Story: Higgsbi. Ein neues Zeitalter. Kapitel 1

Seite 3: 1.3 Frank

Inhaltsverzeichnis

"Daher bedauern wir ihnen mitteilen zu müssen, dass wir ihre Bewerbung nicht berücksichtigen können." Ein einfaches "schade" kam aus Franks Mund, als er die E-Mail las, auf die er seit einer Woche gewartet hatte. "Wäre wirklich zu schön gewesen in ein so großes und bekanntes Unternehmen zu wechseln." CernMatter hatte eine Stelle wie geschaffen für ihn: Informatiker mit Schwerpunkt Kommunikation und Kryptografie. Klar mit seinen erst zwei Jahren Berufserfahrung würde er es nicht leicht haben bei der Bewerbung, aber immerhin zwei Jahre. Allerdings waren es zwei Jahre, aus denen er keine vier werden lassen wollte: E-Mail Verschlüsselung einrichten, Nutzer mit Public-Private Keys versorgen, VPNs betreuen. Alles ein bis zwei Stufen unter seinen Fähigkeiten, wie er fand. Immerhin hatte er mit 26 mit einer Arbeit im Bereich Steganografie, in seinem Fall dem Verstecken von Informationen in Bildern, promoviert. Aus akutem Geldmangel hatte er dann die erste Stelle angenommen, für die er eine Zusage bekam.

Die Absage war für Frank kein Weltuntergang, aber früher oder später brauchte er eine Luftveränderung was seinen jetzigen Job anging. Und eine so passende Stelle bei CernMatter in Aussicht zu haben, hatte seine Stimmung die letzte Woche deutlich angehoben. Einerseits war er überrascht, so schnell eine Rückmeldung zu erhalten, was für die Professionalität von CernMatter sprach. Andererseits einen eingescannten Briefbogen mit der Absage als Anhang an eine E-Mail war ja wohl sehr rückständig. Das passte wieder gar nicht zum Bild einer Hightech-Firma. Das passte gar nicht. "Moment mal...", sagte Frank und sah sich den Brief genauer an.

Er vergrößerte den Brief auf 400% und sah sich alle Bereiche genau an. Aber bei den 150 dpi, mit denen er gescannt war, war es unwahrscheinlich, dass er einen Mikropunkt oder ähnliches enthielt. Nichts. Auch ein Wasserzeichen konnte er nicht sehen, in dem unsichtbare Information hätte gespeichert sein können. Photopatrol, ein Web-Dienst für das Auffinden von Wasserzeichen und darin enthaltener Urheberinformation, fand nichts und war in diesen Dingen sehr zuverlässig. Schließlich blieb noch, den Brief durch DeCSS zu hetzen, einer Software, mit der man Informationen in Bilddateien verstecken und wiederfinden konnte, ohne dass der Betrachter auch nur eine Ahnung davon hat, dass in dem Bild etwas zu sehen ist. Nichts.

Merkwürdig. Irgendwie hatte Frank das Gefühl, dass er auf der richtigen Spur war. Die Zusage für ein Bewerbungsgespräch um eine Stelle als Kryptograf in einer Absage zu verstecken wäre ein erster Test genau nach seinem Geschmack gewesen. Aber er fand nichts. Das einzige, was ihm auffiel, war, dass der Kugelschreiber für die Unterschrift nicht richtig schrieb. Er goss sich einen Kaffee ein. Eigentlich wollte er diesen Samstag endlich mal wieder joggen gehen. Es war nicht so, dass man ihn wirklich sportlich nennen könnte. Aber meistens traf er dabei samstagmorgens eine hübsche junge Frau, die seinen Gruß zwar immer freundlich erwiderte, die er sich aber bisher noch nie getraut hatte, wirklich anzusprechen. Er war als Einzelkind in Karlsruhe aufgewachsen und der Computer war, seit er 14 war, sein Hobby. Soziale Kompetenz war also nicht seine Stärke. Während seines Informatikstudiums wohnte er bei seinen Eltern. Erst als sein Doktorvater einen Ruf an die École Polytechnique Fédérale de Lausanne bekam und ihm nur die Wahl blieb, neu anzufangen, oder mitzukommen, entschied er sich nach Lausanne zu ziehen. Es war anfangs hart für ihn ohne den Service Mama, aber inzwischen sah er jetzt selbst, wie notwendig der Schritt war. Nach der Promotion zog er nach Genf, um dort bei einem Unternehmen die Firmensicherheit im Bereich der EDV zu übernehmen. Er musste dort praktisch bei Null anfangen. Die ’Firmensicherheit’ bestand aus einem Virenscanner auf jedem Rechner. Firewall, VPN oder E-Mail Verschlüsselung waren Fremdworte. Inzwischen hatte er sein Konzept von Sicherheit umgesetzt und seine Arbeit war langweiliger geworden.

Aber obwohl er jetzt schon zwei Jahre in Genf wohnte, hatte er außer wenigen Arbeitskollegen und Nachbarn keine Bekannten in der Stadt. Eigentlich war Frank das egal, bis er eben vor einigen Wochen beim Joggen dieser jungen Frau begegnete, die ihn so freundlich grüßte. Noch zweimal traf er sie Samstags Vormittags im Parc Mon Repos beim Joggen. Aber er wusste nicht so recht, wie man es anstellte, jemanden und ganz besonders eine Frau anzusprechen. Schon wenn er sie grüßte und sie ihn zurück grüßte, brachte ihn das so aus dem Rhythmus, dass er nach der nächsten Kurve stehen bleiben musste, weil er Seitenstechen bekommen hatte.

Rhythmus. Rhythmus triggerte eine Idee oder eine Spur einer Idee. Bisher hatte er in der Absage von CernMatter immer nach unsichtbaren Informationen in den niederwertigen Bits des Bildes gesucht. Aber vielleicht war alles viel einfacher. Das geschwungene R in der Unterschrift von Frau Rieki war an vielen Stellen unterbrochen. So wie es eben aussieht, wenn man mit einem Kugelschreiber anfängt zu schreiben, der einige Tage unbenutzt herumlag. Aber wie wahrscheinlich lag der Kugelschreiber einer Personalmitarbeiterin am Freitagabend noch unbenutzt herum? Morsezeichen! Frank schrieb auf einem Zettel die Folge von langen und kurzen Segmenten des R heraus, ging auf eine Seite mit Morsezeichen und übersetzte die Folge, obwohl er kurz überlegte, schnell ein Programm dafür zu schreiben, von Hand in Text:

"aekstxaemnrwacgn"

"rtybdeilmrtygmwx"

"gnu6knwx5eptzkmst"

"zdkmst5ejsugnu6eps5ei"

Gut, diese Zeichen konnten gehasht sein und Frank probierte auch kurz die gängigeren Hashverfahren wie MD5 und SHA1. Aber wenn in dieser Unterschrift tatsächlich eine Botschaft versteckt war und die wollten, dass irgendjemand sie auch entschlüsseln konnte, wäre das für seinen Geschmack eine Hürde zu viel gewesen. Wenn da eine Botschaft war. Frank war noch nicht bereit, diese Hoffnung aufzugeben: "Probieren wir es als Nächstes doch mal mit einer Bitfolge", sagte er zu sich selbst. Er deutete die längeren Striche als 1 und die kürzeren als 0. Schon dabei fiel ihm auf, dass es keine Grenzfälle, also Striche, die mittellang waren, gab. Das wäre eigentlich ein gutes Zeichen gewesen, dass er auf der richtigen Spur war, aber das dachte er auch schon bei seiner Morsezeichen Idee. Jetzt noch eine Zeichencodierung. "Ich fange mal mit ASCII an", sagte Frank und schrieb jetzt doch schnell ein Programm, mit dem er die Bitfolge in die gängigsten Zeichencodierungen umwandeln konnte.

"Termin Montag 7.9. 8:00"

Franks Lächeln wurde breit: "Frau Rieki, Frau Rieki, sie haben ja eine ganz raffinierte Unterschrift. Da werde ich doch gleich mal zusagen", triumphierte er. Die Mail war schnell geschrieben: "Betreff: Stellenausschreibung 7K312. Sehr geehrte Frau Rieki, gerne nehme ich ihr Angebot für ein Gespräch am 7.9. um 8:00 Uhr an. Ich darf annehmen, dass das Gespräch in ihrem Hauptsitz in der Route du Nant-d’Avril in Genf stattfindet? Bitte geben Sie mir Bescheid, wenn sie ergänzend zu den bisher geschickten weitere Unterlagen benötigen. Mit freundlichen Grüßen, Frank Baumgartner." Es hatte Frank einige Beherrschung gekostet, keinen Kommentar zu dieser versteckten Botschaft zu schreiben. Aber er hatte es für professioneller gehalten, so zu tun, als sei nichts gewesen. "So, jetzt bereite ich mich auf das Gespräch übermorgen vor. Die Konkurrenz schläft nicht. Aber erst gehe ich joggen..."