Web-Erfinder Berners-Lee spricht sich für Netzneutralität und gegen DRM aus

Tim Berners-Lee hat im US-Kongress für den Erhalt des Prinzips des offenen Netzwerks geworben, das allen zu gleichen Bedingungen zur Verfügung steht. Kopierschutztechniken lehnte er als Verstoß gegen offene Standards ab.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 47 Kommentare lesen
Lesezeit: 7 Min.

Sir Tim Berners-Lee, der "Vater" des World Wide Web, hat im US-Kongress nachdrücklich für den Erhalt des Prinzips des offenen Netzwerks geworben. "Ein Internet, das allen zu gleichen Bedingungen zur Verfügung steht, ist sehr, sehr wichtig für eine Web-basierte Gesellschaft", erklärte der Entwickler bei einer Anhörung über die "Zukunft des World Wide Web" im Unterausschuss für Telekommunikation und Internet im US-Repräsentantenhaus. "Ich glaube, dass das Kommunikationsmedium so wichtig ist, dass wir es besonders schützen sollten." Als er in Großbritannien aufgewachsen sei, habe die Briefpost als Schlüssel-Kommunikationsdienst gegolten, verdeutlichte der Gründer des World Wide Web Consortium (W3C) sein Anliegen. Die Regierung habe daher Eingriffe in den Postverkehr unter schwere Strafen gestellt. Beim Datenverkehr sollte daher genauso verfahren werden.

Das Gebot, den freien Informationsfluss zu gewährleisten, werde angesichts der globalen Natur des Internet und des Web immer bedeutsamer, führte Berners-Lee weiter aus. Die besonders vorsichtige Behandlung des Hypertextmediums, die bisher weltweit an den Tag gelegt worden sei, "entstammt unserer langen Tradition, wonach Demokratien ihre entscheidenden Kommunikationswege schützen müssen".

Berners-Lee griff damit erneut in die Debatte um die Netzneutralität ein, die in den USA seit über einem Jahr hitzig geführt wird. Großen US-Breitbandanbietern und einigen europäischen Carriern wie der Deutschen Telekom geht es seit längerem darum, für den Aufbau ihrer Hochgeschwindigkeitsnetze Inhalteanbieter für die zugesicherte oder besonders rasche Übertragung von Daten zur Kasse zu bitten. Verfechter strenger gesetzlicher Netzneutralitätsregeln wie Amazon.com, eBay, Google, Microsoft oder Yahoo fürchten dagegen, dass neue Geschäftsmodelle durch ein Mehr-Klassennetz behindert und innovativen jungen Netzfirmen Steine in den Weg gelegt werden sollen.

Berners-Lee zeigte sich überrascht, dass über die Beibehaltung des grundlegenden Prinzips der Netzneutralität in den USA überhaupt so lange diskutiert werde. In anderen Ländern werde der offene und allen zu gleichen Bedingungen zur Verfügung stehende Zugang zum Internet als gegeben und als Voraussetzung für die Entwicklung innovativer Netzdienste angenommen. Wenn er anderswo auf die US-Debatte hinweise, blicke er daher nur in fragende Gesichter. Er hoffe, dass sich daran nichts ändern werde. Generell machte Berners-Lee deutlich, dass der Erfolg des Internet auf offenen Standards beruhe. Suchmaschinenanbieter, Auktionshäuser oder andere innovative Online-Händler hätten ihre Dienste im Vertrauen darauf entwickeln können, dass jeder mit einem Netzzugang und einem Browser imstande sei, einfach auf diese zugreifen zu können. Dies sei auch die Bedingung für ein weiteres Wachstum und die Fortentwicklung des Internet.

Der Demokrat Ed Markey, der als eiserner Befürworter der gesetzlichen Festschreibung der Netzneutralität gilt und die Anhörung organisiert hatte, äußerte sich vergleichsweise zurückhaltend zu anstehenden Aktionen des Gesetzgebers. "Bis zum Jahresende werden wir das Thema von allen Seiten beleuchten", steckte er seinen gemächlichen Fahrplan zum weiteren Vorgehen im Kongress ab. Zuvor hatten führende Demokraten die Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes bereits auf die lange Bank geschoben und Vorschlägen mit "ungewollten Konsequenzen" eine Absage erteilt. Allein im US-Senat brachten der Demokrat Byron Dorgan und die Republikanerin Olympia Snowe ihren Entwurf für einen Internet Freedom Preservation Act im Januar neu ein. Im vergangenen 109. US-Kongress waren insbesondere von den Demokraten vorangetriebene Bemühungen zur gesetzlichen Verankerung eine starken Netzneutralitätsprinzips wiederholt am Widerstand der Republikaner gescheitert.

Stirnrunzeln bei einzelnen Abgeordneten löste Berners-Lee mit seinem Pochen auf offenen Standards auch bei der Verbreitung von Inhalten über das Netz aus, für die sich Systeme zum digitalen Rechtekontrollmanagement (DRM) als Hindernis herausgestellt hätten. Konkret bezeichnete der Web-Erfinder die von Apple bei iTunes eingesetzte "geschlossene, nicht Standard-basierte Technik für den Kopierschutz" als Ursache für das verlangsamte Wachstum beim Verkauf von Musikstücken über die Plattform aus. Apple-Chef Steve Jobs hatte sich zuvor selbst dafür ausgesprochen, DRM von den Songs zu verbannen, um das Inhaltegeschäft weiter anzukurbeln.

Die Republikanerin Mary Bono, eine strikte Verfechterin eines starken Schutzes geistiger Eigentumsrechte, fragte Berners-Lee daraufhin, wie Kreative in einer Welt ohne DRM ihr Geld verdienen sollen. Dieser verwies auf einen besser handhabbaren Ansatz, in dem digitale Inhalte mit Wasserzeichen markiert und so rückverfolgbar werden. Das wäre wie der Erlass eines Tempolimits ohne dessen Durchsetzung, bohrte Bono nach. Berners-Lee ging auf den Vergleich ein und bekundete, dass im Autoverkehr auch nicht jeder Temposünder sofort und automatisch gedrosselt würde: "Ich bevorzuge es, Software zu machen, die es einem an erster Stelle erlaubt, die richtigen Dinge zu tun."

Zum Thema Netzneutralität siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)