Skepsis im Bundestag über "Killerspiel"-Verbot

Experten lehnten bei einer Anhörung im Bundestag eine weitere Verschärfung des Verbots gewalthaltiger Computerspiele eher ab, doch es gab auch Kritik an der "regulierten Selbstkontrolle" und strafrechtliche Forderungen.

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Experten sahen bei einer Anhörung im Unterausschuss Neue Medien des Bundestags am heutigen fünften Jahrestag des Amoklaufs in Erfurt eine weitere Verschärfung des Verbots gewalthaltiger Computerspiele überwiegend skeptisch. Das unter dem Eindruck des Attentats 2003 novellierte Jugendschutzsystem mit den Vorkehrungen zur Alterskennzeichnung, Indizierung und strafrechtlichen Beschlagnahme von Computerspielen sei "genial" und als hervorragend einzustufen, erklärte Elke Monssen-Engberding, Vorsitzende der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BpjM). Er sehe "keinen Raum mehr für gesetzliche Änderungen", betonte auch Mike Cosse, stellvertretender Vorsitzender der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM).

Gänzlich andere Töne schlug Christian Pfeiffer, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen (KFN) an. Er führte den Abgeordneten zunächst zusammen geschnittene blutige Tötungsszenen aus dem "Road-Game" GTA San Andreas vor. Pfeiffer beklagte, dass gemäß einer Befragung von 6500 Zehnjährigen ein Fünftel der teilnehmenden Jungen Zeit mit Computerspielen verbringe, die erst ab 16 freigegeben sind. Zum Teil würden sie die Objekte der Begierde selbst im Handel erwerben. "Im Ergebnis funktioniert der Jugendschutz nicht", gab Pfeiffer zu Protokoll.

Gleichzeitig wartete der Kriminologe mit einer Reihe von Forschungsergebnissen auf, die einen negativen Einfluss von Computerspielen belegen sollten. "66 Prozent der Schulabbrecher sind Jungen", obwohl das Verhältnis zwischen den Geschlechtern lange Jahre immer bei 50 zu 50 gelegen habe. "Je mehr Zeit die Jungen verdaddeln, umso schlechter die Schulnoten", verwies Pfeiffer auf einschlägige Untersuchungen. Auch beim Gewaltverhalten würden männliche Erwachsene, die häufig gewalthaltigen Computerspielen frönen, kräftig zulegen. Laut Ergebnissen der physiologischen Hirnforschung aus den USA seien zudem teilweise "dramatische Einbußen an Empathie", also an der Fähigkeit zum Mitfühlen zu verzeichnen. Dieser Effekt trete zwar nur bei einer kleinen Gruppe von Gefährdeten auf, bei der eine Gewaltorientierung schon vorhanden sei. Diese würden dann in die Gewalt "so richtig reinrutschen".

Die besondere "Desensibilisierung" durch brutale Computerspiele im Vergleich etwa zu Hardcore-Pornographie erklärte Pfeiffer damit, dass der Spieler "selber Akteur ist" und "mit dem Herzen bei der Sache" sei. Die problematischste Langzeitwirkung besteht ihm zufolge in der Computerspielesucht. Fünf bis zehn Prozent der männlichen Jugendlichen sieht Pfeiffer davon hierzulande bereits betroffen. Genauere Aufschlüsse erwartet er von einer von seinem Institut durchgeführten Befragung von 50.000 Jugendlichen mit Unterstützung des Bundesinnenministeriums. Weiter laufe eine Langzeituntersuchung mit 1000 Berliner Kindern zu der Frage, "ob zu hoher Medienkonsum dick, dumm, traurig und aggressiv macht".

Als Antwort auf die medialen Herausforderungen brachte Pfeiffer eine "Kombination" des Vorschlags des bayerischen Innenministers Günther Beckstein (CSU) zum deutlichen Aufbohren von Paragraph 131 Strafgesetzbuch (StGB) zu illegalen Gewaltdarstellungen mit einem erweiterten Verbot von "Killerspielen" und der Initiative von Familienministerin Ursula von der Leyen ins Spiel. Letztere will mit einem von Nordrhein-Westfalen unterstützten "Sofortprogramm" unter anderem künftig nicht nur "Gewalt verherrlichende", sondern auch "Gewalt beherrschte" Spiele mit Mord- und Gemetzelszenen automatisch für Jugendliche verbieten. Ganz lösen lasse sich das Problem dadurch aber nicht, räumte Pfeiffer ein. Dies sei nur durch eine Aufklärungskampagne und die Ganztagsschule machbar, um den Nachmittag der Jungen "zu retten". Verbote sieht er eher als Mittel, um Firmen von der Herstellung brutaler Spiele abzuschrecken.

Ein Seitenhieb auf die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) fehlte bei den Ausführungen des Kriminologen nicht. Diese sei industrienah, da sie Spieleproduzenten berate, "wie welche Freigabe zu bekommen" und eine Indizierung zu vermeiden sei. Zudem lasse sie sich von Landesbehörden bei ihrer Altersklassifizierung im Rahmen der "regulierten Selbstregulierung" gleichsam den Betrieb eines Computerspielemuseums sponsern. Insgesamt gebe es "strukturelle Mängel bei der USK", die auch mehr Geld für ihre Prüfungen brauche.

Hartmut Warkus, Leiter des Zentrums für Medien und Kommunikation an der Universität Leipzig, sprach sich dagegen erneut gegen weitere Verbotsforderungen aus. "Ich habe mindestens 50 Partien Counterstrike gespielt. Aber es war mir überhaupt noch nicht aufgefallen, dass es da Blut gibt", widersprach der Professor der Abstumpfungstheorie Pfeiffers. Bei den Erwachsenen sei mehr "Hintergrundwissen" zu Spielen notwendig, um überhaupt mitreden zu können. "Die Gesellschaft muss lernen, ein neues und sehr kräftiges Medium zu kontrollieren und teilweise zu zivilisieren", warb auch UKS-Geschäftsführer Klaus Spieler für ein Erlernen des Umgangs mit Computerspielen. Zu Verboten und Handelseinschränkungen müsse eine "Wertediskussion der Gesellschaft über das Schützenswerte" treten.

Die Verweigerung einer Jugendfreigabe, wie es im vergangenen Jahr 104 Mal bei der Prüfung von insgesamt 2607 Computerspielen der Fall war, führt laut Spieler dazu, dass gewisse Games "nicht verkauft oder an den deutschen Markt angepasst werden". Stephan Brechtmann, Vorstandssprecher des Bundesverbandes Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU), erklärte die Gespräche mit der USK über möglicherweise zu zensierende Inhalte in Computerspielen im weltweiten Markt für Videospiele mit seinen unterschiedlichen Jugendschutzbestimmungen für unbedingt erforderlich. Anders seien die Elemente nicht herauszufinden, die gegen eine Alterskennzeichnung und eine damit einhergehende Handelsabsage sprächen.

Monssen-Engberding hielt das Instrumentarium von Paragraph 131 StGB für "ausreichend". Ihre Behörde erhielt im vergangenen Jahr auf dieser Basis von Bundes- und Landesbehörden 52 Anträge zur Indizierung von Computerspielen. Dem standen 47 entsprechende "Verfahrenserledigungen" gegenüber. Für eine Indizierung nach der geltenden Strafvorschrift hält Monssen-Engberding ein Computerspiel für relevant, wenn darin dazu aufgefordert werde, "einen Mitspieler möglichst brutal zu ermorden".

Im Anschluss an die Anhörung verkündeten Vertreter der Jungen Gruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, dass auf Basis der Expertenmeinungen ein Verbot von so genannten Killerspielen nicht sinnvoll sei. Es fehle vielmehr eine breite Diskussion in Deutschland über die wachsende Gewaltbereitschaft Jugendlicher und größerer Anstrengungen bei der Umsetzung der bisherigen Strafregelungen. Die SPD-Fraktion hatte vorab ebenfalls bereits allein ein "Vollzugsdefizit" in diesem Sinne ausgemacht. Medienexperten der FDP-Fraktion meinten, dass in der Debatte um Gewalt in Computerspielen "Verteufelungen und pauschale Urteile fehl am Platze sind". Auch eine "Steuer" zur besseren finanziellen Ausrüstung der USK sei weder machbar noch sinnvoll. Auch Vertreter der Grünen und der Linken zeigten sich weiter skeptisch gegenüber neuen Verbotsforderungen.

Siehe zu dem Thema auch:

(Stefan Krempl) / (jk)