Games Convention: Abseits des Mainstreams

Egal ob Wölfe Kalligraphie üben, Kampfsportler das Tanzbein schwingen oder Zombies sich in der Feinkostabteilung laben, Capcom wandelt abseits des Mainstreams und manchmal auch des guten Geschmacks.

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"Herzlich willkommen im Einkaufszentrum Willamette Parkview Mall" begrüßt Capcom seine Spieler. Das sonnige Postakarten-Foto des Einkaufszentrums lädt nicht etwa zu einer biederen Wirtschaftssimulation ein, sondern zu "Dead Rising", einer spielerischen Hommage an George A. Romeros Zombie-Klassiker "Dawn of the Dead". Auf den ersten Blick mag "Dead Rising" wie ein drittklassiges Spiel zu einem zweitklassigen Horror-Film wirken, doch tatsächlich verbirgt sich hinter der trashigen Aufmachung ein aufwendig produziertes Action-Abenteuer zu einem der einflussreichsten Filme des Horror-Genres. Als Fotoreporter Frank West muss der Spieler versuchen, aus einem riesigen Einkaufszentrum zu entkommen, das von tausenden von Zombies belagert wird. 72 Stunden muss er überleben und in dieser Zeit möglichst viele Flüchtlinge retten. Das Spiel läuft nach festen zeitlichen Vorgaben ab, und nur wenn der Spieler zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist, kann er sich vor dem immer weiter in das Einkaufszentrum vordringenden Zombiemob retten.

Auf der Xbox 360, für die das Spiel im nächsten Monat exklusiv erscheint, wird der Spieler von hunderten von Zombies gleichzeitig verfolgt. Wehren kann er sich mit allem, was so ein Einkaufszentrum zu bieten hat: CDs aus der Musikabteilung, Hanteln aus dem Sportgeschäft oder Rasenmäher und Heckenscheren aus der Gartenabteilung. Mit Punkten belohnt werden solche Attacken jedoch nicht. Frank ist schließlich Reporter, und so muss er vor allem spektakuläre Fotos schießen, um später möglichst viel Geld für seine Story zu bekommen.

Obwohl "Dead Rising" die beklemmende Atmosphäre des Films und die darin enthaltene beißende Kritik an der Konsumgesellschaft erschreckend gut einfängt, verweigerten die Rechteinhaber von "Dawn of the Dead" ihre Zusammenarbeit: "This Game was not developed, approved or licensed by the owners or creators of George A. Romeros Dawn of the Dead" steht auf der Hülle. Der Grund bleibt im Dunkeln.

Die Gewaltdarstellung wird geradezu ins Slapstickhafte übertrieben und wirkt gerade dadurch satirisch und irreal. Dass "Dead Rising" kein Massenpublikum erreichen wird, liegt sicherlich nicht nur an der zu erwartenden Verweigerung der Jugendfreigabe, sondern am perfiden Speichersystem, das nur für einen Spielstand Platz hat. Speichert man zur falschen Zeit, droht Frank in eine Sackgasse zu geraten, aus der es kein Entrinnen gibt und er unweigerlich von vorne starten muss. Wer alles richtig macht, entkommt nach etwa sieben bis acht Spielstunden der Einkaufshölle und kann sich danach an weiteren Zusatzaufgaben austoben.

Als eines der kreativsten Entwickler aus Capcoms Portfolio gilt derzeit sicherlich das Clover Studio. Es hat auf der Games Convention gleich zwei Titel für die Playstation 2 vorgestellt, die die Grenzen der üblichen Genreschubladen durchbrechen. So nimmt God Hand sich selbst und das gesamte Beat-em-Up-Genre auf die Schippe. Allein die Tatsache, dass in God Hand ein japanischer Freestyle-Kämpfer vor einer Westernkulisse Banden von bösen Buben verprügelt, wäre noch keiner Erwähnung wert. Was God Hand besonders macht, sind die muskelbepackten Kämpfer, die als Cheerleader zu Westerngitarrenklängen tanzen, und aus dem Off eingespielte Lacher und Applaus, die dem Ganzen die Atmosphäre einer Nachmittags-Sitcom verleihen.

God Hand erreicht zwar nicht die Originalität von "Osu! Tatakae! Ouendan" (Elite Beat Agents) für die Nintendo-DS-Konsole, doch seine unverkennbare Ironie und die augenzwinkernde Selbstdarstellung täte so manch anderem, sich bierernst nehmenden Kampfspiel sicher gut zu Gesicht.

Noch bevor God Hand im nächsten Jahr auch bei uns erscheint, will Capcom Anfang 2007 zunächst Okami veröffentlichen. Das Action-Adventure wartet mit einem der ungewöhnlichsten Grafikstile auf, der jemals in einem Videospiel zu sehen war. Statt realistischer 3D-Sequenzen wirkt die ganze Handlung wie mit Wasserfarben auf Reispapier gemalt. In Okami steuert der Spieler die Figur eines weißen Wolfes, der als Gott des Lichts die Welt vor dem Untergang in die Dunkelheit retten muss. Seine göttlichen Kräfte muss er dabei mit kalligraphischen Pinselstrichen aktivieren. Die der Spieler in die Landschaft malt. Spielerisch soll es laut Capcom an Nintendos Zelda-Serie erinnern.

Okami ist durch und durch ein Videospielkunstwerk, das besonders Spieler anspricht, die an "Ico" oder "Shadow of the Colossus" Gefallen fanden. Doch das ungewöhnliche Szenario verkaufte sich trotz enthusiastischer Kritiken selbst in Japan nur mehr schlecht als recht. Man sah Capcoms Pressesprecher auf der Messe seine Enttäuschung über lediglich 150.000 verkaufte Exemplare im Land der aufgehenden Sonne an. Deshalb glaubt Capcom auch in Europa nur an einen Nischenerfolg. Die Gegenfinanzierung soll mit Mainstream-Titeln wie Lost Planet gelingen, einem konventionellen Shooter, der auf der Erfolgswelle von "Halo 2" mitschwimmen will und immerhin von Fachjournalisten zum besten Spiel der Games Convention gekürt wurde. Es ist bei Videospielen eben kaum anders als im Filmgeschäft: Die große Kasse machen Blockbuster, während die wahren Kunstwerke oft nur ein kleines Publikum finden.

Zur Games Convention 2006 siehe auch: