Neue Zweifel am Schnellverfahren zur ISO-Normierung von Microsofts OOXML

Laut einem internen Dokument der Genfer Normierungsorganisation ist das für die Zertifizierung von Microsofts Dokumentenformat gewählte Prozedere nur für unverändert anzunehmende Standards gedacht.

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Ein internes Dokument der Internationalen Organisation für Normung (ISO), das Ende vergangener Woche seinen Weg auf die Whistleblower-Plattform Wikileaks gefunden hat, stellt die Wahl des Schnellverfahrens zur Zertifizierung von Microsofts Dokumentenformat Office Open XML (OOXML) einmal mehr in Frage. Laut dem Papier des Joint Technical Committee No 1 (JTC 1) der Genfer Normierungsorganisation, das vom Juli 2007 stammt, ist das für die Behandlung von Microsofts Dokumentenformat gewählte "Fast Track"-Prozedere nur für unverändert anzunehmende Standards bestimmt. Eine nicht in Reinform angenommene Norm sei zwar nicht als "2. Klasse" oder illegitim anzusehen, heißt es weiter. Sollten sich jedoch im Vorfeld erforderliche Korrekturen abzeichnen, gebe es keinen Grund, die Spezifikation nicht in den normalen, fünfstufigen Normierungsprozess einzuschleusen. Dieser sei dafür gedacht, Änderungen an einem originalen Entwurf vorzunehmen.

Microsoft ließ sich OOXML zunächst durch die European Computer Manufacturers Association (ECMA) zertifizieren. Schon bei dieser Abstimmung Ende 2006 votierte mit IBM ein nicht ganz unwichtiger Akteur in der Computerindustrie gegen die Verabschiedung des Standards. Bereits damals war die Kritik groß, dass OOXML eine von einem einzelnen Hersteller diktierte und anderweitig bislang kaum implementierbare Spezifikation sei. Es zeichnete sich also ab, dass für eine ISO-Normierung voraussichtlich umfangreiche Änderungen an der rund 9000 Seiten umfassenden Vorlage Microsofts unumgänglich sein würden. Trotzdem schlugen die Redmonder im Verbund mit der ECMA das Schnellverfahren für die angestrebten ISO-Weihen ein.

Das Dokument des technischen Komitees der Genfer Organisation besteht dagegen darauf, dass eine zur raschen Verabschiedung vorgesehene Spezifikation "so wie sie ist als nützlicher Beitrag zur Weltgemeinschaft" gelten können müsse. Dies sei die unumgängliche Grundbedingung für ein Schnellverfahren, betont der Autor des Schreibens noch einmal. Vorbedingungen, Hindernisse oder zu erwartende Zusatzarbeiten würden diesen Weg dagegen versperren. Dies stehe im Einklang mit dem Zweck einer internationalen Norm, den Welthandel zu beflügeln. Zudem würden sich diese Bedingungen aus den Regeln der ISO und ihrer Schwesterorganisation IEC (International Electrotechnical Commission) ableiten, die "demokratisch und transparent" seien. Nur in einem einzigen Ausnahmefall sei bislang eine Spezifikation mit leicht überschaubaren Änderungen gleich auf die "Überholspur" zur Normierung geschickt worden.

Die ISO-Mitgliedsländer verweigerten dagegen OOXML im ersten Anlauf die Zustimmung. Sie erarbeiteten zahlreiche technische Kommentare, von denen im Lauf einer einwöchigen Einspruchsberatung in Genf aber nur ein kleiner Teil direkt beraten werden konnte. Den verbliebenen Großteil der Änderungsvorschläge winkten die Delegierten beim Schluss der Besprechungen ohne Änderungen einfach durch. In Folge geriet die Normierung unter Druck. Vier Mitgliedstaaten legten gegen das heftig umstrittene und von Berichten über Unregelmäßigkeiten begleitete Zertifizierungsverfahren wegen formaler Bedenken offiziell Einspruch ein, sodass die ISO die Spezifikation zunächst auf Eis legte. Eine überarbeitete OOXML-Version hat die Organisation bis zum Tage nicht veröffentlicht, sodass detailgenaue inhaltliche Einwände bislang gar nicht abgegeben werden können.

Laut Verfahrensbeobachtern haben die Geschäftsführer der ISO und der IEC die Einsprüche aus Brasilien, Indien, Südafrika und Venezuela inzwischen als formal korrekt anerkannt. Nun läuft der Prozess zur endgültigen Entscheidung durch zwei Managementbeiräte der Organisationen. Die vier Länder sollen demnach aufgefordert worden sein, mögliche Lösungsvorschläge zu unterbreiten. Geprüft werde nun die Einrichtung eines Mediationspanels zwischen den Hauptbeteiligten. Dieses würde beide Seiten anhören und bei einer ausbleibenden Einigungsmöglichkeit innerhalb drei Monaten einen Bericht an die Generalsekretäre von ISO und IEC liefern. Auf dieser Basis hätten die beiden Managementbeiräte dann das letzte Wort.

Siehe zu den Dokumentenformaten und ihrer Standardisierung auch:

(Stefan Krempl) / (jk)