Nach geplatztem Yahoo-Kauf sucht Microsoft neue Ziele

Nachdem Microsoft-Chef Steve Ballmer seine Offerte zurückzog, sprechen viele Experten von einem Sieg der Vernunft. Lachender Dritter sei zunächst in jedem Fall der Erzrivale Google – und Yahoo der drohende große Verlierer.

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Am Ende ging alles ganz schnell: Drei Monate lang geschah im Übernahmekampf zwischen Microsoft und Yahoo außer Säbelrasseln wenig. Dann legte der Softwareriese am Samstag 5 Milliarden US-Dollar mehr auf den Tisch. Als sich Yahoo immer noch zierte, stand der als Sturkopf bekannte Microsoft-Chef Steve Ballmer auf, ging und ließ den für fast 50 Milliarden Dollar geplanten Deal platzen. Viele Experten sprechen von einem Sieg der Vernunft und erwarten nun rasch andere, kleinere Zukäufe Microsofts. Lachender Dritter sei zunächst in jedem Fall der Erzrivale Google – und Yahoo der drohende große Verlierer.

Während sich der Microsoft-Mitgründer Bill Gates am Sonntag zumindest Forbes gegenüber noch nicht konkret zu der gescheiterten Übernahme äußern wollte, ließ Ballmer keinen Zweifel daran, dass er nun im Kampf gegen das bei Suchanzeigen dominante Google nach neuen Übernahmezielen Ausschau halten werde. Kevin Johnson, bei Microsoft verantwortlich für "Platform and Services", ließ am Wochenende verlauten, das Unternehmen strebe an, durch organisches Wachstum und Partnerschaften zu wachsen. Mit etwas anderem als dem Spitzenplatz bei Suche, Werbung und Netzwerken im Internet gibt sich ein Gigant wie Microsoft nicht zufrieden: "Unser klares Ziel ist es, auf jedem dieser Felder führend zu sein", kündigte Ballmer in einer internen E-Mail an die Mitarbeiter an. Ein paar Milliarden Dollar mehr hätte er sich mit der prallen Microsoft-Kriegskasse leicht leisten können. Aber der Widerstand von Großaktionären und auch aus dem eigenen Haus war am Ende wohl zu groß geworden.

Ballmer weiß aber auch, dass die Web-Aktivitäten des Windows-Konzerns dringend einen Schub von außen benötigen. Der Onlinedienst MSN hinkt weit hinter Angeboten wie Yahoo hinterher. Die Microsoft-Suche "Live Search" kann nicht mit Google mithalten. Und auch die im "adCenter" vereinten Bemühungen um den Online-Werbemarkt können Google samt DoubleClick nicht wirklich in Verlegenheit bringen. Hier liegt Microsoft abgeschlagen auf Platz drei noch hinter Yahoo.

Den größten Schaden sehen Experten aber bei Yahoo, dessen Chef und Gründer Jerry Yang die Microsoft-Milliarden als zu wenig ablehnte. Das emotionale Festhalten an seinem "Baby" Yahoo könnte den rationalen Blick aufs Geld etwas getrübt haben. Am Ende hätten Yahoo-Aktionäre 70 Prozent Aufschlag auf den Kurs vor dem Microsoft-Werben bekommen. Dem werden manche vielleicht noch nachweinen – oder auch gegen Yang auf die Barrikaden gehen, meinen Analysten. Yang habe "ganz schön Geld auf dem Tisch liegen lassen", hieb Ballmer in einem Brief an den Konkurrenten denn auch gleich in die Kerbe. Yahoo bleiben jetzt nur die während des Tauziehens parallel verhandelten Bündnisse etwa mit Ballmers Erzfeind, Google-Chef Eric Schmidt.

Die beiden Unternehmen hatten ihre Kooperation in den vergangenen Wochen bereits getestet. Analysten der Bank Sanford C. Bernstein taxieren der Financial Times Deutschland zufolge den Wert der Yahoo-Aktie bei einer Kooperation mit Google auf 35 US-Dollar. Das wäre auch nötig, denn Yang muss, nachdem er Microsoft zum Nachlegen animiniert hatte, seinen Aktionären beweisen, dass die Yahoo-Aktie 33 US-Dollar wert ist – auch im eigenen Interesse, denn Yang besitzt selbst vier Prozent der Yahoo-Aktien. Vor der Microsoft-Offerte hatte das Papier unter 20 US-Dollar gelegen, am vergangenen Freitag schloss es bei knapp 29 US-Dollar.

Der Yahoo-Vorsitzende Roy Bostock verspricht zur Besänftigung der Anteilseigner in einer Stellungnahme eine überarbeitete Strategie, Reorganisation des Unternehmens, wobei die am meisten versprechenden Produkte und Dienste im Vordergrund stehen, sowie ein konsequentes "Kosten- und Ressourcenmanagement". Yang freut sich in der Stellungnahme darüber, dass sich Yahoo nach Microsofts Rückzug voll auf seine Aufgaben konzentrieren könne.

Für Microsoft werden sich als Alternative zum widerspenstigen Übernahmeziel Yahoo nun etliche Web-Firmen ins Rampenlicht drängen. Beim Mediengiganten Time-Warner in New York wittern die Manager jetzt eine neue Chance, die ungeliebte Online-Tochter AOL als Braut für Microsoft herauszuputzen. Allerdings ist ein Gutteil der jüngsten AOL-Erfolge der Zusammenarbeit mit Google geschuldet. Der Rivale hält zudem fünf Prozent an AOL. Das macht ein Geschäft mit Microsoft nicht einfacher. Auch Yahoo verhandelte zuletzt mit AOL über eine Allianz.

Auf dem Feld der boomenden Online-Netzwerke hat Microsoft bereits bei Facebook mit einem kleinen Anteil und Kooperationen einen Fuß in der Tür. Daneben dürften vor allem kleinere Web-2.0-Firmen ins Visier von Ballmer gelangen. Ein junger Star der Web-Community wie der Mikro-Bloggingdienst Twitter ist nach Schätzungen schon für 150 Millionen Dollar zu haben. In ähnlichen Dimensionen bewegen sich populäre Web-2.0-Angebote wie Digg, FriendFeed, Meebo oder Ning.

Kleinere Häuser dürften auch leichter in Microsofts Firmenkultur zu integrieren sein als große Player. Allerdings würden kleinere Übernahmen wohl nicht ausreichen, um auf dem Internetfeld entscheidend voranzukommen, konstatieren Analysten laut einem Bericht der Finanznachrichtenagentur Bloomberg. Bei Yahoo kam erschwerend hinzu, dass das kalifornische Unternehmen bei fast allen Aktivitäten Open Source setzt, während Microsoft fast ausschließlich Technik aus dem eigenen Hause verwendet. Entsprechend groß war der Widerstand innerhalb von Microsoft. Und der Blog "Mini-Microsoft", in dem ein anonymer Microsoft-Mitarbeiter oft hochrangige Interna ausplaudert, jubilierte: "Zwar hat Vernunft das verrückte Angebot nicht verhindert, aber dafür jetzt wenigstens seine Umsetzung."

Doch zu sicher dürfen sich die Gegner des Geschäfts bei Microsoft und Yahoo nicht fühlen. Sollte heute der Yahoo-Kurs wie erwartet an der Börse in den Keller rauschen, könnte eine Revolte der enttäuschten Aktionäre die Yahoo-Spitze zu einem Kurswechsel zwingen und das Unternehmen doch noch in Ballmers Arme treiben. Vielleicht nicht ohne Hintergedanken schrieb er im "Abschiedsbrief" an Yang bittersüß: "Vielen Dank noch einmal für die Zeit, die wir mit der Diskussion über die Sache verbracht haben."

Siehe dazu auch:

(Christoph Dernbach, Roland Freund, dpa, Andreas Wilkens) / (anw)