Für die Kurven vor der Haustür: E-Motorrad Zero SR/S im Test

Seite 2: Wie weitreichend?

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Zero gibt auf "Sport" alles in Sachen Boost-Leistung, was Batterie und Dauerhaltbarkeit hergeben. Das bedeutet jedoch auch, dass du am Gasgriff direkt bemerkst, wie stark die Batteriespannung noch ist. Schon bei 60 Prozent SoC lässt die Zero merklich nach. Bei 30 Prozent käme sie kaum noch mit meiner KTM 690 Duke R mit, bei 20 Prozent wird sie wirklich schwach. Zero versteckt die physikalischen Eigenheiten nicht. Mir gefällt das ganz gut, doch man sollte es verstehen, bevor man sich mit halbem Akkustand noch mit Superbikes anlegt. Kehrseite der Luftkühlung auch: In anderen Test überhitzte der Antrieb bei sommerlichen Bergauffahrten. Bei meinen herbstlichen Testtemperaturen blieb alles im grünen Bereich, selbst bei Dauervollstrom auf der Autobahn.

Die Zero hat bei mir auf der Landstraße zwischen 9 und 10 kWh (brutto) auf 100 km verbraucht, mit Autobahnanteil trotz der Verkleidung 14 kWh. Nettokapazität der Batterie: 12,6 kWh. Grobe Daumenregel: Gib Gas mit Spaß, dann entspricht ein Prozent SoC einem Kilometer. Motorradschreiberkollege Jürgen Theiner (Motorprosa) hat sich eine Zero SR/F gekauft (gleicher Antrieb) und rechnet ebenfalls mit 100 bis 120 km Reichweite bei beschleunigungsfröhlicher Landstraßenfahrt. Kollege Honsel von der Technology Review fuhr mit 7,5 kWh Verbrauch, hatte aber dabei wohl auch einen erheblichen Stadtverkehr-Anteil.

Zero SR/S Details (21 Bilder)

Aus mir unerfindlichen Gründen hat Zero den Lenker im Vergleich zur SR/F erhöht. Passender zum Sporttouring-Konzept hätte ich niedrigere Stummellenker gefunden.
(Bild: Clemens Gleich)

Kurz: Entweder, du hast Kurven vor der Haustür oder du wirst nicht viel Freude an diesem Motorrad haben. Zu allem mit nennenswert Anfahrt ein guter Rat: Vergiss es. Ja, es gibt einen Eco-Modus, ja, man kann die Reichweite selbstverständlich strecken, aber ganz ehrlich: warum? Die SR/S ist ein teures Spaßfahrzeug. Niemand bei Verstand würde sie zum Pendeln den dünnbeinigeren älteren Zero-Modellen oder einem E-Roller vorziehen.

Achtung, Winterfahrer: Das Motorrad lädt bei 0° C Akkutemperatur oder darunter (oder bei über 50° C) nicht mehr. Fahren kann man von -20° bis +60° C Akkutemperatur. Achtung, Seltenfahrer: Steht die Maschine mehr als 30 Tage ohne Anschalten, wechselt das Batteriemanagementsystem (BMS) in den "long term storage mode" und entlädt die Traktionsbatterie auf 60 Prozent SoC, ob das Ladekabel nun drinsteckt oder nicht. Das BMS tut das, um die Batterie zu schonen.

Leider ist die SoC-Anzeige unzuverlässig. Wenn ich das Motorrad abstelle und später wiederkomme, stehen 10 bis 11 Prozent mehr drauf. Die Anzeige bildet also recht direkt die Spannungsverhältnisse der Batterie ab, was eher das Niveau von E-Skateboards als das von Kraftfahrzeugen ist. SoC-Anzeige und Reichweitenschätzeisen sind damit "worse than useless". Ich bin es von der Duke und ihrer krummen Benzinuhr gewohnt, mich rein nach Tageskilometerzähler zu orientieren, was man auch auf der Zero tun muss. Dazu wirft das Display häufig kryptische Fehlermeldungen wie einen "Ladefehler", obwohl der Akku voll geladen wurde. Ob das Kunden in den 2020er-Jahren noch so akzeptieren, muss die Zeit zeigen.

Die SR/S mit ihrem Zahnriemen ist leiser als die Harley Livewire und wesentlich leiser als Energicas lauter Zahnarztbohrer. Es gibt in der Motorradszene die beliebte, wenn auch wissenschaftlich unbelegte These "loud pipes save lives". Diese Behauptung warf einige Leserfragen auf. Ich habe folglich beobachtet, ob die Zero aufgrund geringer Lautstärke für Unfallpotenzial sorgte. Mir fiel keines auf.

Der Zahnriemen ist zwar nicht laut, aber laut genug und vor allem als Geräusch sehr ungewöhnlich, sehr technisch. Es fällt auf. Rehe springen schon 50 Meter vorher weg, Vögel auf der Straße mindestens 20 Meter vorher (Ja, ich lebe sehr ländlich.). Das ist mit dem Einzylinder nicht anders. Selbst Menschen in Unterhaltung vertieft auf Weinbergwanderung drehten sich in fünf Meter Entfernung nach mir um, obwohl ich Schrittgeschwindigkeit fuhr. Der Zahnriemen singt in Eigenerregung, man hört ihn eigentlich in jedem Drehzahlbereich zumindest ein bisschen. Mit Regendreck drin war er sogar kurzzeitig relativ laut bei Innenstadtgeschwindigkeiten unter 30 km/h.

Wenn Sie diese Passage nicht beruhigen konnte und Sie überhaupt das Geräusch eines Hubkolben-Ottomotors beim Motorradfahren als unabdingbar betrachten, dann ist dieses Motorrad schlicht nichts für Sie. Das sagt nichts Besonderes über Sie aus, Sie gehören zu einer Mehrheit.

Die Zero zeigt schön, wo das Problem des elektrischen Einspur-Roadsters liegt: Der typische Motorradfahrer hat (mit Glück) einmal die Woche Zeit, eine schöne Runde zu fahren. Er nimmt dabei etwas Anfahrt zu Kurven in Kauf. Er liebt Motorenlärm. Er zieht kräftig am Kabel. Er plant seine Tankstopps selten vorher. Der typische Motorradfahrer wird also selten ein E-Motorrad kaufen. Darüber müssen wir nicht traurig sein, die paar Motorradkilometer sind in Sachen Dekarbonisierung gut anderweitig zu lösen.

Es gibt aktuell keinen stabilen Markt für elektrische Motorräder im ökonomischen Sinne. Die Hersteller verdienen kein Geld damit. Das gilt für Harley, KTM und Energica. Bei Zero fehlen mir die Daten, bitte gern ergänzen per E-Mail an mich. Bei 3000 verkauften Motorrädern weltweit in 2019 ist eine schwarze Null bei entsprechend hohen Margen zumindest möglich. Ob sich die schwierige Marktsituation ändert, wird die Zeit zeigen.

Groß wird der Markt batterieelektrischer Motorrad-Roadster auf absehbare Zeit nicht werden. Nischen haben aber stets ihren eigenen Reiz. Der erwähnte Kollege Jürgen lebt nahe des Stilfser Jochs. Er kann jeden Tag fahren, nicht nur am Wochenende, es gibt keine nennenswerten Anfahrtswege. Solche Wohnorte gibt es, zum Beispiel in unseren Mittelgebirgen. Und wenn jeder so lebende Motorradfahrer wüsste, wie die Zero abgeht, gäbe es wahrscheinlich schon heute einen stabilen Nischenmarkt.

Die Zero SR/S kostet ab 20.990 Euro.

Hinweis in eigener Sache: Die Harley Livewire ist schon zum Test bestellt und wird dann eine längere Tagestour mit DC-Nachladungen fahren. Die für Touren sehr interessante Energica mit der 21-kWh-Batterie ist schwer zu bekommen, wird also dieses Jahr wohl nicht mehr getestet.