Elektronische Gesundheitskarte: Der Weg ist das Ziel

Am 22. Dezember ist es soweit: Dann beginnen in Schleswig-Holstein und Sachsen die ersten Feldtests mit der elektronischen Gesundheitskarte. Auf einen eHealth-Kongress gab es eine Art Zwischenfazit.

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Von
  • Detlef Borchers

Am 22. Dezember ist es soweit: Dann beginnen in Schleswig-Holstein und Sachsen die ersten Feldtests mit der elektronischen Gesundheitskarte (eGK). Sie finden offline statt, mit simulierten Konnektoren, außerdem sind MKT+ Kartenleser dabei, die wenig mit den SICC-Terminals der kommenden Telematik-Infrastruktur zu tun haben. Aber immerhin, es tut sich was im realen Leben. Grund genug für alle Beteiligten, noch einmal einen eHealth-Kongress abzuhalten und all jene Statements abzugeben, die in den vergangenen vier Jahren immer wieder zu hören waren.

Den Prominenten-Reigen eröffnete Jürgen Thumann, Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI), in dessen Berliner Zentrale der Kongress stattfand. Er schwärmte von einer sanften Revolution im Gesundheitswesen, die den Gesundheitsmarkt verändern werde, und ermahnte alle Beteiligten, aufs Tempo zu drücken. Wenn Deutschland mit seinem gelungenen eHealth-System international wettbewerbsfähig sein solle, dürfe keine Zeit mehr verloren werden. Der Siemens-Aufsichtsratsvorsitzende Heinrich von Pierer sprach als Vorsitzender des Rates für Innovationen und Wachstum der Bundeskanzlerin. Auch von Pierer warnte vor der Gefahr, dass Deutschland abgehängt werde "Wir wollen das Land der Ideen sein, das ist sympathisch, aber wir müssen das Land der Taten werden." Die elektronische Gesundheitskarte werde mindestens 80 bis 100.000 Arbeitsplätze bringen, meinte von Pierer. Bitkom-Präsident Willi Berchtold betonte die große Akzeptanz, die die eGK jetzt schon in der Bevölkerung haben soll, und gratulierte dem Gesundheitsministerium ebenso wie der Projektgesellschaft für die geleistete Arbeit. Er machte darauf aufmerksam, dass die deutsche Industrie bereits Vorleistungen im Wert von 170 Millionen Euro geleistet habe. "Wir haben ein Vorzeigeprojekt, das wir dann draußen in der Welt vermarkten können. Weltweit hat das eine andere Qualität, bei der der Return of Investment sich für ganz Deutschland auszahlt."

Hans-Joachim Kamp vom Zentralverband Elektronik und Elektronikindustrie (ZVEI) kritisierte, dass in Deutschland die durchgehende Vernetzung der Kompetenzträger fehle und forderte eine stärkere Integration von IT und Medizintechnik. Deutliche Skepsis äußerte Kuno Winn, Vorsitzender des Hartmannbundes, der vor der Gefahr des gläsernen Patienten warnte. Die Karte werde zum Spiegelbild des Gesundheitswesens und berge die Gefahr, dass der gläserne Patient Wirklichkeit werde. Unter Verweis auf den Chaos Computer Club, der eine interne Kosten-Nutzen-Analyse veröffentlicht hatte, fragte Winn nach dem effektiven Schutz hochsensibler Daten. "Die elektronische Gesundheitskarte darf nur eingeführt werden, wenn alle Punkte stimmen und alle Daten geschützt sind."

Abseits der Eröffnungsreden gab es eine ganze Reihe von Workshops, Diskussionsrunden und Industriereferaten zum Thema eHealth und Prozessoptimierung im Gesundheitswesen. Interessant waren die Blicke über die Grenzen nach Österreich, Dänemark, Norwegen und Schweden, wo ebenfalls die Gesundheitstelematik vorangetrieben wird. Deutlich wurde dabei, dass andere Länder ganz unterschiedliche Vorstellungen vom Datenschutz und der Patientenautonomie haben. Der technische Aufwand für das Verbergen oder Löschen von verschriebenen Medikamenten auf der Gesundheitskarte durch den Patienten wird in einem Land wie Schweden, im dem die Apotheken ein Staatsmonopol sind und alle eRezept-Daten auf einem Server liegen, als überflüssig erachtet. Ein Workshop befasste sich mit der Frage, ob Deutschland mit der verzögerten Einführung der eGK nicht seine Chancen verspiele. Warum sollten andere Länder ein System übernehmen, das solche Mühen hat, zu starten? Der für die eGK zuständige Ministerialdirigent Norbert Paland vom Gesundheitsministerium verteidigte die Langsamkeit. "Wie haben uns von Anfang an entschlossen, die Migration sehr vorsichtig aufzusetzen", erklärte Paland, "wir müssen mit einem beherrschbaren Funktionsumfang anfangen." Aus den Reihen der Zuhörer fragte ein Vertreter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung nach konkreten Zahlen zur Jobmaschine, die die eGK auslösen soll. Daraufhin betonten Vertreter von IBM, Siemens und dem VHitG die Vielzahl von Stellen, die im Software-Engineering anfallen. Die Frage des Moderators, ob die Softwareentwicklung in Deutschland oder Indien geschehe, blieb unbeantwortet.

Von den angekündigten, jedoch nicht erschienenen Referenten des eHealth-Kongresses fiel der Vorstandsvorsitzende der Techniker Krankenkasse, Norbert Klusen, mit einem Beitrag in dem Tagungsband auf. Klusen nimmt in dem Text die Wikipedia-Kritik von Jaron Lanier auf und überträgt sie auf das Gerangel um die eGK, bei der sich ein Pulk von Experten mit unterschiedlichsten Interessen streitet und so die Entwicklung behindert. Die Entwicklung von eHealth in Deutschland dürfe nicht dem Wiki-Prinzip unterliegen, so seine Schlussfolgerung.

Ursprünglicher Anlass des Kongresses war die Vorstellung von "Monitoring eHealth Deutschland 2006/2007", einer von Cisco gesponserten Studie über die IT-Landschaft im deutschen Gesundheitswesen. Auszüge aus der repräsentativen Studie, bei der 2000 Krankenhäuser und 8000 Ärzte befragt wurden, gab es vorab. Nach ihr melden angestellte wie niedergelassene Ärzte einen hohen Schulungsbedarf in Sachen elektronische Gesundheitskarte. 57% der Klinikärzte und 68% der niedergelassenen Ärzte sehen im komplementären Heilberufeausweis einen geringen bis gar keinen Nutzen. Den größten Nutzen erhoffen sich beide Gruppen von der elektronischen Patientenakte und vor allem vom elektronischen Arztbrief.

Zur elektronischen Gesundheitskarte und der Reform des Gesundheitswesens siehe auch:

(Detlef Borchers) / (jk)