfahren, wird der ID.3 dagegen ebenso langsamer wie bei engen Kurven, einem Kreisel oder der nächsten Ortseinfahrt. Die Daten werden aus der Verkehrszeichenerkennung und den Karten übernommen: Wenn auf der Bundesstraße ein Schild mit 70 km/h erkannt wird, bremst der VW über den Elektromotor auf diese Geschwindigkeit herunter, um dann wieder zu segeln.

Alle Funktionen sind bei Bedarf abschaltbar, und leider kostet der besonders für Autobahntouren empfehlenswerte Travel Assist Aufpreis. Oder besser gesagt: Solange der ID.3 nicht frei konfigurierbar ist, bindet Volkswagen das "Assistenzpaket Plus" an die teuren Ausstattungsvarianten Tech, Max und Tour (77 kWh-Batterie). Eine Empfehlung sind darüber hinaus die LED-Matrix-Scheinwerfer, die in allen ID.3 mit Ausnahme des Pro, des Pro S und des Life enthalten sind. Sie erzeugen ein sehr gutes Licht und setzen Entgegenkommende zuverlässig in einem Schattenkegel.

Die Schwächen der Software sind genauso signifikant wie die Qualitäten: So reagiert die Bedieneinheit viel zu langsam und zu träge. Sie braucht nach dem Start des ID.3 etliche Sekunden zum Hochfahren, und auch danach wirkt die Rechengeschwindigkeit zu zögerlich. Die Sprachsteuerung ist stark verbesserungswürdig, weil sie zu langsam ist und manchmal in permanentes Grübeln verfällt. Nummer drei auf der Kritikliste ist, dass Ladesäulen nicht in die Routenführung übernommen werden und deren Status (belegt oder frei) in der Umkreissuche nicht angezeigt wird.

Bei der Navigation unterstützt der ID.3 den Fahrer durch eine Lichtleiste am unteren Ende der Windschutzscheibe, die zu Beginn wie ein überflüssiges Gimmick wirkt, nach einer Gewöhnungsphase aber angenehm ist und daran erinnert, dass es eigentlich im 1st Max neben dem kleinen Head-up Display die große "Augmented Reality" geben sollte. Bugs im Sinn von Defekten oder Fehlanzeigen hatte der Testwagen nicht; es darf aber grundsätzlich angenommen werden, dass Presseautos vor der Übergabe gründlich gecheckt werden und über die aktuelle Softwareversion verfügen.

Auf Anfrage von heise Autos teilt Volkswagen mit, dass die Langsamkeit des Systems, die defizitäre Sprachsteuerung und die Nichtübernahme von Ladesäulen in die Routenführung durch ein großes Update behoben werden sollen. Das soll zum Ende des Jahres in jedem neu ausgelieferten ID.3 drin sein. Bestandsfahrzeuge der 1st-Serie kommen nach Aussage von Volkswagen im ersten Quartal 2021 in den Genuss der Aktualisierung. Hierzu ist ein Werkstattaufenthalt notwendig, weil die Augmented Reality, die Teil des Updates wird, eine Kalibrierung notwendig macht. Andere Softwareneuerungen sollen "over the air" aufgespielt werden. Als Trostpflaster erlässt Volkswagen den sogenannten 1st Movern drei Monatsleasingraten. Das Unternehmen steht bei der Software unter einem enormen öffentlichen Druck, der im Sinn der Kunden hoffentlich zu einem guten Ergebnis führt.

Elementar für die Praxistauglichkeit eines Elektroautos sind Stromverbrauch und Reichweite. Der Volkswagen ID.3 1st Max hat eine verfügbare Batteriekapazität von 58 kWh und eine Normreichweite von 408 km laut Konfigurator. Der tatsächliche Durchschnittsverbrauch lag bei 18,7 kWh/100 km (WLTP: 16,1 kWh/100 km) woraus 310 km resultieren. Ein wegen des hohen Autobahnanteils günstiger Wert. Ladeverluste konnten wegen der durchgehenden Nutzung der öffentlichen Infrastruktur nicht gemessen werden; alle Werte stammen aus dem Bordcomputer.