Comdex: Angst und Schrecken in Las Vegas

Die große Show, die Microsoft auf der Herbst-Comdex rund um den Tablet PC und die smarten Objekte veranstalten will, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Zeiten vorbei sind, in denen der PC die Hauptrolle spielte.

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Von
  • Detlef Borchers

Wenn Bill Gates mit seiner Keynote Sonntagnacht um vier Uhr deutscher Zeit beziehungsweise um 19 Uhr Las Vegas Ortszeit die Herbst- Comdex eröffnet, kann es die letzte ihrer Art nach 23 Jahren sein. Bescheidene 100.000 Besucher werden auf der Messe erwartet, die vielen trotzdem immer noch als eigentliche Leitmesse der IT-Industrie gilt; die Besucher können rund 1.100 Aussteller aufsuchen. Gemessen an den Glanzzeiten der Comdex hat die Messe die Hälfte der Aussteller und Besucher verloren. Obendrein steht der Messeveranstalter Key3media kurz vor der Pleite. Als Grund für die Schwierigkeiten werden die Terroranschläge vom 11. September 2001 angeführt, doch das ist nur die halbe Wahrheit. Spätestens seit 1997 ist das Konzept der Comdex, alles zu zeigen, was den PC beflügeln kann, brüchig. Spezialmessen wie die Internetworld raubten der Comdex Substanz -- nur, um dann selbst in die Krise zu taumeln.

Wenn die Bedrohung durch den Terrorismus eine Auswirkung auf die Comdex hat, dann im Abschied vom Prinzip "Fun in the Desert": Nur hinfliegen, gucken und abends Spaß haben, das ist zu wenig. Die neueste Hardware ist ohnehin bei den Elektronik-Discountern zu sehen, die neueste Software kommt über das Internet --- Neuigkeiten werden längst nicht mehr auf Comdex-Pressekonferenzen präsentiert. Was gefragt ist, sind Fachgespräche und die Meinungsbildung unter den Peers. Seit vielen Jahren wächst darum das Konferenzprogramm rund um die Comdex, das mittlerweile mehr Menschen anzieht als die Computer Dealer's Exhibition. So ergeht es der Comdex wie der parallel stattfindenden Adultdex, bei der sich das Konferenzprogramm für Erotik-Webmaster von der Fleischbeschau der Stars und Sternchen abgesetzt hat und ausgebucht ist. Ähnliches dürfte für die parallel zur Comdex stattfindende Apache-Konferenz gelten, die sich im Hotel Alexis Park einquartiert hat. Hier fanden übrigens früher die Treffen und Meetings der OS/2-Enthusiasten statt. Apropos Hotel: Die umfangreiche Überwachungstechnik, in der Las Vegas Weltspitze ist, stellt kein Messethema dar.

Die große Show, die Microsoft diesmal rund um den Tablet PC und die smarten Objekte im Haushalt veranstalten will, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Zeiten vorbei sind, in denen der PC die Hauptrolle spielte. Wie zu den Anfängen der Comdex reicht ein Gebäudekomplex aus, die Messe aufzunehmen, auf der Microsoft, Nokia und Samsung die weitaus größten Messestände haben. Das riesige Sands Convention Center, das zusammen mit dem Illusionshotel Venetian und dem Guggenheim Musem Las Vegas vom Comdex-König Sheldon Adelson errichtet wurde, steht leer. Adelson schenkte der Stadt Las Vegas 1990 diese Messehallen, als er das Sands-Hotel sprengen ließ, in dem Sinatra und sein Rat Pack hausten. Heute würde er die großen Messehallen liebend gerne wegsprengen, um Platz für die Erweiterung "seines" Guggenheim-Museums zu haben: In Faketown kann man mittlerweile mit den aus der Eremitage ausgeliehenen Originalen bessere Geschäfte machen als mit den Gadgets des Informationszeitalters.

Als Adelson vor 23 Jahren die Comdex von der Westküste nach Las Vegas holte, passte die gesamte Messe in ein Convention Center, das am Rande von Las Vegas lag. Es war Anfang der 60er für die Durchführung von Flugshows und Militärmessen errichtet worden. Die Rotunda erinnerte an UFOs, griff aber auf ein englisches Vorbild zurück, das als "Dome" beim Festival of Britain im Jahre 1951 einen der ersten Computer beherbergte. Mit seinem Messe-Ei feierte sich Las Vegas schon damals ein bisschen, an den Atombombentourismus erinnernd, der in den fünfziger Jahren schick war. Heute wird er mit dem Bureau of Atomic Tourism nostalgisch. Doch welcher Tourismus kann heute noch den Kick bringen, den Las Vegas so dringend braucht? Die Computerleute bleiben aus, der Familientourismus mit seinen themenorientierten Hotels wie Paris, Luxor oder Venetian ist rückläufig. Mit 39 zu 61 Prozent scheiterte kurz vor der Comdex der Versuch, den Besitz von kleineren Mengen Marijuana in Nevada zu legalisieren. In Las Vegas wird das bedauert. Hier hatte der Vorschlag die größte Unterstützung gefunden, vor allem von den Menschen mit den einfachen Jobs. Taxifahrer schwärmen von den Coffe-Shops, die sie eröffnen könnten, und preisen das Clubbing, das mit der Entscheidung Las Vegas zum Mekka eines neuen Relaxaction gemacht hätte. Der Gegensatz der Partyszene zu den sparsamen Computergeeks, die ihr Geld allenfalls in die String-Tangas der Table-Dancer stecken, wenig Trinkgeld geben und die Spieltische ohnehin meiden, er könnte kaum größer ausfallen. Für den Städteplaner Mike Davis ist Las Vegas der Endpunkt einer verfehlten Architektur. Die letzte Grenze ist ein Kartenhaus, das kurz vor dem Zusammenbruch steht. Die Wüstenstadt mit dem höchsten Wasserverbrauch aller US-Städte könnte implodieren wie die Dot.Ccom-Blase.

Diese Gefahr droht der Comdex jedenfalls nicht. Geht der Veranstalter Pleite, wird die Show fortgeführt, notfalls von der Las Vegas Convention Authority selbst. Dort ist die Sorge groß, dass das Spektakel abwandert, etwa zurück zur Westküste, wo die Show als Computer Faire begann. Auch das Gros der Aussteller, soweit das in den hektischen Aufbauzeiten zu erfahren ist, ist optimistisch gestimmt. Zu wichtig ist das sehen und gesehen werden. Mit dem Pervasive Computing hat man immerhin eine neue Grenze, an der sich die IT-Industrie abarbeiten kann.

Wenn Firmen eine halbe Milliarde ID-Transponder kaufen, muss die IT-Technik entwickelt werden, die die Informationsströme ausfischen kann. In seiner Comdex-Keynote will Scott McNealy auf den "Technology Chasm" aufmerksam machen, in dem die IT-Industrie steckt, einen technologischen Schwurbel, in dem der Anschwung für die nächste Welle der Produktivitätssteigerung mittels Computer ausbleibt. Für McNealy kommt der Schwung natürlich von Suns N1, doch lohnt sich ein Blick auf die Ursprünge des "Chasm". Über den Java-Evangelisten Geoffrey Moore und sein Buch "Crossing the Chasm" verweist die Spur auf Theodor Nelson und sein Xanadu-Projekt. Bei ihm ist es das "Romantic Chasm", die Suche nach dem perfekten Werkzeug einer Informationsgesellschaft, in der Eigentum groß geschrieben wird. "Es gibt keine Grenzen. Es gibt keinen Bedarf für fünf Computer. Wir brauchen unendlich viele Computer mit unendlichen Verbindungen", heißt es in Nelsons Doppel-Buch "Computer Lib/Dream Machines", das von vorne wie von hinten gelesen werden kann. Das Originalmanuskript des gemalten und geklebten Manifestes der Computerrevolution hat Bill Gates gekauft.

Zur Entwicklung der Comdex in den letzten Jahren siehe auch:

Zur Herbst-Comdex 2002 siehe auch:

(Detlef Borchers) / (jk)