Heftiger Schlagabtausch über "Datenschutz total" im Bundestag

Koalition und Opposition stecken grundsätzliche Datenschutzpositionen ab. Anlass: die 1. Lesung des Regierungsentwurfs zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes zur Einschränkung von Scoring für die Bonitätsprüfung.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 100 Kommentare lesen
Lesezeit: 7 Min.

Hoch ging es teilweise her am heutigen Freitag im Bundestag: Koalition und Opposition nahmen die 1. Lesung des Regierungsentwurfs zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) zur Einschränkung von Scoring für die Bonitätsprüfung zum Anlass, um ihre grundsätzlichen Positionen zum Schutz der Privatsphäre abzustecken. Dabei brachen Sprecher der Fraktion der Grünen und der FDP eine Lanze für die Verankerung des Datenschutzes im Grundgesetz. Einig waren sich letztlich alle Parteien, dass angesichts der jüngsten Skandale beim illegalen Handel mit persönlichen Informationen und der fortwährenden Datenpannen bei der Deutschen Telekom eine grundsätzliche Reform des Datenschutzrechts unerlässlich sei.

"Die Bürger sind es leid aus den Medien zu erfahren, dass ihre Daten schon wieder massenhaft verkauft worden sind", brachte Silke Stokar, innenpolitische Sprecherin der Grünen, die Stimmung bei vielen auf den Punkt. Es müssten daher im Einklang mit einem Antrag der Oppositionspartei Informationspflichten für die Unternehmen bei Datenschutzverletzungen sowie Haftungsregeln eingeführt werden. Zugleich griff Stokar Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Telekom-Chef René Obermann scharf als "gemeinsame Täter" an. Beide hätten versucht, die Datenschutzskandale bei dem Bonner Konzern durch "Täuschen und Tricksen" eher zu vertuschen statt aufzuklären. Die "Datenschutz-Flickschusterei" von Schwarz-Rot müsse ein Ende haben und der Datenschutz ins Grundgesetz, um etwa bilateralen Verträgen zum Austausch sensibelster Daten mit den USA oder die von Schäuble geplante "neue Abhöreinrichtung" einfacher zu stoppen.

Die CDU-Innenpolitikerin Beatrix Philipp warnte davor, durch Symbolpolitik "Erwartungen bei der Bevölkerung hervorrufen, die sie dann nicht einhalten können". Auf dem Programm der Sitzung stünden insgesamt acht Anträge oder Gesetzesentwürfe, also "Datenschutz total". Es gebe Handlungsbedarf, räumte Philipp ein. Schnellschüsse seien aber zu verhindern. Vielmehr müssten "sehr differenzierte Maßnahmen" ergriffen werden. Dabei gehe es nun in einem ersten Schritt darum, die Transparenz beim Scoring zu erhöhen. Bei den in der Wirtschaft verstärkt angewandten mathematisch-statistischen Verfahren zur Berechnung der Wahrscheinlichkeit, mit der ein Kredit zurückgezahlt werden könne, sah Philipp viele positive Aspekte. Der Betroffene wolle vor allem die dem Scoring zugrunde liegenden Datensätze auf Stichhaltigkeit prüfen, was der Entwurf gestatte. Die Zulassung des Geo-Scoring verteidigte die Unionsvertreterin mit dem Hinweis, dass die Verwendung von Adressdaten der "Privatautonomie der Unternehmen" zu überlassen bleiben habe.

Gisela Piltz machte im Namen der FDP-Fraktion "viele unpräzise Regelungen" in der BDSG-Änderung aus. Die Initiative erreiche "nur Ratlosigkeit bei Betroffenen und Rastlosigkeit bei Anwälten". Oberstes Ziel müsse es sein, "dass die Bürger Herren oder Damen ihrer Daten bleiben". Vor allem sei daher der Vorbehalt nötig, dass Verbraucher der Weitergabe ihrer persönlichen Informationen zustimmen, begrüßte sie einen der Kernvorschläge des Datenschutzgipfels von Bund und Ländern. Diese will die Koalition aber erst in einer zweiten BDSG-Novelle von November an behandeln. Den Vorstoß der Grünen für eine Informationspflicht bei Datenpannen sah die Liberale skeptisch. Eine Veröffentlichung jedes Verstoßes sei nicht zweckdienlich, da sonst Dritte Lücken einfacher ausnutzen könnten.

Für Michael Bürsch von der SPD-Fraktion stellt das Jahr 2008 bereits jetzt einen "entscheidenden Wendepunkt für den Datenschutz" dar. Der Bereich "galt lange als Exotenfach", räumte er Versäumnisse während der letzten Jahre unter SPD-Regierungsbeteiligung ein. Angesichts der zutage getretenen Missbrauchsmöglichkeiten persönlicher Daten vor allem über das Internet, die jenseits seiner Vorstellungskraft gelegen hätten, sei nun aber eine "breitere Front für den Datenschutz zu beobachten". Es müsse nun darum gehen, "die Kräfte wieder in den Zaum zu kriegen", zog er eine Parallele zu dem vom Bundestag zuvor beschlossenen Maßnahmenpaket zur Stabilisierung des Finanzmarktes. Da auch die Interessen von Staat und Wirtschaft auf dem Spiel stünden, seien aber Abwägungen nötig. Neben mehr Regulierung müsse in den Menschen wie ein Gen die Überzeugung verankert werden, dass es "gewisse Vorgaben" bei der Datenverarbeitung gebe, "an die sich alle halten".

Einig war sich der SPD-Innenpolitiker mit dem innenpolitischen Sprecher der Linksfraktion, Jan Korte, dass der Datenschutz Grundgesetzcharakter haben sollte, die entsprechende Verankerung aber am Ende der nun offenbar mit mehr Verve angegangen Modernisierung des Datenschutzrechts stehen müsse. Korte machte im Gegensatz zu Bürsch aber den Staat als "Hauptproblem" bei Eingriffen in die Privatsphäre aus, da er etwa die Anti-Terrordatei, das Fluggastdatenabkommen mit den USA, die Vorratsdatenspeicherung und die "Vergeheimdienstlichung der Polizei" vorantreibe sowie zugleich die schlechte Ausstattung von Datenschutzkontrolleuren zulasse. Eindringlich setzte er sich für ein Verbot des Geo-Scorings ein, da eine Kreditvergabe nicht vom Wohnort abhängig gemacht werden dürfe.

In diesem Punkt liegen Linke und SPD wieder eng zusammen. So sprach sich auch der Verbraucherschutzexperte der Sozialdemokraten, Manfred Zöllmer, gegen den möglichen Erlass einer "Sippenhaft" auf Basis der Verwendung von Georeferenzdaten aus. Weiter setzte er sich dafür ein, Scoring nicht für alle Vertragsarten zuzulassen. Die Kreditanbieter müssten ferner unabhängige Stellen einrichten, die kostenlos auf Scoring basierende Entscheidungen erläutern. Der SPD-Datenschutzexperte Jörg Tauss bemängelte die Perfektion, mit der Banken "die Risiken von Oma für die Finanzierung eines Kühlschranks" checken, aber riesige faule Kredite vergeben hätten. Auch der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) appellierte an das Parlament, den "ungezügelten Einsatz" der Statistikmethoden stärker zu begrenzen. Sonst würden die Konsumenten auch künftig nicht erfahren, "warum sie von Unternehmen in welche Schubladen gesteckt werden".

Vergeblich warb der FDP-Politiker Ernst Burgbacher für einen Antrag der Liberalen für eine gesetzliche Regelung der Verwendung von Fluggastdatensätzen zu Strafverfolgungszwecken mit strengeren Restriktionen als im heutigen Abkommen mit den USA. Neben den schweren Grundrechtseingriffen würden US-Konzerne die jenseits des Atlantiks bei den Behörden jahrelang gespeicherten Passenger Name Records (PNR) mittlerweile auf Basis des Freedom of Information Act abfragen und somit den wirtschaftlichen Wettbewerb beeinflussen. Der Vorstoß fand aber ebenso keine Mehrheit wie ein Antrag der Grünen gegen die in der EU geplante vergleichbare Fluggastdatensammlung. SPD, Union und FDP lehnten zugleich den grünen Antrag für wirtschaftliche Informationspflichten bei Datenpannen ab, obwohl sich Schäuble bereits für eine solche Regelung im Rahmen der weiteren BDSG-Novelle stark machte.

Siehe dazu auch:

Zum Scoring siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)