Von der Elektronischen Gesundheitskarte zur "Weihnachtskarte"

Gesundheit wird gemacht, es geht voran: Auf dem "Update Gesundheitskarte" zeigten sich fast alle Beteiligten erleichtert, dass die Tests zur elektronischen Gesundheitskarte anlaufen. Bittere Töne waren nur am Rande zu hören.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 16 Kommentare lesen
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Detlef Borchers

Gesundheit wird gemacht, es geht voran: Auf der zweiten Tagung Update Gesundheitskarte innerhalb eines Jahres zeigten sich fast alle Beteiligten erleichtert, dass die Tests zur elektronischen Gesundheitskarte anlaufen. Bittere Töne waren nur am Rande zu hören.

Nach dem Final CheckUp zur elektronischen Gesundheitskarte (eGK) im Sommer, bei dem sich alle Beteiligten reichlich verstimmt zeigten, bescherte die zweitägige Update-Veranstaltung den Teilnehmern eine Art weihnachtliche Vorfreude. Kurz vor der Medizinmesse Medica signalisierten Gematik und Modellregionen, dass sich etwas bei der Gesundheitskarte tut. Besonders freudig klang der Bericht aus der Testregion Löbau-Zittau in Sachsen. Wie Albert Hauser vom sächsischen Staatsministerium für Soziales betonte, ist sie die einzige ländliche Flächenregion, die aufgrund ihrer Abgeschiedenheit ideal "als professionelle Anfängerregion" geeignet ist.

Dort werden die ersten Gesundheitskarten von der DAK am 6. Dezember ausgeliefert und als "Weihnachtskarten" vermarktet, die wunderbar unter den Tannenbaum passen. DAK-Projektleiter Michael Martinet konnte von der ersten Befragung unter den 234 Personen berichten, die sich bereits für den 10.000er-Test angemeldet haben. Besonders hoch ist nach Martinet dabei die Akzeptanz unter den 70-jährigen Teilnehmern, etwas niedriger bei den 60 und 80 Jahre alten Testern. Nur ein einziger von 281 kontaktierten Personen habe die Gesundheitskarte aus Datenschutzbedenken abgelehnt; er soll aus der Gruppe der 20- bis 30-Jährigen stammen. Im ersten Quartal 2007 will man in Sachsen offline das Auslesen der Versichertendaten üben, bis Dezember 2007 sind Tests des elektronischen Rezeptes und der Notfalldatensätze vorgesehen, die ebenfalls offline arbeiten. Online sollen dann Versichertendaten, eRezept und Notfalldaten bis in die zweite Hälfte 2008 getestet werden, auf dass zum Jahreswechsel 2009 die Gesundheitskarte allgemein starten kann.

Auch von der Seite der Projektgesellschaft Gematik wurden Fortschritte gemeldet. Nach Angaben von Geschäftsführer Dirk Drees werden derzeit die Zulassungen für die Multifunktionskartenterminals erteilt. Unabhängig davon beginnt die Zertifizierung für die VPN-Konnektoren, die später Praxen, Apotheken und Krankenhäuser über das Internet mit dem Medizindatennetz verbinden. Als erste haben Cisco Systems und InterComponentWare ihren "Healthcare-Router" eingereicht. Auf der Tagung selbst zeigte Siemens erste Bilder der versiegelbaren Siemens-Konnektorbox.

Ein Einwand in der allgemeinen Aufbruchsstimmung kam ausgerechnet vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), das im Auftrag der Gematik die Hardware und die produzierten Karten untersucht und zertifiziert. BSI-Mitarbeiter Markus Mackenbrock machte auf die Grenzen der Zertifizierung aufmerksam, die hauptsächlich einzelne Komponenten und Vorprodukte umfasst. Eine Zertifizierung kompletter Lösungen, etwa einer kompletten Arztpraxis mit Hard- und Software, sei kaum machbar. Auch werde nur selten die Installation und Konfiguration sowie der Service und Betrieb zertifiziert. Elmar Fassbinder von Giesecke&Devrient, die für die DAK die Gesundheitskarten produziert, verwies in seinem Referat auf die Bedeutung des Karten-Applikationsmanagement-Systems (KAMS). Vom Einsammeln der Personendaten über die Produktion der eGK, das Nachladen von Funktionen bis zur Sperre der Karten am Ende der Nutzung wacht das KAMS darüber, wie eine eGK "im Feld" lebt. "Das KAMS ermöglicht jederzeit eine Rekonstruktion der Daten und Applikationen einer defekten oder verlorenen Karte."

Die Schweizer Entwicklung hin zu einer eigenen Gesundheitskarte referierte Projektleiter Adrian Schmid vom Berner Bundesamt für Gesundheit. Im Unterschied zur deutschen Situation mit klaren gesetzlichen Vorgaben zur Einführung der eGK gibt es in der Schweiz keine gesetzliche Grundlagen. Es gibt nur einen Beschluss über die Einführung einer allgemeinen einheitlichen Sozialversicherungsnummer, die auf einer elektronisch lesbaren Versichertenkarte gespeichert ist. Diese wird bis 2009 vom Bund eingeführt und ist zusammen mit einer Autorisierungsnummer für die Abrechnung medizinischer Leistungen verbindlich. Ansonsten sind die Kantone in der Ausgestaltung ihrer Gesundheits-Telematik vom Bund unabhängig. Die Hoffnung ist, dass auf der Versichertenkarte zumindest die Notfalldaten gespeichert werden. Über die Notfalldaten könnte dann 2012 bis 2015 der Weg zu einem elektronischen Patientendossier beschritten werden. Schmid betonte, dass eine Gesundheitskarte in der Schweiz nicht als IT-Projekt gesehen wird, sondern als Kulturentwicklungsprojekt.

Etwas von der Kultur in einem eGK-Entwicklungsprojekt kam im Referat von Helmut Gottwald, Bremer Senator für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales zum Ausdruck. Bremen ist die Testregion, in der am 7. November alle Verträge mit der Gematik gekündigt wurden, nachdem Ärzte und Apotheker aus dem Projekt ausgestiegen sind. Gottwald bemängelte besonders die schwierige Abstimmung mit der Gematik. Sie habe dazu geführt, dass sich die Testregion oft "außen vor" gefühlt habe. Laufend neu erstellte Projektpläne und die Unmöglichkeit einer verlässlichen Budgetplanung hätten die anfangs sehr engagierten Teilnehmer demotiviert. Scharf kritisierte Gottwald die Aussage, dass der Patient mit der eGK immer der Herr seiner Daten sei. Hier würden Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander klaffen. "Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist ad absurdum geführt", lautet das bittere Fazit des ehemaligen Projektleiters.

Weitere Vorträge der anregenden Tagung beschäftigten sich mit der elektronischen Fallakte und der grenzüberschreitenden Versorgung zwischen Belgien, den Niederlanden und Deutschland mit einer kombinierten KV-Karte in- und ausländischer Krankenkassen. Insgesamt wurde deutlich, was Ministerialdirigent Norbert Paland vom Gesundheitsministerium als Position der Bundesregierung am ersten Tag formulierte: "Bei solch einem Massenprojekt ist nichts trivial. 11 von 15 Systemkomponenten werden neu eingeführt. Wir müssen technologisch vorsichtig an ein unglaublich komplexes Projekt herangehen."

Zur elektronischen Gesundheitskarte und der Reform des Gesundheitswesens siehe auch:

(Detlef Borchers) / (jk)