Paukenschlag am letzten Arbeitstag: EU wartet auf Microsoft-Urteil

In zwei Wochen wird der Präsident des zweithöchsten EU-Gerichts das Urteil im Microsoft-Prozess sprechen. Wenige Stunden später wird der dänische Spitzenjurist sein Amt weitergeben.

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Von
  • Christian Böhmer
  • dpa

Bo Vesterdorf hat sich den größten Paukenschlag seiner Karriere für seinen letzten Arbeitstag aufgehoben. In zwei Wochen, am 17. September, wird der Präsident des zweithöchsten EU-Gerichts um punkt 9:30 Uhr das Urteil im Microsoft-Prozess sprechen. Wenige Stunden später, wenn die Scheinwerfer der TV-Kameras erloschen und die Mikrofone abgeschaltet sind, wird der 61 Jahre alte dänische Spitzenjurist in aller Stille an einer Feierstunde zur Amtsübergabe teilnehmen.

Das von Vesterdorf geführte Luxemburger Gericht wird nicht nur den größten und kompliziertesten Brüsseler Wettbewerbsfall entscheiden, sondern es werden auch Weichenstellungen für die Computerbranche und darüber hinaus erwartet. Der Streit zwischen den EU-Wettbewerbshütern und dem weltgrößten Softwarekonzern dauert fast zehn Jahren. Microsoft bezahlte bereits rund 780 Millionen Euro Strafgelder in die EU-Kasse wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung und Missachtung von Sanktionen. Ein weiteres Bußgeld in dreistelliger Millionenhöhe droht.

Kläger Microsoft erwartet vom EU-Gericht Erster Instanz vor allem Klarheit. Der US-Konzern wehrt sich insbesondere gegen die drei Jahre alte Auflage der Wettbewerbshüter, das Betriebssystem Windows für Arbeitsgruppenrechner mit Anwendungen anderer Hersteller dialogfähig zu machen. In dem seit Jahren geführten Konflikt um Schnittstelleninformationen geht es im Kern um die Frage, inwieweit ein marktbeherrschender Konzern sein geistiges Eigentum schützen kann.

Microsoft wehrt sich gegen den Eindruck, in der IT-Branche fehle der Wettbewerb. "Die Welt hat sich seit 1998 geändert", meint Jean-Yves Art, Direktor für Wettbewerbsrecht bei Microsoft Europa. Damals begann der Konflikt mit einer Beschwerde von Sun Microsystems bei der EU-Kommission. Es habe damals nicht das freie Computer-Betriebssystem Linux gegeben, "Google war nirgendwo", resümiert Art. Ähnlich argumentiert Microsoft gegenüber der Kartellaufseherin in den USA. Auch bei Microsoft selbst gab es Bewegung. Zum Start des neuen Betriebssystem Vista arbeitete der Konzern aus Redmond mit EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes zusammen, um neues Ungemach aus deren Behörde vorsorglich zu verhindern.

In Brüssel wird eifrig über das Urteil spekuliert. Die meisten Beobachter rechnen damit, dass keine der Parteien einen klaren Sieg davontragen wird, dazu sei das Verfahren zu kompliziert und zu vielschichtig. Juristen erwarten eine Urteilsbegründung mit mehreren hundert Seiten. "Das wird einige Zeit dauern, um festzustellen, was da überhaupt drin steht", meint ein Experte. Beide Parteien haben die Möglichkeit, vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Berufung zu gehen.

Der bedächtige Gerichtspräsident Vesterdorf vermeidet öffentliche Äußerungen, um die Gerüchteküche nicht weiter anzuheizen. In den zurückliegenden Jahren sprangen die EU-Richter nicht gerade zimperlich mit Wettbewerbsentscheidungen der Kommission um, einige Fusionsverbote aus Brüssel hoben sie komplett auf. Im Juli sprachen sie dem französischen Schneider-Konzern in einem Fusionsstreit sogar Schadenersatz zu Lasten der EU-Kasse zu, der bis zu 400 Millionen Euro erreichen könnte.

Andererseits hat gerade Vesterdorf nicht gerade das Image eines "Freundes der Bosse". Bei schweren Kartellfällen – dabei geht es um illegale Preisabsprachen von Konzernen – müssten die Manager strafrechtlich belangt werden, forderte der Jurist vor drei Monaten in einem Interview mit der Tageszeitung Handelsblatt. Eine Anhebung der Bußgelder habe keine abschreckende Wirkung auf die beteiligten Unternehmen mehr, lautete Vesterdorfs Einschätzung.

Da die Microsoft-Schlacht nicht nur vor Gericht, sondern auch über die Medien geführt wird, laufen die Vorbereitungen für den 17. September schon auf Hochtouren. Der stets druckreif sprechende Microsoft-Chefjurist Brad Smith will nach der Urteilsverkündung so schnell wie möglich nach Brüssel kommen, um mit Reportern zu sprechen. Ob für die rund 200 Kilometer lange Reise ein Hubschrauber gechartert wird, ist noch nicht entschieden.

Zum EU-Kartellverfahren gegen Microsoft und zu Konflikten um Windows Vista siehe auch:

(Christian Böhmer, dpa) / (anw)