Story: Higgsbi. Ein neues Zeitalter. Kapitel 1

Seite 12: 1.12 Eva

Inhaltsverzeichnis

Tom erschrak zuerst, als dieses riesige Wesen vor ihm stand, war aber schnell wieder ganz ruhig und sah Eva genau an, so genau es die noch düsteren Lichtverhältnisse zuließen. Natürlich war Eva nicht ihr richtiger Name. Die Ivenils, wie Tom sie später nannte, hatten keine Namen. Sie hatten keine Worte. Sie redeten in Bildern miteinander und verwendeten grafische Symbole, um abstrakte Konzepte auszudrücken. Das Bild für Eva war einem vierblättrigen Kleeblatt ähnlich, wobei eines der Blätter deutlich kleiner war und für ihr zu kurz geratenes rechtes Hinterbein stand.

Die Ivenils waren gut 2,5 m groß, wenn sie auf ihren vier insektenartigen Beinen standen, konnten sich aber auf über 3 m aufrichten, indem sie sich nur auf die Hinterbeine stellten. Eva konnte das allerdings nicht wegen ihres verkrüppelten Beines. Vorne am recht schmalen Rumpf hatten sie zwei Arme mit jeweils zangenartigen Händen, mit denen sie geschickt greifen konnten. Vom Rumpf um fast 90 Grad gedreht, stand ihr breiter Kopf nach oben. Tom hatte diesen Körperteil den Kopf genannt, weil er wie bei Menschen die beiden großen Augen und den Mund enthielt. Ansonsten hatte der Kopf kaum Ähnlichkeit mit irgendeinem irdischen Tier. Herausstechendstes Merkmal war ein fast die ganze Vorderseite des Kopfs einnehmender Bildschirm zwischen dem ganz unten liegenden Mund und den ganz oben liegenden Augen. Ja, es war ein Bildschirm. Die Ivenils hatten ein Organ, mit dem sie willentlich bewegte Bilder darstellen und so kommunizieren konnten. Tom nannte es später ihr Visual.

Tom, der inzwischen langsam aufgestanden war, sah in Evas Visual, wie er selbst langsam auf Eva zuging und den Becher Wasser aus ihrer ausgestreckten Hand nahm. Freilich hatte er auch den langen Stock in ihrer zweiten Hand bereits gesehen und hatte keinen Zweifel, dass sie Gebrauch von ihm machen würde, wenn er Schwierigkeiten machte. Tom war aber in diesem Moment einfach nur begeistert, weil er Eva sofort verstand. Er ging ganz langsam zu ihr hin, nahm den Becher und trank ohne die Augen von ihr zu nehmen langsam das Wasser aus dem Becher. Dann standen sie mehrere Minuten angespannt und regungslos aber offensichtlich auch neugierig da und sahen ihr Gegenüber von Kopf bis Fuß an, wobei Eva nicht wirklich Füße hatte. Die meiste Zeit sah Tom jedoch in Evas Visual. Dort war jetzt das Kleeblatt zu sehen, doch er verstand das Bild nicht.

Tom fragte sich, was man am besten sagt, wenn ein zweieinhalb Meter großer Außerirdischer vor einem steht und ein vierblättriges Kleeblatt visualisiert. Darauf wurde man im Astronautentraining eindeutig zu wenig vorbereitet. Wer bist du? Wo bin ich? Was esst ihr so? Schließlich zeigte Tom langsam auf sich und sagte: "Mein Name ist Tom!" Er hatte wochenlang nicht geredet und brauchte ein paar Anläufe, bevor das Krächzen wieder zu einer Stimme wurde und er es wenigstens selbst verstand. "Tom", wiederholte er und zeigte langsam auf sich. Evas Reaktion kam prompt. Ihr Visual wurde fast vollständig gelb und zeigte noch einmal seine Lippenbewegung, seinen offenen und dann geschlossenen Mund beim Wort Tom. Dann legte sie die beiden Bilder übereinander und es entstand ein dem griechischen Theta ähnliches Symbol. Daneben visualisierte sie sich und ließ dann ihren Körper und die Beine langsam in ihr Kleeblatt übergehen. Tom verstand. Er hatte jetzt einen Namen. Und er kannte eine Außerirdische. Dass gelb die Farbe der Freude war und dass sie ihn so gut wie nicht hörte, wusste er aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Er hätte sie Kleeblatt nennen können. Aber er nannte sie Eva. Vielleicht, weil sie die erste Außerirdische war und ihr damit der Name der ersten Frau im christlichen Kontext angemessen schien. Wohl aber eher, weil der Legende nach Eva ein Kleeblatt mit aus dem Paradies nahm und damit ein Stück Paradies für die Menschen bewahrte. Wieso er sie für eine Frau hielt, konnte Tom später selbst nicht mehr nachvollziehen. Der Schal, den Eva um Hals und den Unterleib trug, verdeckte ihr Geschlecht. Tatsächlich war eine Einteilung in Mann und Frau bei den Ivenils der Sache aber ohnehin nicht angemessen, da sie sich dreigeschlechtlich vermehren.