Schmiergeldskandal: Siemens setzt Zeichen und rechnet mit Ex-Führungsspitze ab

Streit mit den ehemaligen Vorständen, die Siemens für den Schmiergeldskandal haftbar machen will, ist vorprogrammiert: Heinrich von Pierer werde sich gegen die gegen ihn erhobenen Vorwürfe und Forderungen zur Wehr setzen, erklärte sein Anwalt.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 119 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Christine Schultze
  • dpa

In einem beispiellosen Rundumschlag rechnet der Elektrokonzern Siemens mit seiner früheren Führungsspitze ab. Vor allem für den einstigen Siemens-Chef Heinrich von Pierer, zu dessen Amtszeit Schmiergeld-Zahlungen in alle Welt und schwarze Kassen gang und gäbe gewesen sein sollen, bedeuten die vom Aufsichtsrat beschlossenen Schadenersatzforderungen eine weitere Demontage. Eine Summe für die Forderungen nannte der Elektrokonzern zwar zunächst nicht. Auch wenn damit aber nur ein Bruchteil der entstandenen Schäden abgedeckt werden sollte, dürfte der Schritt enorme Symbolwirkung haben, sagt Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz: "Das ist auf jeden Fall der richtige Schritt."

Rund 1,9 Milliarden Euro hat der größte Korruptionsskandal der deutschen Wirtschaftsgeschichte den Konzern bisher schon gekostet, vom immensen Image-Schaden ganz zu schweigen. Allein rund 500 Millionen Euro der Gesamtsumme machen Steuernachzahlungen aus, hinzu kommen Prozess- und Anwaltskosten sowie Strafzahlungen. So musste Siemens 2007 nach einer Entscheidung des Landgerichts München im vergangenen Jahr 201 Millionen Euro an Gewinnabschöpfung und Strafe zahlen. Deutlich drastischere Strafen drohen dem Konzern aber möglicherweise von der mächtigen US-Börsenaufsicht SEC, mit der die Konzernführung nach wie vor in Verhandlungen steht.

Der Managerhaftpflicht-Experte Michael Hendricks hält die Schadenersatzforderungen des Konzerns für aussichtsreich. Andernfalls hätte der Aufsichtsrat ohnehin davon Abstand genommen, ist er überzeugt. Die betroffenen früheren Zentralvorstände müssten jetzt möglicherweise mit ihrem Privatvermögen haften. Denn ob die sogenannte Directors and Officers (D&O) Insurance, eine Art Haftpflichtversicherung für Manager, greift, sei sehr fraglich, vor allem, wenn den betroffenen Ex-Zentralvorständen ein Vorsatz nachgewiesen werden könnte. "Alle müssen deshalb an einem vernünftigen Vergleich interessiert sein", sagt der Experte. Frühere Fälle hätten gezeigt, dass sich solche Schadenersatzforderungen etwa auf dem Niveau der Deckungssumme der D&O-Versicherungen bewegen. Für Siemens war in Medienberichten von einem Deckungsvolumen von rund 250 Millionen Euro spekuliert worden.

Bei seinen Regressansprüchen gegen die einstige Führungsspitze dürfte sich der Konzern auch durch das Urteil gegen einen ehemaligen Manager der Siemens-Festnetzsparte ICN bestärkt sehen. Der Vorsitzende Richter Peter Noll hatte in der Urteilsbegründung mit deutlichen Worten Versäumnisse des früheren Managements angeprangert. Weder frühere Bereichs- noch Zentralvorstände von Siemens seien berechtigt gewesen, über die Mittel des Unternehmens zu verfügen, erklärte der Richter, denn es habe sich nicht um ihr Geld, sondern um das der Aktionäre gehandelt. In eine ähnliche Richtung zielte auch die Mitteilung des Konzerns: "Die Geltendmachung von Ansprüchen ergibt sich auch aus der Verpflichtung der Gesellschaft gegenüber ihren Eigentümern", begründete Siemens die Entscheidung des Aufsichtsrates. Im Klartext: Der Elektrokonzern will sich auch gegen mögliche Schadenersatzklagen von Aktionären schützen.

"Herr von Pierer nimmt die Entscheidung des Aufsichtsrates mit großer Betroffenheit und mit Bedauern zur Kenntnis", sagte sein Anwalt Winfried Seibert gegenüber dpa. "Selbstverständlich wird er sich gegen die gegen ihn erhobenen Vorwürfe und Forderungen zur Wehr setzen." Dass sich Pierer betroffen von den Vorwürfen und Forderungen zeigte, kam unterdessen nicht überraschend. Er stellt sich nach den Worten seines Anwaltes bereits auf eine entsprechende Klage des Konzerns ein. Die Gelegenheit zur Stellungnahme wertete Seibert nur als eine "substanzlose Geste": "Ich würde nicht empfehlen, jetzt einen diplomatischen Briefwechsel anzufangen", erklärte der Rechtsanwalt. Er ist davon überzeugt, dass sich die Auseinandersetzung zwischen dem Konzern und seinem einstigen Top-Management noch lange hinziehen werden. "Das ist der erste Zug in einer Partie, die gerade erst angefangen hat und sicher länger dauern wird."

Siehe dazu auch:

(Christine Schultze, dpa) / (jk)