Comdex: Sex und Shows in Vegas

Am Sonntagabend Las Vegas Ortszeit beginnt die Herbst-Comdex 2003 mit Bill Gates' 20. Keynote. Die traditionsreiche und lange Zeit einflussreichste Computermesse der Welt versucht sich ähnlich wie Las Vegas an der eigenen Wiederbelebung.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 60 Kommentare lesen
Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Detlef Borchers

Las Vegas will wieder dreckiger werden. Über die Jahre hinweg hat man viele neue Hotels gebaut, mit familienfreundlichen Unterhaltungskomplexen und Streichelzoos, bis Las Vegas das Image einer Ferienstadt hatte. Aus Sin City wurde Fun City, das nächtliche Zocken verkam fast zur Nebensache. Das brave Image zahlte sich nicht aus: Im Wüsten-Disneyland floppten einige Unternehmungen, allen voran die Dependance des Guggenheim-Museum mit angebautem Venedig-Schwindel. Nun soll sich alles wieder zum Guten, Echten ändern. Mehr Sex ist die Devise, statt Vernissagen Venushügel und muskelbepackte Verführer. "Wir brauchen die Freiheit der Sinnlichkeit", verkündete der Bürgermeister unter dem Beifall der Hotel-Manager. Der neue Trend heißt Softporno am Strip mit ein paar schärferen Sachen in den Nebenstraßen. Anstelle der Löwen von Siegfried und Roy sind strippende Boys von "Down Under" der Schlager, statt der Humanität großer Kunst zählt "Zumanity" zu den Rennern. Das ist eine Show mit leichtbekleideten Schwimmerinnen, die eine Art Unterwasser-Tantrasex mit Sadomaso-Einlagen demonstrieren. In einigen Hotels werden Suiten mit den Stangen ausgerüstet, an denen sich Stripperinnen zu räkeln pflegen.

Dass Las Vegas seine "Seele" wiederfindet. kommt nicht von ungefähr. Es sind die Spieler, die nach wie vor das große Geld bringen. Allein reisende Männer zwischen 25 und 45 Jahren stellen hier die lukrative Zielgruppe dar, die von einem Hotelmanager in einem Bericht der Süddeutschen Zeitung so beschrieben werden: "Wir wollen die Dotcoms. Wir wollen die Jungen, die Hippen, die Leute, die glauben, dass sie ihre Verluste an der NASDAQ wieder einfahren können." Dass es aus ist mit der Internet-Blase, daran glaubt man in Las Vegas nicht. Schließlich wird hier das Geschäft der Internet-Casinos argwöhnisch verfolgt. Die immer stärker werdende Konkurrenz der Online-Gambler hat alles, nur nicht den Sex, wie ihn Las Vegas bieten kann. Also muss diese Karte gereizt werden.

Las Vegas bietet bald noch etwas mehr: Eine Monorail verbindet hinter dem Strip etwa 10 Hotels miteinander, umschlängelt dann das riesige Sands Convention Center und läuft in weitem Bogen bis zum Las Vegas Convention Center, dem eigentlichen Messeareal der Stadt. Die Monorail soll die Besucher, wenn sie denn zu einer der vielen Messen kommen, möglichst schnell zum Spielen in die angeschlossenen Hotels zurückbringen. Der Wahnsinn, in einem der 27.000 Taxis im Stau der Messe entgegenzukriechen, soll mit der Monorail ein Ende haben. Im Unterschied etwa zu einer U-Bahn bringt die Monorail des Bewohnern der Stadt überhaupt keinen Nutzen und ist nicht in das städtische Transportnetz integriert. Sie hat den Zweck, "neue Messen zu bebrüten", heißt es in einer Broschüre der Messegesellschaft. Wer eine Messe veranstalten will, soll automatisch an Las Vegas und seine Infrastuktur denken. Auf der noch nicht eröffneten Stelzenbahn soll es fortschrittlich zugehen: Die Wagen sind mit WLAN-Hotspots ausgestattet, die die Messe-News auf die PDAs und Notebooks der Passagiere abstrahlen. Auch die Idee der sauberen Sex-Marke Las Vegas wird durch die Monorail befördert: Wer in der Bahn fährt, soll nicht mit den überall gegenwärtigen Verteilern von Handzetteln in Berührung kommen, auf denen erotische Dienstleistungen aller Art beworben werden. Die Rechnung wurde jedoch ohne das berühmte Milchmädchen gemacht, das Kunden melken will: Unter den kostenlosen Hotspots, die am Messegelände vom Rechner gefunden werden, ist einer, der sich mit Werbung für Hostessen-Dienste aller Art finanziert. So ist das mit dem Neuen im Alten.

Die Comdex ist eine der Messen, die als "neue Messe" das Terrain sondiert. Der ursprüngliche Veranstalter Key3Media ging in den Konkurs, eine Auffangsgesellschaft namens MediaLive International versucht sich nun mit neuem Konzept und altem Namen. Dabei ist man ganz bescheiden geworden: 50.000 Besucher wären schon ein großer Erfolg, heißt es. An die 125.000 Besucher der letzten, sehr enttäuschenden Comdex mag bei MediaLive niemand denken, die Rekordzahl von 225.000 Comdex-Besuchern stammt ohnehin aus einem anderen Jahrhundert. Im Unterschied zu früheren Jahren hat MediaLive nicht versucht, die Messe künstlich aufzubauschen: Ausstellen darf nur, wer ein IT-Produkt vorweisen kann. Mercedes-Benz und Segway-Roller dürfen noch präsentiert werden, aber nur auf Parkplätzen rund ums Messegelände. Über 500 Austeller haben sich entschlossen, diese Messe zu beschicken, unter ihnen Firmen wie Dell, die viele Jahre Las Vegas ignoriert hat.

Im Neuanfang gibt es Anschluss an alte Traditionen: Wie üblich hält Bill Gates am Sonntagabend die Eröffnungsrede, wie üblich ist Microsoft der größte Aussteller -- ohne diese Zusage aus Redmond hätte der Neuanfang nach dem Konkurs überhaupt nicht stattfinden können. Für Gates ist es die 20. Keynote, die er zu Beginn einer Comdex halten wird. Sein erster Auftritt war vor 20 Jahren, als er, assistiert von seinem Vater am Dia-Projektor, ein grafisches Verwaltungssystem namens Windows skizzierte. Bis es vorgeführt werden konnte, verging einige Zeit. Später verlegte sich Gates in seinen Reden auf die Popularisierung von Konzepten wie "Information at your fingertips", "Information everywhere" und zuletzt "Digital Me" bei der mehrere Jahre wiederholten Präsentation des Tablet PC. Auch dieses Jahr soll eine neue Version des Tablet-PC die Rede füllen helfen, doch im Zentrum steht die neue Sicherheitsphilosophie von Microsoft, etwa ein gänzlich neuer Spam-Filter, der an diesem Sonntagabend Las Vegas Ortszeit Premiere haben soll. Die erste Business-Keynote kommt dann am Montag von Scott McNealy, der wohl Sun Microsystems neue Linie von Rechnern auf der Basis von AMD-Chips vorstellen soll.

Scott McNealy und seine Witzchen über Microsoft sind dabei nicht die einzigen Auftritte dieser Firma. Kaum ist seine Keynote beendet, tritt McNealys Cheftechniker Jim Fowler vor die Zuhörer und legt ein uneingeschränktes Bekenntnis von Sun zur Open Source ab, wie es in der Vorab-Mitteilung heißt. Nur tut er dies nicht auf der Comdex, sondern auf der Apachecon, die zwei Kilometer abseits der Messe in einem schicken Hotel stattfindet. Die Konferenz mit dem Hauptsponsor Sun ist ein Treffen aller Webmeister vom Stamm der Apachen in einer entspannten Pool-Atmosphäre ganz ohne Sex. Den gibt es genau gegenüber im Hardrock Hotel, das gerade den Titel des heißesten Hotels von Vegas erhalten hat. Den Gesetzen des neuen Marktes entsprechend sind die Straßen in dieser Gegend nächtens Hotspots der eigenen Art.

Das hotelmäßige Gegenstück zum Hardrock heißt Mandala Bay. Dort, wohin die Monorail nicht fahren wird, in einer schwülstigen goldüberladenen Kolonialstil-Atmosphäre, treffen sich 6000 Besucher und 50 Aussteller zu einer Messe, die offensiv damit wirbt, die Gegencomdex zu sein. Die CDXPO der Firma Jupiter Media hat dabei nicht nur die Comdex im Visier, sondern will im nächsten Jahr als "Enterprise IT Week" zeitgleich mit der CeBIT America antreten und die CeBIT "in ihre deutschen Schranken" verweisen, wie es der nicht eben zimperliche Eigner Alan Meckler erklärt. Sein Konzept ist es, eine intime Messe mit intensiven Debatten über Schlüsselthemen für das gehobene Management zu veranstalten, weit abseits der nach Freebies suchenden bettelnden Beuteltiere. Die nötige Barriere ist der Eintrittspreis von rund 1300 Dollar, weit über den Tagestickets für 100 Dollar, die die Comdex erstmals bietet.

Was Micrososoft der CDX ist, ist Hewlett-Packard der CDXPO. Die Firma will die Messe nutzen, um im Angesicht einer Vielzahl von Produkten den "wahren Kern" von Hewlett-Packard zu zeigen. Auch IBM ist mit von der Partie, zeigt allerdings auch auf der Comdex Präsenz. Was die vielen Keynotes der CDXPO anbelangt, so hat der ehemalige Journalist Meckler ein gutes Gespür für Themen und gibt dem SCO-Chef Darl McBride Gelegenheit, seine Ansichten über Linux und Open Source zu präsentieren. So hat die CDXPO das meist diskutierteste Thema, die Comdex das bekannteste Gesicht. Beide Veranstalter und Abgesandte der CeBIT treffen sich übrigens, um darüber zu verhandeln, wie die Besucher gezählt und diese Zahlen verbindlich kontrolliert werden können.

Eine Gegenposition zu all den Anstrengungen, die Computerbranche wieder nach Las Vegas zu bringen, bezog Rob Enderle, früher viel zitierter Analyst der Giga Information Group, nach deren Übernahme durch Forrester nun in eigener Sache als Analyst der Enderle Group unterwegs. Enderle ließ im Vorfeld beider Messen seine Presserklärung verteilen, in der er das Ende dieser Shows verkündete. Die alte, echte Comdex sei eine DEX gewesen, eine Dealer's Exhibition. Aussteller zeigten ihre Produkte, damit Computerhändler entscheiden konnten, welche Trends kommen, was sie verkaufen können. Mit dem Untergang des klassischen Computerhändlers hätten Messen dieser Art schon lange ihren Sinn verloren, befindet Enderle. Die Dotcom-Blase habe dafür gesorgt, dass die Show noch etwas weiter laufen konnte, doch nun sei es engültig vorbei. Als Alternative sieht Enderle virtuelle Messen im Internet. Sie können von schicken Avataren wie Ananova präsentiert werden und kommen ganz ohne beschwerliche Reisen aus. Die Präsentationen und die Diskussionen mit anderen Messebesuchern sollten durch Peer-Diskussionen in rennomierten Weblogs ergänzt werden. Verdächtig nur, dass Enderle sich nicht an seine Analyse hält, sondern auf beiden Messen in Vegas als Redner auftritt.

Zur Entwicklung der Comdex siehe auch:

Zur Herbst-Comdex 2003 siehe auch:

(Detlef Borchers) / (jk)