Die IT-Branche und die Krise: Sie kommt, sie kommt nicht, sie kommt ...

Die IT-Branche bleibt von der Krise nicht verschont. Doch außer angeschlagenen Riesen wie Motorola oder Yahoo sind auch andere Firmen betroffen: Der Start-up-Szene droht ein reinigendes Gewitter, und Online-Medien wappnen sich für eine Anzeigenflaute.

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Krise, welche Krise? Bisher beteuerte die IT- und Internet-Branche standhaft, mit den Turbulenzen auf den globalen Finanzmärkten nur eingeschränkt etwas am Hut zu haben. Tatsächlich scheinen die jüngsten Quartalszahlen der Branchenriesen das zu bestätigen. Apple geht es gut, Google geht es gut, Microsoft geht es gut. Auch hierzulande recken Branchenvertreter selbstbewusst die Daumen nach oben – ironischerweise auf einer IT-Messe, die mangels Interesse gerade dichtmachen musste.

Dabei ist nicht nur in der US-Wirtschaft die Krise längst spürbar – und das nicht erst, seit die "Masters of the Universe" der Wall Street Schutz bei Vater Staat suchen. Die Amerikaner konsumieren weniger, aber das weiterhin gerne auf Pump. Es wird ein interessantes Weihnachtsquartal, wenn die Krise den Kreditkartensektor erst so richtig erwischt. Konsumabhängige Unternehmen wie Amazon warnen schon mal vorsorglich. Auch Microsoft und Google prognostizieren zurückhaltend, und Apple-Chef Steve Jobs wagt trotz immer noch blendender Ergebnisse nicht vorauszusagen, was das laufende Quartal bringen wird.

Yahoo ist nicht das erste Opfer der Krise. Überall werden Jobs zusammengestrichen: Bei Dell 8800 , bei eBay 1500, bei Qimonda 3000. Auch Motorola baut erneut 3000 Arbeitsplätze ab. Globale Krisen werden andererseits gerne genommen, eigene Fehler zu kaschieren und ein paar unangenehme Entscheidungen zu rechtfertigen. Yahoo ging es vor der Krise zwar besser, aber nicht wirklich gut. Während Google mit der Vermarktung seiner Suchmaschine Geld druckt, ist Yahoo im Geschäft mit klassischen "Display Ads". Dieser Anzeigenbereich ist von konjunkturanfälligen Branchen wie der Automobilindustrie oder der Immobilienwirtschaft abhängig – beide haben bessere Zeiten gesehen.

Vom nachlassenden Anzeigengeschäft sind auch andere Unternehmen betroffen. Schätzungen zufolge sorgt die Kreditkrise auf dem Online-Anzeigenmarkt für Umsatzausfälle von über 6,5 Milliarden US-Dollar. Selbst ein Gigant wie Google will da "vorsichtiger" werden, wie CEO Eric Schmidt es formuliert. Der Suchmaschinenriese wächst langsamer und tritt deshalb auch beim Personal auf die Bremse. Von Entlassungen ist nicht die Rede, aber bei den Neueinstellungen will Google ein bisschen Maß halten. Auch die Gratisversorgung der Angestellten wird zurückgefahren.

Selbst im Silicon Valley, wo sie während der Dotcom-Krise noch mit Sternchen in den Augen in den Untergang marschiert sind, macht sich vorsichtig so etwas wie Realismus breit. Im Credit Crunch sitzt das Geld bei den Kapitalgebern nicht mehr so locker. Sie investieren nicht mehr blind in Me-Too-Netzwerke, sondern wollen positive Ergebnisse sehen. "Get Real or Go Home" lautet die klare Botschaft des Kapitalgebers Sequoia an seine Zöglinge. Mit Imeem, Mahalo, Veoh und Wikia setzen prominente Start-ups Mitarbeiter vor die Tür. "Rightsizing" nennen sie das jetzt.

Auch für populäre Blognetzwerke gilt, dass Reichweite nichts ist, wenn man sie nicht vermarkten kann. Angesichts der heraufziehenden Anzeigenkrise entlässt Gawker Media überzählige Mitarbeiter und zieht seine Ressourcen in den profitablen Objekten wie Gizmodo zusammen. Beim Klatschblog Valleywag, das die Entlassungswelle im Valley pflichtbewusst dokumentiert, müssen drei von fünf Autoren gehen. Tim O'Reilly sieht darin auch eine Chance für das Web 2.0: die Krise als reinigendes Gewitter.

Es wird ungemütlich für Start-ups mit hübschen Web-2.0-Anwendungen und vielen Nutzern, aber ohne tragfähiges Geschäftsmodell. Spaßgemeinschaften wie StudiVZ müssen sich jetzt auch ökonomisch beweisen. StudiVZ-Chef Marcus Riecke wurde gegangen, wohl auch, weil er Wachstum vor Rentabilität setzte. Jetzt soll sein Nachfolger, ein Verlagsmann, die Community profitabel machen. Eine Erfolgsgarantie hat er nicht. Denn oft genug verstehen gestandene Printmanager das Internet und seine Möglichkeiten falsch.

Dabei sollte auf der anderen Seite des digitalen Grabens längst geschäftige Betriebsamkeit herrschen. Die Printbranche steht vor großen Herausforderungen, doch klagen die Verleger auf den Münchener Medientagen lieber über den Rundfunkstaatsvertrag, anstatt sich für die Zukunft zu rüsten. Ein Blick über den großen Teich zeigt, was auch hierzulande droht: In amerikanischen Redaktionen findet ein Blutbad statt. Gleichzeitig verzichten die ersten Blätter auf die tägliche Druckerei und suchen ihr Heil im Netz.

Wenn der deutsche Branchenriese Gruner + Jahr nun darüber nachdenkt, ein paar Zeitschriften zu opfern, sind das erste Anzeichen. Dabei stehen auf der "Todesliste" der Verlags angeblich nicht nur inhaltsleere Hochglanzblättchen wie Park Avenue oder Healthy Living, mit denen Verlage den Zeitschriftenmarkt überschwemmt haben. Sondern auch gestandene Titel wie Capital oder gar die glücklose Financial Times Deutschland. "Etablierte" Titel, sagt der Verlag allerdings, sollen nicht betroffen sein.

Das wird nicht ohne Jobverluste abgehen. Noch kann sich die Bundesanstalt für Arbeit über ein historisches Tief bei den Arbeitslosenzahlen freuen. Im kommenden Jahr wird die Krise dann richtig angekommen sein – auf dem Arbeitsmarkt.

Zur Finanzkrise und der drohenden Rezession siehe auch:

(vbr)