Ampel-Aus: Digitalisierung auf dem Abstellgleis​

Nach der Entlassung des Finanzministers und dem Bruch der Koalition drohen zahlreiche Gesetzesvorhaben für die Digitalisierung zu scheitern. Ein Überblick.

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Eine defekte Ampel hängt am Kabel von ihrem Mast herab.

(Bild: roibu/Shutterstock.com)

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Nach dem Aus der Ampel-Koalition am Mittwochabend will Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bis Mitte Januar 2025 mit einer rot-grünen Minderheitsregierung weitermachen, um noch einige Gesetzesvorhaben durchs Parlament zu bringen. Das betrifft auch eine Vielzahl digitalpolitischer Vorhaben, darunter einige Umsetzungs- und Begleitgesetze europäischer Richtlinien.

Ohne eigene Mehrheit der Regierung könnten die Vorhaben im Parlament scheitern. Sollten sie bis zu den Neuwahlen liegen bleiben, verfallen sie und müssen in der nächsten Legislaturperiode neu begonnen werden. Zudem ist derzeit völlig offen, wie viel Zeit der Bundesregierung noch bleibt, weil Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) auf frühere Neuwahlen drängt.

Offen sind derzeit unter anderem die Gesetze zur kritischen Infrastruktur: Zum einen das bereits in der parlamentarischen Beratung befindliche NIS2-Umsetzungsgesetz zur Stärkung der Cybersicherheit, zum anderen das erst am Mittwochmittag vom Kabinett auf den Weg gebrachte Umsetzungsgesetz zum besseren physischen Schutz kritischer Anlagen. Hier hatten auch die Länder auf eine baldige Verabschiedung gedrängt, die derzeit weitgehend von Christdemokraten und Christsozialen angeführt werden. Ob die Bundestagsfraktion sich davon beeindrucken lässt, ist derzeit ungewiss.

Ebenfalls betroffen ist die deutsche Umsetzung der europäischen KI-Verordnung (AI Act). Damit sollte unter anderem die Bundesnetzagentur als hauptzuständige Aufsichtsbehörde festgelegt werden. Hier besteht ein doppeltes Problem: Zum einen ist die deutsche Begleitgesetzgebung noch nicht abgeschlossen, zum anderen sind bei der Bundesnetzagentur bislang keine Stellen dafür vorgesehen. Die würden erst mit dem nächsten Bundeshaushalt festgeschrieben – doch der wird nicht mehr kommen.

Noch nicht durch das Kabinett ist das Gesetz zur Umsetzung der revidierten europäischen EIDAS-Verordnung, mit der unter anderem die Vorgaben für die EU-weit nutzbaren Walletlösungen im deutschen Recht verankert werden sollen. Unklar sind auch die Vorhaben im Gesundheitsbereich: So befindet sich etwa das Gesetz zum Umbau der Gematik in eine Gesundheits-Digitalagentur noch in der parlamentarischen Beratung.

Kaum mehr eine Chance auf Umsetzung hat das FDP-Projekt des als Alternative zur ausgesetzten Vorratsdatenspeicherung vorgesehenen Quick-Freeze. Auch die Neuregelung der Nachrichtendienste dürfte nun keine Chance mehr haben. Unklar ist, ob das sogenannte Sicherheitspaket kommen könnte, mit dem BKA und Bundespolizei komplexe Datenanalysen und der biometrische Abgleich von Gesichts- und Stimmdaten mit öffentlich verfügbaren Daten erlaubt werden sollte. Der Union ging das Vorhaben nicht weit genug, sie blockierte es im Bundesrat.

Auch die gerade erst vorgestellte Initiative zur Entkriminalisierung von IT-Sicherheitsforschung, die Reform des sogenannten Hackerparagrafen, hat nicht ausreichend Priorität, um noch abgeschlossen zu werden. Keine Chance mehr dürfte auch das Gesetz zum Beschäftigtendatenschutz mehr haben – dieses hat es bislang nicht einmal ins Kabinett geschafft. Weder Union noch FDP dürften hier zur Kooperation bereit sein.

Hinzu kommt eine Vielzahl an Gesetzen, die nicht primär digitalpolitisch sind, aber vor allem die Digitalisierung von Prozessen verbessern sollten. Darunter finden sich viele Vorhaben aus dem Bereich der Justiz- und Verwaltungsdigitalisierung, etwa die Digitalisierung von Immobilienverträgen oder des Bauvertragsrechts.

Auch andere Vorhaben werden mit dem fehlenden Bundeshaushalt 2025 in Probleme geraten, der aufgrund des Scheiterns der Koalition nun nicht mehr verabschiedet werden wird. Denn damit wird etwa die eigentlich vorgesehene Ausstattung der Bundesnetzagentur fĂĽr die Aufsicht ĂĽber den Digital Services Coordinator erst einmal nicht wie vorgesehen stattfinden.

Zudem gilt ohne beschlossenen Haushalt das Prinzip der vorläufigen Haushaltsführung: Der Bund darf dann nur noch die unzweifelhaft nötigen Ausgaben tätigen. Das betrifft nicht zuletzt Projekte, die von Bundesmitteln abhängen – also unter anderem Forschungsprojekte, aber auch andere Initiativen bis hin zur Breitbandausbauförderung. Hier muss die verbliebene Bundesregierung aus SPD, Grünen und Volker Wissing nun die konkreten Auswirkungen prüfen.

Dass der nächste Bundeshaushalt zügig nach der nächsten Wahl verabschiedet wird, gilt zudem als unwahrscheinlich: Vorher stehen noch – absehbar komplizierte – Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen an, die sich 2025 über Monate und somit nach Scholz derzeitigem Plan bis in den Frühsommer hinziehen könnten.

Am Mittwochabend hatte Scholz Finanzminister Christian Lindner (FDP) entlassen und angekündigt, Mitte Januar 2025 die Vertrauensfrage zu stellen. Damit wären Neuwahlen im Frühjahr wahrscheinlich. Anschließend haben die FDP-Minister Marco Buschmann (Justiz) und Bettina Stark-Watzinger (Forschung) ihren Rücktritt angekündigt. Digitalminister Volker Wissing hat am Donnerstagmorgen überraschend seinen Austritt aus der FDP angekündigt und will im Amt verbleiben.

(vbr)