Elektronische Gesundheitskarte: Testphasenstart mit Hindernissen

Während in Bochum am heutigen Freitag eine neue Musterumgebung für den Einsatz der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) vorgestellt wurde, hat Bremen seinem eGK-Modellprojekt den Laufpass gegeben: Zu viel Bürokratie und kaum Akzeptanz in der Ärzteschaft.

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Von
  • Detlef Borchers

Der Start der verschiedenen Testreihen der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) kennt Höhen und Tiefen. Nachdem Sachsen am Wochenanfang den Start der 10.000er-Tests noch in diesem Jahr verkündete, zog am heutigen Freitag Nordrhein-Westfalen mit der Eröffnung eines Informationszentrums und dem Start einer Musterumgebung nach. Dagegen wurden in Bremen das Modellprojekt gestoppt und die Verträge mit der Projektgesellschaft Gematik gekündigt.

In Bochum eröffnete der nordrhein-westfälische Staatsekretär Stefan Winter das Informationszentrum Telematik im Gesundheitswesen. In ihm sollen sich zunächst Ärzte darüber informieren, wie die Gesundheitskarte wirklich funktioniert. In den Räumen, die im Dritten Reich Sitz der gleichschaltenden Reichsärztekammer waren, soll sich eine offene Debatte über die Gesundheitskarte entwickeln, erklärte Michael Schwarzenau, Hauptgeschäftsführer der Ärztekammer Westfalen-Lippe. Aus diesem Grunde ist eine sogenannte "Musterumgebung" mit den Komponenten Arztpraxis, Apotheke, Krankenhaus und Patiententerminal im Informationszentrum installiert.

Staatsekretär Winter, selbst Arzt und Besitzer eines Heilberufeausweises, startete die Umgebung mit seiner eigenen Karte. Dabei bedauerte er den Ausstieg der Projektregion Bremen und verglich den Stand der Gesundheitskarte mit dem VFL Bochum, der Probleme hat, in die Gänge zu kommen. Winter gab sich überzeugt, dass alle Beteiligten in fünf bis zehn Jahren "mit Unverständnis auf so manche Auseinandersetzungen der heutigen Zeit blicken werden", ähnlich wie beim verkorksten Start von Toll Collect. Für die bald beginnende Medizinmesse Medica in Düsseldorf kündigte Winter Überlegungen zum Aufbau eines elektronischen Gesundheitsberuferegisters (eGBR) an, das die Ausgabe von Ausweisen für die nicht verkammerten Gesundheitsberufe übernehmen soll.

Die Modellregion Essen-Bochum ist im Gegensatz zum sächsischen Löbau-Zittau und zum schleswig-holsteinischen Flensburg eine dichtbesiedelte Region. Nach der Musterumgebung soll der 10.000er-Feldtest mit 25 Ärzten, 5 Apotheken und 2 Krankenhäusern Anfang des Jahres 2007 starten. Noch zum Ende des ersten Quartals 2007 soll hier der 100.000er-Feldtest folgen, in dem allen Komponenten online geschaltet sind.

Entsprechend wichtig ist das Informationszentrum Telematik und die Modellumgebung in der Bezirkstelle der Ärztekammer und Kassenärztliche Vereinigung (KV) Westfalen Lippe. Es soll vor allem die Akzeptanz bei den Ärzten für das Kartenprojekt herstellen. Entsprechend modern sind die einzelnen Rechnerstationen der Modellregion eingerichtet, mit großen LCDs und schnellen Rechnern, an denen gezeigt wird, wie Arzt, Apotheke und Krankenhaus mittels eines SICCT-Terminals Daten von der Karte lesen und auf sie schreiben. Das ganze System arbeitet noch offline, die Funktionalität der Konnektoren, die in Zukunft die Verbindung ins Gesundheitsnetz schalten, wird von einem Java-Applet simuliert. Alle Rechner der Modellumgebung arbeiten mit drahtlosen Tastaturen, vor deren Einsatz das Bundesamt für Sicherheitstechnik (BSI) warnt, weil einige Modelle den eingegebenen Text unverschlüsselt so übertragen, dass er noch in 10 Metern Entfernung mitgelesen werden kann.

Dass die Akzeptanz der Ärzteschaft ein wichtiger Faktor ist, zeigen die Nachrichten aus Bremen. Dort kündigten gestern die KV Bremen und die Bremer Ärztekammer sowie der Bremer Apothekerverein die Verträge des Modellprojekts. In einem Schreiben an die Bremer Ärzte (PDF-Datei) heißt es: "Die jetzt verfügbare Musterlösung zeigt im Moment eindrucksvoll, dass der Umgang mit der eGK umständlich bis gar nicht funktioniert. Zu erwarten steht in jedem Fall ein bürokratischer Aufwand, der in ganz erheblichem Maß von den am Test beteiligten Ärzten geleistet werden muss. Sie ist damit keine Muster- sondern eine Pseudo-Lösung." Mit der Vertragskündigung durch die Ärzte und Apotheker kann die Projektgesellschaft Gematik das kleine Bundesland aus der Liste der Modellregionen streichen.

Derzeit sorgt außerdem eine weitere Liste für Unmut unter den Projektbeteiligten: Mit einer Unterschriftenliste und einem Aufruf "Wir sagen Nein!" hat das Komitee für Grundrechte und Demokratie eine Kampagne gegen die eGK und den Heilberufsausweis gestartet. Die Bürgerrechtsorganisation befürchtet eine "verstärkte Selbst- und Fremdkontrolle und Disziplinierung der PatientInnen". Detailargumente zu dieser Sicht sollen in einer Broschüre aufgeführt sein, die das Komitee bisher nicht online gestellt hat.

Zur elektronischen Gesundheitskarte und der Reform des Gesundheitswesens siehe auch:

(Detlef Borchers) / (pmz)